Schluß mit Lustig
Im Schaukampf um eine Bronze setzte das Stadtoberhaupt den antifaschistischen Konsens aufs Spiel
(iz) Weit rechts überholt fühlten sich ernsthafte und aufrechte Antifaschist/innen von den Äußerungen Eberhard Menzels in seiner Presseerklärung „Recht der Mehrheit beschnitten“ (WZ v. 21.12.94). Tief betroffen schickten sie dem Stadtoberhaupt einen offenen Brief der auch dem SPD-Unterbezirk, allen Ratsmitgliedern und der WZ zuging. Im Gegensatz zu Menzels Presseerklärung wurde der Brief nicht abgedruckt. Der GEGENWIND veröffentlicht im folgenden den vollständigen Text.
„Der Oberbürgermeister behauptet in seiner Presseerklärung, die sich mit den Störungen bei der Einweihung des Denkmals für Wilhelm I. befaßt, mehrfach die Unwahrheit. Gleichzeitig läßt die Presseerklärung Fragen nach dem Umgang des Stadtoberhauptes mit Menschen aufkommen, die nicht seiner Meinung sind.
- Der Oberbürgermeister unterstellt, „dass die Protestierer unter dem Vorwand, es finde eine Veranstaltung der rechten Szene in Wilhelmshaven statt, aus der gesamten Weser-Ems-Region nach Wilhelmshaven geholt“ worden seien. Wahr ist jedoch, dass der antifaschistische Aktionstag schon in den ersten Dezembertagen für den 17. Dezember festgelegt wurde, was alle Anwesenden der Vorbereitungstreffen bezeugen können. Wir wollten auf die bedenkliche Häufung der Treffen von Rechtsextremen in der Jadestadt in jüngster Zeit hinweisen, insbesondere auf ein für diesen Tag geplantes „Konzert“, das dann aber nicht stattfand. Die Fußgängerzonen-Stände für den Antifa-Tag wurden ab dem 8. Dezember beim Ordnungsamt der Stadt Wilhelmshaven angemeldet. Der Termin der Denkmalsfeier hingegen wurde erst danach bekannt. Die Stadt selbst hat ihn also auf unseren Aktionstag gelegt. Natürlich wurde auch niemand „nach Wilhelmshaven geholt“, denn die kooperierenden überregionalen antifaschistischen Organisationen betonen die Notwendigkeit antifaschistischer Aktivitäten in Wilhelmshaven am deutlichsten. Nirgendwo sonst in Weser-Ems nämlich ist es möglich, daß die Rechten unbehelligt ihre Treffen abhalten, wie beispielsweise am 19. November 1994 geschehen, als 250 von ihnen die Innenstadt bevölkerten. Geradezu absurd ist es anzunehmen, Antifaschistinnen würden sich wegen einer Bronze nach Wilhelmshaven „holen“ lassen.
- Gegen den Beschluß, das Wilhelm-I.Denkmal wiederzuerrichten, hat es in Wilhelmshaven einen Protest zahlreicher Einwohner gegeben, die gleichzeitig auch die Ausschaltung von Stadtrat und Kulturausschuß durch den Verwaltungsausschuß monierten. Der Oberbürgermeister hat sich in den letzten eineinhalb Jahren sehr stark für das Denkmal engagiert. Er behauptet nun über die Wortführer der Kritik, sie hätten „seit Monaten mit schlimmen Polemiken und zum Teil haßerfüllten Veröffentlichungen den Nährboden für die Ausschreitungen bereitet“ und rückt die Anmelder der Innenstadt-Stände für den Antifa-Tag, allesamt ebenfalls Wilhelmshavener, in die Nähe von „gewaltbereiten Personen“. Wortführer und Ständeanmelder sind für den Oberbürgermeister die Personen, die die „gewaltbereiten Chaoten“ nach Wilhelmshaven geholt hätten.
Es entsteht insgesamt der Eindruck, als wolle der Oberbürgermeister den Konsens der Demokraten im Kampf gegen Rechts dem Streit um eine Bronze opfern. Anstatt zu realisieren, daß sich in seiner Stadt eine rechtsradikale Szene etabliert, diffamiert er die antifaschistischen Kräfte und schreckt dabei auch vor wahrheitswidrigen Behauptungen nicht zurück. Sein Ziel scheint zu sein, die zahlreichen Kritiker der wilhelminischen Rathauspolitik zur angereisten Minderheit zu erklären und mit dem Feindbild vom autonomen Bürgerschreck in die gewalttätige Ecke zu stellen. Durch derartige öffentliche Signale schadet er der antifaschistischen Arbeit in Wilhelmshaven.
Wenn ein Oberbürgermeister Einwohner seiner Stadt gegen alle Fakten zu Luntenlegern von Gewalt erklärt, muß er sich fragen lassen, ob er weiß, welches Amt er innehat.
Ein Stadtoberhaupt hätte nämlich in der Debatte um das Denkmal ausgleichen müssen, anstatt dermaßen einseitig Partei zu beziehen. Andersdenkenden „Haß“ zu unterstellen, zeugt entweder von fehlender Toleranz oder von geringer Vertrautheit mit den Spielregeln demokratischer Streitkultur – beides Eigenschaften bzw. Fähigkeiten, die der Träger eines solchen öffentlichen Amtes besitzen sollte.
Wenn ein Oberbürgermeister – und das ist der Punkt – sich über antifaschistische Arbeit in der Stadt seiner Verantwortung dermaßen äußert, so muß er sich fragen lassen, ob er damit nicht ungewollt den Faschisten Schützenhilfe leistet.
Ein Oberbürgermeister hätte unserer Auffassung nach am Aktionstag teilnehmen müssen (dann wäre ihm auch nicht entgangen, daß dieser tatsächlich stattgefunden hat und auch während der Wilhelm I.-Aufstellung entsprechende Informationen und Aktionen auf dem Börsenplatz angeboten wurden), anstatt antifaschistische Arbeit in Wilhelmshaven pauschal zu diskreditieren.
Die SPD sollte sich fragen, ob ihr prominentes Mitglied mit diesem Verhalten noch die Bürgerinnen und Bürger Wilhelmshavens und die Stadtpolitik der SPD repräsentiert. Wir hoffen, daß der Wilhelmshavener Oberbürgermeister, der zu Beginn seiner Amtszeit anders redete und handelte, seinen künftigen Weg zu korrigieren weiß, und wollen mit diesem offenen Brief darauf hinwirken.
Der Beschluß für den offenen Brief wurde vom Antifaschistischen Bündnis Wilhelmshaven am 11. Januar 1995 gefaßt. Das Antifaschistische Bündnis ist ein nicht institutionalisierter, von Parteien oder anderweitigen Interessensgruppen unabhängiger Zusammenschluß politisch interessierter und aufmerksamer Wilhelmshavener Bürgerinnen und Bürger.
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