Open-Air am Meer
Feb 071995
 

Möwenschiß

Jonathan Seagull Charity Event: Hilfe für die Nordsee oder für die Veranstalter?

(iz/ts) Ökosponsoring wird heute gern gesehen. Bereitwillig lassen Unternehmen sich in die Tasche greifen, um andere damit die Welt retten zu lassen. Dieser Handel ist an sich nicht unmoralisch – solange beide Seiten sensibel und seriös damit umgehen. Wenn jedoch Trittbrettfahrer rein kommerzielle Interessen unter dem Deckmäntelchen „Naturschutz“ verhökern wollen – und dies auch noch öffentlich wird – ist der langwierig erarbeitete Konsens zwischen Naturnutzern und Naturschützern ernsthaft in Gefahr. Das Wilhelmshavener Projekt „Jonathan Seagull Charity Event“ läßt in dieser Hinsicht einige Zweifel aufkommen.

Ende August vergangenen Jahres sollte in Hooksiel ein Open-Air-am-Meer mit einem attraktiven Aufgebot an Musikern stattfinden – zu einem Dumpingpreis. Der Run auf die Eintrittskarten war bereits voll im Gange, als die Veranstaltung kurzfristig und ohne nähere Angabe von Gründen abgeblasen wurde.
Im Herbst meldeten sich die Veranstalter wieder zu Wort. Der „Jonathan Seagull e.V.“ kündigte in einem dicken Programmpapier erneut ein Konzert an – diesmal ausdrücklich als Wohltätigkeitskonzert zugunsten des Nordseeschutzes. Adressaten waren namhafte Vertreter des amtlichen Naturschutzes bis hinauf zum Umweltministerium sowie potentielle Sponsoren. Das Ganze soll, laut Ankündigung, Ausmaße und Erfolg des internationalen Live-Aid-Konzertes haben. Und das im Raum Wilhelmshaven- Friesland! Wenn tatsächlich hiesige Organisatoren das Format hätten, eine solche Veranstaltung erfolgreich durchzuziehen, wäre ihnen die Anerkennung und Unterstützung in breiten Kreisen von Behörden, Verbänden und Bevölkerung sicher gewesen.

Konkurrenz verdirbt das Geschäft

Die anfängliche Begeisterung wich dem ersten Mißtrauen: keine lokale Initiative hatte bis dahin Kontakt mit „Jonathan“. Seriöse Naturschützer wissen, daß kein Blumentopf zu gewinnen ist, wenn nicht alle an einem Strang ziehen. Warum hatte die neue Gruppe keinen Kontakt zu alteingesessenen, erfahrenen Verbänden vor Ort aufgenommen, geschweige denn zu Naturschutzbehörden vor Ort? Überdies liegt der geplante Konzerttermin (26.-28.5.) parallel zu einer Konferenz der Umweltverbände, die traditionell im Vorfeld der internationalen Nordseeschutzkonferenz abgehalten wird.
Die Zweifel verhärteten sich bei genauer Durchsicht des Programms. Im Vordergrund stand unter anderem das Angebot an Unternehmen, gegen entsprechende Sponsorengelder ihre Umweltschutzaktivitäten während der Veranstaltung präsentieren zu können – auf Eintrittskarten, Bandenwerbung, Merchandising (z. B. T-Shirts) etc. – ohne genaue Vorgaben, welche Kriterien diese Aktivitäten zu erfüllen haben.
Vermißt wird auch ein Konzept zur umweltverträglichen Durchführung einer Großveranstaltung mit fünf- bis sechsstelligen Besucherzahlen: An- und Abreise – alle mit dem Auto? Übernachtungs- bzw. Campingmöglichkeiten? Ver- und Entsorgung? Erfahrene Konzertveranstalter wissen von dem Fiasko, wenn über den Kopf der Anwohner hinweg Viehweiden zugeparkt und kaputtgefahren, Supermärkte leergekauft, Hausgärten vollgekackt und den Einheimischen am Ende nur Müllberge hinterlassen werden.

Alle Vögel fliegen hoch

Auch das Beiprogramm zu dem mehrtägigen Konzert enthält einige „Highlights“ , die am naturschutzfachlichen Sachverstand der Veranstalter – bzw. der Ernsthaftigkeit ihres Anliegens – zweifeln lassen: Überflüge mit Peter Maffeys Tabaluga-Ballon oder Hubschrauber-Rundflüge über der Küste werden geschützte Brut-und Rastvögel im angrenzenden Nationalpark veranlassen, für die Dauer der Veranstaltung ihren Lebensstätten, Gelegen und Jungvögeln den Rücken zu kehren. Die angekündigte Windsurfregatta wird ihr übriges dazu tun. Derartige Störungen gibt es ohnehin genug an der Küste – müssen sie dann noch zusätzlich von „Naturschützern“ provoziert werden?
Sollte es nicht eher ein Ziel der Veranstaltung sein, solche Eingriffe zu minimieren? Was ist denn das Ziel? Ein Forschungsschiff soll ausgerüstet werden, das dann auf der EXPO ’98 in Lissabon der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. Großartig. Genau daran krankt der Naturschutz – im Interesse von herrschender Politik und Unternehmen – daß immer weiter geforscht und öffentlich präsentiert wird, statt die zahlreichen Ergebnisse und Tatsachen endlich in Taten umzusetzen. Da stellte sich schon insgeheim die Frage: Wer profitiert denn eigentlich von einem solchen Forschungsschiff, wenn schon nicht der Naturschutz?
Aber immerhin: den Programmen von „Jonathan Seagull“ (es wurden schon Aktualisierungen und Ergänzungen nachgeschoben) ist zu entnehmen, daß namhafte Konzertagenturen und Politiker Zusagen erteilt haben. Mit Schreiben vom 21.9.94 hatte „Jonathan Seagull“ erklärt, daß die “ Schirmherrschaft Ministerpräsident Gerhard Schröder und die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn übernehmen sollten. Beide sind bereits angesprochen worden und haben starkes Interesse bekundet.“ Anfang Dezember wurde den Veranstaltern mitgeteilt, daß es keinerlei Entscheidungen über die Schirmherrschaft gegeben habe und deshalb auch nicht damit geworben werden dürfe. Worauf diese behaupteten, dies hätten sie auch in der Vergangenheit nicht getan.
Über renommierte Konzertagenturen wie Karsten Jahnke (Hamburg), Marek Lieberberg (Frankfurt) oder Dough Smith Ass. und Real Live (London) u. a. sollten international bekannte Künstler und Bands wie Mother’s Finest, Birth Control, Chris Rea, Marillion, Bad Company, Brian May, Bob Geldof und viele mehr „ihre Teilnahme bekundet haben. „Gelingt es uns,“ so „Jonathan“ Anfang Dezember 94, „noch vor den Festtagen zwei der ‚Großen‘ vertraglich zu binden, werden wir umgehend mit unserem Event in die Werbung gehen.“ Schon jemand was gehört? Nachfragen ergaben, dass auch die genannten Konzertagenturen noch nichts von ihrem Glück wußten. Gleiches gilt für die von Jonathan angegebenen Sponsoren und die Kooperationspartner für das Forschungsschiff.
Unsere Recherchen bestätigten sich Ende Dezember durch einen Artikel im „Bremer Blatt“, dessen Verfasser unabhängig von uns zu parallelen Einsichten gelangt war. Nach der Veröffentlichung drohten ihm die „Seagulls“ ein Regreßverfahren an, wenn das Konzert in die Hose geht, weil dann sein Artikel daran schuld wäre.
Weder sein Artikel noch unserer wird daran schuld sein. Wenn die Herren Ramien und Co. mangels Professionalität mit einer solchen Veranstaltung finanziell baden gehen, ist das ihr persönliches Problem und uns wirklich „wurst“. Wenn sie einen so ernsthaften Aufhänger wie den Nordseeschutz dafür wählen, dann wird die Pleite zum gesellschaftlichen Problem: der Naturschutz wird in seinen Bemühungen um gesellschaftliche Akzeptanz und Unterstützung um Jahre zurückgeworfen. Und das ist kann uns nicht egal sein. Wenn „Jonathan Seagull“ tatsächlich Interesse am Nordseeschutz haben, dann lassen sie, bitteschön, die Finger davon.

Wer verbirgt sich hinter Jonathan Seagull?

Zum Vorstand des mittlerweile eingetragenen Vereins (mit dem vorab schon geworben wurde) zählen der Verlagskaufmann Bernd Ramien als 1.Vorsitzender, Wilfried Kloth und der Jeveraner Autohändler Siegmund Netcel. Erstere sind für Insider im Konzertbereich keine Unbekannten mehr – vor allem für leidvolle Erfahrungen z.B. in Scheeßel, als enttäuschte Fans die angekündigten Hauptgigs nicht zu sehen bekamen und auch ihr Eintrittsgeld nicht zurück, da die Tageskasse nicht mehr aufzufinden war. Ähnliches passierte im Ostfriesischen. Der Verlagskaufmann Ramien („Barney“) gehörte zum volkstümlichen Duo „Watt’n Wurm“ (Sein ehemaliger Mitstreiter will davon nichts mehr hören), ist Betreiber des „Moorwarfer Krugs“ und hatte zuvor bereits mehrere andere Kneipen.···
Kurz zuvor wurde die „Veranstaltungs- und Konzept GmbH“ ins Wilhelmshavener Handelsregister eingetragen. „Gegenstand des Unternehmens ist die Durchführung, Vermarktung, Management und Organisation von Musikveranstaltungen, Open-Air-Festivals, Hafenfesten, Stadt. und Stadtteilfesten und Märkten, Merchandising (Handelsregister v.28.12.94). Sitz der GmbH wie des gemeinnützigen Vereins: Rheinstr. 91 (Gebäudekomplex im Besitz von Rechtsanwalt und Unternehmer Bolko Seifert). Und wer ist der Geschäftsführer der GmbH? Richtig: Bernd Ramien.

Richtigstellung

In der obigen Meldung haben wir Siegmund Netcel als Vorstandsmitglied des „Jonathan Seagull e.V.“ genannt. So hatten wir es während der Recherchen Anfang Januar dem Vereinsregister entnommen. Herr Netcel teilte uns nun mit, daß er bereits im August 1994 seinen Rücktritt aus dem Vorstand und den Austritt aus dem Verein erklärt hatte. Seiner Bitte nach einer Richtigstellung kommen wir hiermit nach.

 

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