Offenbarung
Aug 211996
 

Verzeihung, ihr Proleten

Zur Lesung von Thomas Ebermann in der Perspektive

(iz) 40 unverzagte Querdenker trafen sich Mitte August in der Perspektive, um der Lesung von Thomas Ebermann aus seinem Buch „Die Offenbarung der Propheten“ beizuwohnen. Die meisten von ihnen verließen das Kulturzentrum erst nach zwei Stunden Lesung plus zwei Stunden Diskussion, die nur abgebrochen wurde, um den Autor vorm Erschöpfungstod zu bewahren. Das läßt auf die Qualität des Buches schließen und/oder auf die Sehnsucht nach einer besseren Welt.

Das 360-Seiten-Werk wirkt auf den ersten Blick unzugänglich und in Form und Sprache nicht gerade aufs klassische Proletariat abgestellt. Hat mensch sich durch die Kapitel zur politischen Ökonomie erst einmal durchgequält, fängt es an, Spaß zu machen. Die Lesung erleichterte den Zugang erheblich.
Das Buch ist ein Rundumschlag gegen die bürgerliche Gesellschaft und ein Warnsignal für jene, die gern links sein oder bleiben möchten und genau an den Stellen laut lachen, an denen sie innerlich rot werden, weil sie sich ertappt fühlen, mangels Motivation sich eben jener Gesellschaft anzupassen. Nichts und niemand bleibt ungeschoren, nicht die Wiedervereinigung („muß i denn zum Städtele hinaus“ sang Heino in Hoyerswerda 14 Tage nach dem Pogrom), nicht der positive Rassismus (wir lassen die Griechen für uns kochen und tanzen, was noch lange kein AusländerInnenwahlrecht legitimiert), nicht unser Freizeitverhalten (kollektives Outing der BesucherInnen von Fitnesscentern) oder die Medien (Symptom und nicht Ursache der allgemeinen Verblödung),
nicht die doppelzüngige Sozialmoral („die Arbeitsgesellschaft erträgt keine fröhlichen Arbeitslosen“), nicht der Tanz ums Goldene Kalb alias „Glücksrad“ („Lotto lehrt uns von Woche zu Woche, mit Enttäuschungen zu leben“), nicht die Ritualisierung von Sehnsüchten (Mißbrauch des Heimatbegriffs und Reduzierung auf Schuhplattler) bis hin zur Ökologie (warum Statistiken zum Artensterben auffahren, wenn ich „Wald“ mit romantischen Erinnerungen verbinden und rechtfertigen kann).
Peinlich, daß gerade dieses provokante Werk auch in der bürgerlichen Presse bislang keinen einzigen Verriß abbekommen hat, was ja die beste Werbung wäre. Das kommt davon, wenn man sich auf alte politisch-literarische Seilschaften beruft, die heute nicht nur in Konkret oder der tageszeitung, sondern fürs täglich Brot auch in der Zeit oder noch reaktionäreren Postillen publizieren und den Ex-Kommunarden mit ihrer Lobhudelei einen Bärendienst erweisen.
Aufgefordert zum kritischen Denken („Neinsager sind aus gesellschaftlicher Sicht Spielverderber“), erscheint die Beweisführung zum Teil etwas eingleisig. Z.B. Sport, so die Autoren, dient dazu, Freizeit totzuschlagen und fragwürdigen kollektiven Schönheitsidealen nachzujagen; der rein individuell motivierte Anlaß, dem menschlich-instinktiven Bewegungsdrang nachzugeben, den moderne Schreibtisch-Arbeitswelten nicht befriedigen können, fehlt uns in der Betrachtung.
Die „Offenbarung“ ist eine reine Analyse; konstruktive Lösungsansätze können LeserInnen nicht erwarten. Was immer ich tue, es ist daneben. Fröne ich dem Hedonismus („man lebt nur einmal“), unterstütze ich das Kapital; doch die Konsumaskese (z. B gegen Shell/Ölplattformen oder Frankreich/Chiracs Atomversuche) ist Selbstbeschiß, da ich das System dadurch nicht in den Grundfesten erschüttere. „Die höchste Form des Widerstands ist der Wechsel der Benzinmarke.“ Ob der „Verzicht auf Ratschläge“, so Ebermann, „methodisch“ ist oder Hilflosigkeit der Autoren, sei dahingestellt.
Sprachfetischisten kommen in der „Offenbarung“ voll auf ihre Kosten. Jeder Satz ist ein Bild für sich, was im Kontext allerdings oft bemüht wirkt und die Konzentration der LeserInnen überbeansprucht. Die Autoren sind geschichtlich, politisch und rhetorisch sattelfest und bestrebt, die Leserschaft das erkennen zu lassen. Da verschwimmen gelegentlich die Prioritäten zwischen Form und Inhalt bis hin Zum Gefühl, die Autoren betrieben verbale Masturbation.
Wie auch immer, unterm Strich ist die „Offenbarung“ ein wichtiges Buch in einer Zeit falsch verstandener Freiheit und Toleranz. Es soll, so Ebermann, nicht desillusionieren, obwohl die Niederlage eines linken Gegenentwurfes offensichtlich wird. Es ist keine Bibel, sondern, so Jutta Dithfurt in der taz, „eine Fibel fur alle, die nicht bereit sind, zu verblöden.“

Thomas Ebermann und Rainer Trampert, vormals führende Vertreter des linken Flügels der Grünen, leben und arbeiten in Hamburg und veröffentlichen in verschiedenen Zeitschriften, regelmäßig in „Konkret“ und „Rolling Stone“.
Thomas Ebermann/ Rainer Trampert: Die Offenbarung der Propheten. Konkret Literatur Verlag, Hamburg. ISBN 3-89458-139-5. 39,- DM.
InteressentInnen an einem Lese- und Diskussionszirkel zum Buch melden sich bei Johann Janßen, Tel. 53706.

Reife ist die bürgerliche Übersetzung für Verblödung.
Reform ist früher sterben.
Pazifismus ist für Völkermord sein.
Friedensmission ist Bombardement.
Ökologie ist Standort sichern.
Berti ist Trainer.
Kohl ist Kanzler.
St. Pauli ist schön.
Heimat ist Identitätssuche.
GEGENWIND ist alternativ.
Perspektive ist Hort des Widerstands.
Wilhelmshaven ist bald nicht mehr in der Regionalliga.
Widmung in einem Autorenexemplar, die zusammenfaßt, a) daß es sich lohnt, alles zu hinterfragen, b) daß Linkssein auch Spaß machen kann, c) daß Thomas Ebermann Widmungen verabscheut.

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