Lohnt sich das Umsteigen?
Einblicke in das neue ÖPNV-System
(jk/iz) Anfang Mai 2004 stellten die Stadtwerke Liniennetz und Fahrpläne ihrer Busse um. Auf den ersten Blick hat sich an der Linienführung wenig geändert, bei den Fahrplänen wird es schon komplizierter. Ein busfahrender Leser hat u. a. untersucht, ob sich das Umsteigen vom Auto in den Bus lohnt.
Aus der WZ war, abgesehen von einigen Annoncen der Stadtwerke, kaum etwas über die Änderungen im Busverkehr zu erfahren. Gerade mal 3 Tage befand sich zum Auftakt ein neu angeschaffter Neoplan Designerlinienbus am zentralen Busbahnhof (ZOB), der als Informationsbüro diente. Im Wesentlichen wurden dort die neuen Fahrpläne und ein entsprechender Linienetzplan ausgegeben, ein Mitarbeiter stand für Fragen zur Verfügung. Eine Informations-Ausstellung über den Wilhelmshavener ÖPNV wurde – obwohl der potenzielle Kundenstrom dort höher gewesen wäre – nicht in der Nordseepassage, sondern in der Sparkasse in Fedderwardergroden präsentiert.
Zu jeder der 6 Buslinien (bezeichnet mit den Nummern 1, 2, 3, 4, 6, 8) gibt es ein Faltblatt. Auf der Titelseite ist die Linienführung mit Umsteigemöglichkeiten aufgeführt. Verwirrend: In allen Blättern taucht eine Umsteigemöglichkeit zur Buslinie 11 auf, die gar nicht existiert. Gemeint ist die Linie 111 nach Wiesmoor (Fa. Fass).
Teilweise ist statt genauer Zeiten nur pauschal der Zeittakt angegeben. Im 20- oder 30-Minuten-Takt bleiben die Abfahrtszeiten in jeder Stunde gleich. Nur die 4 fährt im 40-Minuten-Takt. Wer nicht ewig an der Haltestelle stehen oder die stündlich fahrende NordWestBahn (NWB) erreichen will, muss schon etwas Gehirnjogging betreiben.
Wer nur eine Linie nutzt oder selten fährt, freut sich über die handlichen Einzelfaltblätter. Vielfahrern käme der gute alte kompakte Gesamtplan eher entgegen (möglicherweise noch mit Umlandverbindungen), der den täglichen Gebrauch länger übersteht als fliegende Blätter in der Aktentasche.
Kommen Fahrgäste in Bremen, Bremerhaven oder Oldenburg aus dem Zug, finden sie gleich ein Servicebüro des örtlichen ÖPNV. In WHV gibt es nur die Touristikinformation in der Ebertstraße, die nebenbei mal eine Busfahrkarte verkauft. Fragt man dort z. B., wie man nach Sengwarden oder Langewerth gelangt, wird die Auskunft erteilt, dass dort „wohl der Bahnbus“ (den es seit gut 15 Jahren nicht mehr gibt) hinfährt. Näheres wüssten „die Fahrer der betreffenden Buslinien oder es steht an den Haltestellen.“ Wenn man denn erst mal wüsste, welche Linien das sind … Das soll kein Vorwurf sein – der gute Wille ersetzt die Tat. Die Verantwortlichen bei den Stadtwerken geben (in ihrer Antwort auf eine Anfrage des Autors) den Mangel zu. Es seien „Bestrebungen im Gange, dieses (Kundenbüro) in Kürze zu installieren.“ Dafür bietet sich der leer stehende Verkaufsraum im Erdgeschoss des „Menzelturms“ an der Südseite des ZOB an, z. B. in Verbindung mit einer von vielen gewünschten Postagentur in der City.
Bis dahin verweisen die Stadtwerke auf die BusfahrerInnen als Informationsquelle für Strecken und Fahrpläne und gleichzeitig Verkaufspersonal für alle Tickets. Zusätzlich kann man sich unter www.bus-wilhelmshaven.de informieren. Dort erfährt man alles über Tarife und Beförderungsbedingungen und kann Netzplan, Linienfahrpläne und den persönlichen Haltestellenplan herunterladen. Unsere Hinweise auf tote Links wurden nett beantwortet und umgehend bearbeitet. Hübsch ist die Galerie historischer Fotos, in der auch der alte Hauptbahnhof verewigt ist.
Motiviert die neue Linien- und Fahrplangestaltung, in WHV vom Auto in den Bus umzusteigen? Hierzu ein Beispiel: Vormittags vom Rathausplatz zum Gewerbegebiet Güterstraße zwecks Einkauf. Mit dem Auto dauert das 6 Minuten. Streckenmäßig kürzeste Busverbindung ab Rathausplatz, Linie 2. An der Banter Kirche Wartezeit 16 Minuten für Umstieg auf Linie 3. Gesamtzeit: 27 Minuten. Anderer Weg, gleiches Ziel: Mit der 6 vom Rathausplatz zum ZOB, dort umsteigen in die 3. Günstigste Fahrzeit mit dem Bus: 21 Minuten. Das bringt niemanden in den Bus, der ein Auto hat.
Nicht selten muss der Weg umständlich über den ZOB genommen werden, direkte Wege, wie man sie mit individuellen Verkehrsmitteln gewohnt ist, sind nicht immer möglich. Auf jeden Fall ist ein gründliches Studium von Liniennetzplan und Fahrplänen verschiedener Linien empfehlenswert.
Zum Teil müssen recht lange Fußwege in Kauf genommen werden, um an das Netz des ÖPNV Anschluss zu finden. Das ist vor allem für die wachsende Zahl älterer, teilweise gehbehinderter BürgerInnen unerfreulich. Um die Lücken zu schließen, kann jeder Fahrgast sich vom Busfahrer ein Taxi an seine Ausstiegshaltestelle innerhalb des Stadtgebietes rufen lassen. Netter Service – so lange man das nötige Kleingeld hat, um ihn auch bei regelmäßigen Touren nutzen zu können.
Für Arbeitnehmer im Industriegelände West und in den Groden-Industrieflächen ist der Wilhelmshavener ÖPNV überhaupt keine Alternative zum Auto. Hingegen haben Beschäftigte des Arsenals die Möglichkeit, ihren Arbeitsplatz über den sogenannten Bedarfsverkehr der Linie 2 mit dem ÖPNV zu erreichen.
Viele Wilhelmshavener müssen zur Arbeit nach auswärts pendeln. Die Wartezeiten am ZOB für einen Anschluss zwischen Bus und Bahn sind jedoch in vielen Fällen zu lang. Die gesamten Busverbindungen der städtischen Verkehrsbetriebe müssten sich häufiger an den Ankunfts- und Abfahrtszeiten der NWB orientieren. Bis weit über 45 Minuten zu bestimmten Zeiten an Wartezeit auf dem ZOB oder in der Nordseepassage vertrödeln – da ist man mit dem Auto schon lange in Esens. Der Abendverkehr mit stündlichen Taktzeiten ist auch nicht als nutzerfreundlich zu bezeichnen.
Immerhin: Alle Busse können jetzt an Haltestellen abgesenkt werden und ermöglichen so einen nahezu stufenlosen Einstieg.
Der ganz große Wurf, den ÖPNV attraktiver zu machen, Fahrgäste hinzuzugewinnen und den Schadstoffausstoß des Individualverkehrs zu reduzieren, ist den Stadtwerken mit dem neuen Linienkonzept nicht gelungen. Klar sind nicht die Stadtwerke schuld, wenn viele immer noch ihr Auto für den Weg zum Einkaufen oder zum Arbeitsplatz nutzen, sondern Statusdenken, Gewohnheit, Bequemlichkeit. Doch bieten steigende Spritpreise und – leider – die zu erwartende Zunahme der Armut (durch Hartz IV und andere Maßnahmen zur Demontage des Sozialstaates) eine Chance, mit attraktiver Fahrplan- und Preisgestaltung neue Kundschaft in die Busse zu bringen und deren Mobilität zu sichern. Der für den Herbst angekündigte neue Fahrplan der Wilhelmshavener Busse könnte ein wichtiger Baustein dafür sein.
Bild oben: Wilhelmshavener ZOB & Hauptbahnhof 1960. Foto: Stadtwerke
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