Oberstadtdirektor
Jul 011998
 

Schreiber: Viel versprochen – wenig gehalten?

Der schwierige und holprige Weg des Oberstadtdirektors durch das Gestrüpp von städtischem Wirtschaftsklüngel, Verwaltungsintrigen und Genossen-Kabale

Nach dem unrühmlichen Abgang des Oberstadtdirektors Dr. Gerhard Eickmeier, der – am 14.1.1984 mit sofortigem Amts- und Hausverbot belegt – am 22. März 1984 offiziell abgewählt wurde (was einige später schmerzlich bedauerten), später rehabilitiert (was wiederum einige auch heute noch nicht recht verstehen können), war man auf der Suche nach einem geeigneten Nachfolger.

Arno Schreiber:

geb. 30.01.38 in Oldenburg. Nach Abitur (Hindenburg-Schule) Wehrpflicht als Panzergrenadier. Danach Volontariat bei Stalling. 1960 Beginn des Studiums (Wirtschafts- und Sozialwissenschaften). 1965 Prüfung zum Diplomvolkswirt. 1966 – 68 Wirtschaftsreferendat in Hamburger Behörden, Handelskammer). Anschließend Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer.
1969 Großes Staatsexamen.1973 Regierungsrat bei Hamburger Finanzbehörden. Sept. 1973 Stadtdirektor auf Norderney und Eintritt in die SPD. 1976 Stadtdirektor in Cuxhaven.
Bis zum 31.12 dort Kämmerer und Dezernent für den Fremdenverkehr. Ab 1.Januar 1985 Oberstadtdirektor in Wilhelmshaven.

Es begann eine Zeit, die die WZ vom 19.10.84 als „Sommertheater mit vielen Schwachpunkten“ betitelte. Im Juli 84 waren’s dann immer noch sieben Bewerberlein, die sich diesen Job wohl zutrauten. Anfang Oktober – da waren’s nur noch zwei. Hatten die Großkopferten der Wilhelmshavener SPD sich den Cuxhavener Stadtdirektor und Sozialdemokraten Arno Schreiber ausgeguckt, so wollten die Christdemokraten den Leitenden Regierungsdirektor Dieter-Joachim Bannowsky aus dem Wirtschaftsdezernat der Bezirksregierung Weser-Ems in Oldenburg in die Jadestadt holen. Der aber zog kurz vor Toresschluss seine Bewerbung mit dem Bemerken zurück, dass seine Kandidatur für ihn „aussichtslos“ sei. Da waren’s nur noch ein.

Schreiber

Aus Gegenwind 91 – März 1990

Schon im Vorfeld hatten sich Parteien- und Ratsvertreter offen für Schreiber ausgesprochen. So der SPD-Unterbezirksvorsitzende Klaus Vogel und der SPD-Fraktionsvorsitzende Udo Bergner, die beide Schreibers Konzept „sehr überzeugend“ fanden. Die Bürgerschaft (die sog. Elefantenpartei) begründete – nach Anhören Schreibers – ihr Votum für ihn so: „Schreiber habe ein vollständiges und für die Bürgerschaft überzeugendes Konzept für die Zukunft Wilhelmshavens vorgelegt.“ Nur die Grünen hatten schon damals vor einer Wahl Schreibers gewarnt, da ihnen einiges Negative aus seiner Amtszeit von Cuxhavener Parteifreunden gesteckt worden war. Die Entscheidung fiel auf der Ratssitzung am 24. Oktober 1984.
In offener Wahl stimmten 18 SPD-Ratsmitglieder, sechs Ratsvertreter der Bürgerschaft und drei liberale Demokraten für den Cuxhavener Stadtdirektor Arno Schreiber. Die gesamte CDU – Fraktion stimmte dagegen.

Der damalige Fraktionssprecher der CDU, Eberhard Schodde, begründete die Ablehnung des roten Kandidaten so: „Die CDU kann diesen Mann nicht gutheißen. Ein Mann, der einen von uns als falsch erkannten Weg beschreiten will, wird von uns nicht auf diesen Weg geschickt.“ Wolfgang Latendorf als Sprecher der liberalen Demokraten stimmte zwar für Schreiber, warf der SPD jedoch vor, den Rat ohne Not unter Zeitdruck gesetzt zu haben. Bergner (SPD) stellte indes fest, dass die Sozialdemokraten uneingeschränkt „Schreibers progammatische Ansichten“ teilen und ihn deshalb auch wählen würden.
Von einer Zäsur in der Geschichte Wilhelmshavens sprach der Bürgermeister Hans-Jürgen Kaiser (Bürgerschaft). Nach zehn Jahren Industrieansiedlung sei nun an der Jade Ernüchterung eingetreten. „Schreibers Konzept hat eine Chance verdient“, so Kaiser.

Dieses Konzept entwickelte Schreiber dann nochmals vor den abstimmungsbereiten Ratsmitgliedern und den (ausnahmsweise einmal zahlreichen) Zuhörern auf der Empore. Er forderte u.a. eine Umorientierung der städtischen Entwicklung zu Bereichen, die in Zukunft die Lebensqualität der Stadt erhalten und verbessern könnten. Umweltschutz, neue Technologien und weitere Entwicklung des Fremdenverkehrs stünden bei ihm ganz vorn. Dagegen sei Wirtschaftsförderung für ihn vornehmlich erst einmal Bestandspflege. Im Umgang mit seinen Mitarbeitern und den Kommunalpolitikern bekannte er sich zu „Fairness, Sachlichkeit und Offenheit“.
Vom Rat für sechs Jahre zum Hauptverwaltungsbeamten gewählt, konnte er Ende Dezember 1984 seine Ernennungsurkunde aus den Händen des christdemokratischen Oberbürgermeisters Hans Janßen entgegennehmen.

Mit so viel Vorschusslorbeeren bedacht, ging Schreiber an den Start. Vorerst war man – ausgenommen die CDU – ganz zufrieden mit dem Neuen. Er mühte sich, machte viele Vorschläge und erklärte so manches selbstherrlich zur Chefsache. Kritische Töne waren kaum zu vernehmen. Das schien auch so zu bleiben, denn 1990 – ein Jahr vor Ablauf der ersten 6 Amtsjahre – machten sich die Sozialdemokraten daran, die Amtszeit ihres Genossen Hauptverwaltungsbeamten um nunmehr 12 Jahre zu verlängern. So schreibt es die Niedersächsische Gemeindeordnung vor, wenn man auf eine Neuausschreibung des Amtes verzichtet.

Bei der Ratssitzung Mitte Januar 1990 wurde Arno Schreiber, dieses Mal in geheimer Wahl, mit 28 Stimmen für weitere 12 Jahre im Amt bestätigt. Er erhielt die SPD-Stimmen, die der Grünen, der Bürgerschaftsgruppe und die eine Stimme der FDP. Dazu drei Stimmen aus den Reihen der CDU. Mit diesem Ergebnis, so Schreiber, „kann ich gut leben“. Und wie 1984 hatten sich die Vertreter der Zustimmenden vorher nur lobend über Schreibers Wirken geäußert. Bergner: „Schreiber hat die Erwartungen erfüllt, die bei seinem Amtsantritt in ihn gesetzt worden waren. Zwar hätten alle seine Vorstellungen nicht verwirklicht werden können, doch seien Erfolge sichtbar“. Sein Engagement bezeichnete er als „vorbildlich“. Focke Hofmann (damals Bürgerschaftsgruppe, vordem CDU-Ratsherr und heute Bürgermeister) lobte Schreibers „Pflichterfüllung und Ideenreichtum“. Auch die FDP beurteilte seine Arbeit nur positiv.

Dagegen sprachen die Unionschristen von Führungsschwäche, gescheiterten Kontaktversuchen, von der „peinlichen China-Reise“ und fehlenden Erfolgen in der Wirtschaftsförderung. Sie würden – so ihr Sprecher – zwar gegen Schreiber votieren, dennoch aber dafür Sorge tragen, dass er aus der CDU-Fraktion so viele Stimmen bekäme, um im ersten Wahlgang gewählt zu werden. Nur der Himmel und die CDU-Oberen mögen damals gewusst haben, weshalb sie so großherzig Leihstimmen vergaben. Da war wohl einmal mehr St. Kungeleitis am Werk gewesen? Die Grünen warfen dem Hauptverwaltungsbeamten zwar vor, es sei ihm in den fünf Jahren nicht gelungen, die verkrusteten Strukturen in der Verwaltung aufzubrechen (als ob das in Schlicktau so einfach wäre!). Doch gegen ihn wollten sie auch nicht stimmen.
Und so ließ man mit des Rates Segen Schreiber weiter wursteln. Schreiber machte seine Fehler. Man denke nur an die vielen vollmundigen Ankündigungen, die dann schnell wieder wie Seifenblasen zerplatzten. Man denke an die Brent Spar, die hier abgewrackt werden sollte, an die geplante Schiffsverbindung nach Kristiansand, die voreilige Einladung des spanischen Königs zur Expo 2000, die zu erwartende Dschunken-Invasion aus Tsingtau u.v.m.

So sprach man bald vom Haupt“ankündigungs“beamten. Während jedoch Rat und Parteiobere manchen Schnitzer von ihm zwar murrend, aber dann doch so hinnahmen, machten sich die Bürger der Jadestadt über die Führungsqualität des Verwaltungschefs so ihre eigenen Gedanken. In Genossenkreisen war er eigentlich von Anfang an nicht besonders beliebt. Zwar versuchte er beim Start den Kumpel herauszukehren, doch später hielt man ihn eher für arrogant. „Ihm fehlt der Stallgeruch eines Sozis“, so ein Genosse, oder „Der weiß zwar alles besser, nur macht er nichts besser“. Und auch die Mitarbeiter seiner Verwaltung hatten so einiges an ihm auszusetzen. Am Stammtisch fielen dann schon öfter mal Worte wie: „Bei Eicki wär’ das nicht passiert“ oder „Das hätte Eicki auf kurzem Weg erledigt“. Doch offen wollte keiner den Oberstadtdirektor kritisieren.

Einen richtigen politischen Knatsch gab es, als die CDU bei ihrer Jahrestagung Ende August 1990 wieder einmal Schreibers Inaktivität (z.B. bei den Milchwerken) hart kritisierte.
Der revanchierte sich dann postwendend beim Sengwarder Pferdemarkt. Die CDU wollte damit doch nur von eigenen Unzulänglichkeiten ablenken und würde nach dem Motto handeln: „Wenn alles gut läuft, sind es die anderen gewesen. Und wenn es schlecht läuft, war es der Oberstadtdirektor“, konterte er.

Keine sonderlich gute Figur machte er auch in der Affäre um den von Stadtdirektor Frank und anderen geplanten Verkauf der Jade-Wohnungsbau (Trögeler-Deal). Da verfolgte er lieber dieses Theater im Untersuchungsausschuss von seinem Urlaubsort aus, statt stande pedes vor Ort zu sein und kraft Amtes Tabula rasa zu machen.
Nun aber – im Mai 1998 – haben die örtliche Presse und die Wirtschaft den Hauptverwaltungsbeamten voll aufs Korn genommen, um den schon leicht angeschlagenen Schreiber vorzeitig auf die Bretter zu schicken.

Den Gong zur ersten Runde schlug der „Hin-und-Her“-Redakteur Hans-Jürgen Schmid in einem Artikel, der sich eigentlich nur mit der Eingleisigkeit an der Kommunalspitze befassen sollte. Doch darin wurden dem Oberstadtdirektor – so ganz nebenbei und scheinbar ohne Arg – mehr als nur kleine Nadelstiche beigepult. Schmid ließ im Artikel den STATT-Bürgermeister Focke Hofmann – „den Mann des offenen Wortes“ (O-Ton Schmid) – zu Worte kommen. „Es ist doch eine verkorkste Situation an der Spitze des Rathauses – und das bei zwanzig Prozent Arbeitslosen in dieser Stadt“.

Es ist übrigens der gleiche Hofmann, der dem Oberstadtdirektor vor acht Jahren noch „Pflichterfüllung und Ideenreichtum“ attestierte. Und um ihm weitere Schrammen zu verpassen, warf er ihm gleich auch noch Postenhascherei vor, weil er sich ein Pöstchen als ordentliches Mitglied für den Kongress der Gemeinden und Regionen Europas an Land gezogen hatte. Dabei müsste grade Hofmann als Parteienwanderer bestens wissen, dass – nicht nur bei den roten Genossen – schon lange die Sammelleidenschaft für Posten und Pöstchen ausgebrochen war. Schreiber wäre lediglich vorzuwerfen, dass er Gleiches tat, was andere Politiker schon vor ihm mit großem Erfolg praktiziert hatten.

Rätsel gab dem Fußvolk der Wilhelmshavener SPD die im Artikel genannte kleine Gruppe ihrer Genossen auf, die – wie immer im trauten Kreis – intensiv über die künftige Eingleisigkeit an der Stadtspitze nachgedacht hatte. Für einen Insider unschwer zu erraten, wer diese Vorausdenker wohl waren. Unanständig jedoch, dass besagtes Fußvolk, wie schon so oft, in solche Überlegungen nicht mit einbezogen worden war und so erst später – sicher zu spät – dann aus der Ortspresse erfahren wird, was diese Gruppe denn so ausgeheckt hat.

Die Runde zwei läutete dann der aus dem Amt als Vorsitzender des Allgemeinen Wirtschaftsverbandes Wilhelmshaven-Friesland ausgeschiedene Manfred Adrian, sicher besser bekannt als Chef unseres Heimatblattes WZ, ein. Aus seiner Abgangsrede (zitiert aus WZ v. 15.05.98): „Ich bin erschrocken und bestürzt über die tatsächlichen Verhältnisse des Zusammenlebens zwischen Politik und Wirtschaft in diesem Raum.“ Erschrecken und Bestürzung? Dieser Satz hörte sich so an, als wäre Herr Adrian erst kürzlich von einer jahrelangen einsamen Wanderung auf den Fußstapfen Sven Hedins durch die Weiten Tibets in heimatliche Gefilde zurückgekehrt. Richtig ist doch wohl, dass gerade er als allmächtiger örtlicher Presseboss „die tatsächlichen Verhältnisse“ aus dem FF kennen müsste. War dieser Satz nur der Einstieg zur gezielten Verwaltungs- und Parteienschelte? Gar nur mit der Zielsetzung, so auch mit dem von ihm wohl ungeliebten Oberstadtdirektor „abrechnen“ zu können und ihn so gegebenenfalls zum vorzeitigen Ausscheiden zu animieren? Zwar strafte er auch die Landes- und Bundespolitiker wegen nicht erfolgter Kontaktaufnahme zur Wirtschaft und die Verwaltung wegen „Sprachlosigkeit“ ab. Nur dass Adrian dabei ausdrücklich den Landtagsabgeordneten Wilfrid Adam ausklammerte, müsste eigentlich sämtliche Alarmglocken bei jedem Sozi klingeln lassen.

Wem nützte solch ein Rundumschlag, abgesehen davon, den Oberstadtdirektor vorzeitig in die Wüste zu schicken? Wohl niemandem, denn nach dieser Breitseite gegen Politik und Verwaltung dürfte sich das Verhältnis zur Wirtschaft künftig kaum bessern. Armer Nachfolger.
Doch nun geht bekanntlich ein Boxkampf bei den Amateuren über drei Runden. Jetzt wird es spannend: Wer läutet nun die entscheidende dritte Runde ein?
Werden es die eigenen Genossen unter der heimlichen Regie des Oberbürgermeisters Eberhard Menzel – nach Hörensagen ein Intimfeind Schreibers – sein, die von der bisherigen Hinterzimmermauschelei nun zum offenen Angriff übergehen?
Oder werden es unmittelbar Nachgeordnete aus Schreibers eigener Verwaltung sein, die mit politischer Unterstützung den Versuch unternehmen werden, eine – verwaltungsrechtlich legitime – Abwahl Schreibers zu organisieren?
Oder wird die Ortspresse bald noch einmal eine kräftige Schippe nachlegen?

Der Oberstadtdirektor hat harte Zeiten vor sich. Viel Unterstützung wird er aus der SPD-Fraktion und Ortsparteiführung nicht erwarten können.
Doch augenblicklich scheint’s eher so zu laufen, dass alle „Schreiber weg“-Rufer sich bis 2002 werden gedulden müssen. Schreiber wird seinen Stuhl nicht ohne weiteres vorzeitig räumen. Hinzu kommt, dass Arno Schreiber bekanntlich „ein echten Oldenbörger Jung“ ist, und die Oldenburger haben nicht nur die allseits bekannten großen Füße, sondern auch den sprichwörtlichen Oldenburger Dickschädel.

„Wer 1990 nicht hören wollte, muss bis 2002 fühlen“, werden jetzt all diejenigen sagen, die schon 1990 vor einer Verlängerung seiner Amtszeit gewarnt hatten.
Schaun mer mal!

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