NPD-Demo 6
Apr 012004
 

Die Jugend, die Presse und der Oberbürgermeister

Nicht nur die SprecherInnen des Bündnisses gegen Rechts waren erfreut, dass der Widerstand gegen den Naziaufmarsch von einer großen Zahl Jugendlicher getragen wurde. Lange schien es, als müssten im ehrenamtlichen Bereich die Alt-68er bis ins Rentenalter allein für Arbeit, Frieden, Umweltschutz kämpfen. Weit gefehlt! Unter dem Thema “Was ist nur mit der Jugend los?” stellten sich im letzten Gegenwind gleich drei neue Jugendgruppen vor, die sich in Wilhelmshaven politisch engagieren wollen. VertreterInnen dieser Gruppen waren auch beim Bündnis gegen Rechts präsent, dazu kam vor allem das SchülerInnenbündnis Wilhelmshaven, aber auch weitere Jugendliche, die mit viel Engagement und Kreativität bei den Vorbereitungen mitwirkten: Seien es regelmäßige Infostände in der Innenstadt, Infoveranstaltungen, das Malen von Transparenten oder das Verteilen von Handzetteln an die BürgerInnen.

Von anderer Seite blies den jungen BürgerInnen jedoch kalter Wind ins Gesicht. In Presseverlautbarungen wurde ihr friedvolles Engagement mit „gewaltbereiten Autonomen” vermanscht. „Autonom” heißt ja erst mal, dass jemand nicht unter dem Dach oder im Auftrag einer Partei oder anderer Organisation agiert. Die Gewaltbereitschaft erstreckt sich in der Regel auf das Werfen von verfaultem Obst bis hin zu Steinen, manchmal auch Vorstöße auf Polizisten, die wegen deren körperlicher und mengenmäßiger Überlegenheit und Bewaffnung allenfalls symbolischen Charakter besitzen. Hass auf Faschisten, deren Anhänger vor Menschenleben nicht Halt machen, schürt Aggressionen, die sich dann schon mal am Bollwerk festmachen, das den eigentlichen Feind abschirmt: die Polizisten, die ihren Job machen.
Damit soll Gewalt nicht verharmlost oder gutgeheißen werden. Die große Mehrheit der jungen AntifaschistInnen lehnt gewaltsames Vorgehen wie auch Alkoholkonsum während Demonstrationen entschieden ab. Aber wenn man sich, wie Pastor Ehlers, mit der Psyche von Jungnationalisten auseinandersetzt, dann haben junge AntifaschistInnen mindestens das gleiche Recht darauf, dass man mal hinter die Fassade ihrer Aggression schaut.
Sie sind wütend, weil sie die Welt nicht mehr verstehen. Sie haben sich in der Schule, in den Medien, im Elternhaus informiert. Sie wissen, was im 3. Reich geschehen ist, dass das nie wieder passieren darf und jede Entwicklung in dieser Richtung schon im Keim erstickt werden sollte. Sie nehmen zur Kenntnis, dass die etablierten Parteien sich von Neofaschisten abgrenzen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass ihre Engagement gegen NPD & Co. gesellschaftlich untermauert ist.
npd_aufmarsch_5Und dann erfahren sie, das der braune Aufmarsch auf kurzem Wege genehmigt wird, sehen, wie er vom Staat geschützt wird, Auflagen hintertrieben, menschenverachtende Parolen geschleudert und verbotene Lieder gesungen werden dürfen.
Was haben sie erwartet? Dass der Staat den Staat und seine BürgerInnen vor Entwicklungen schützt, die er in Wort und Schrift ablehnt. Sie sind enttäuscht, verzweifelt. Selten entlädt sich ihre Wut im Steinewerfen, oft aber verbal. Sie schimpfen auf den Oberbürgermeister der Stadt. Der ist beleidigt und verlässt die Kundgebung. Er ist erwachsen, die jungen Leute sind gerade dabei, es zu werden. Er sollte über den Dingen stehen, sie mal von der anderen Seite betrachten. Warum wird er beschimpft? Wäre es seinen jungen BürgerInnen egal, was er sagt und tut, würden sie ihn ignorieren. Ist es aber nicht. Sie erwarten von ihm Bestätigung. Nicht für Steinewerfer, aber für ihr fried- und machtvolles Engagement. Sie wünschen sich, dass er einer der Ihren wäre. Sie wünschen sich Vorbilder, die an wichtigen Schaltstellen in Politik und Verwaltung das ihre tun für den gemeinsamen Kampf gegen die Nazibrut. Sie fühlen sich im Stich gelassen.
Eine kleine Aufmunterung hätte gut getan. Der erste Bürger der Stadt braucht kein “Signal” von den Veranstaltern der Gegenkundgebung, um zu seinen jungen BürgerInnen zu sprechen. Es ist selbstverständlich, dass er ans Mikrofon geht, das jedem offen steht.

Ein sehr friedlicher junger Antifaschist gab uns seine Eindrücke vom 20. März wieder:
  • Die Jugend ist grundsätzlich keine homogene Gruppe, es gibt also nicht „die Jugend”; viele Jugendliche sind relativ unpolitisch, fast der ganze Rest ist politisch gesehen weder extrem links noch rechts, es gibt kaum „revolutionäres Potenzial”
  • die meisten waren da, weil sie ganz klar gegen Nazis sind
  • viele waren wohl auch ein bisschen “sensationsgeil”, man will einfach mal gucken, um nichts zu verpassen; ist es nichts Besonderes, geht man wieder nach Hause
  • Einige wenige wollen ein bisschen Krawall machen, sie sind wohl auch gegen Nazis, aber nicht unbedingt politisch motiviert, es geht um Spaß, diese sind aber wirklich sehr wenige
  • Die meisten von diesen Wenigen sind durch die Polizeipräsenz eingeschüchtert – die offene Konfrontation sucht (fast) keiner
  • Ein paar versuchen bei der Kundgebung gegen die Polizei zu hetzen, sind aber häufig selbst nicht gewaltbereit
  • Es gibt sicher auch solche, die relativ unpolitisch sind, aber gesehen werden wollen. Sie sind modebewusst, finden es cool, ein bisschen “alternativ” zu sein
  • Insgesamt bin ich froh, dass es kaum zu Gewalt gekommen ist, ich weiß allerdings nicht, ob die Jugend (jetzt sag ich’s schon selbst…) so diszipliniert war oder ob die Polizeipräsenz zu beeindruckend war. Ich bin jedenfalls froh, dass nur so wenige Flaschen geflogen sind. Bei der Kundgebung sein fand ich sehr wichtig, einfach möglichst viele Leute zusammen zu haben, die gegen die Nazis sind. Man muss schließlich dokumentieren, dass man die hier nicht haben will. Danach hätte man auch ruhig nach Hause gehen können. … Am besten wäre es gewesen, man hätte es geschafft, die NPD zu verbieten, dann hätten wir die Probleme nicht und das Geld hätte für andere Zwecke ausgegeben werden können.

Fazit: Es wäre sinnvoll, wenn die Verantwortlichen und Meinungsführer unserer Stadt / unseres Staates zukünftig auf die Schubladen „friedliche BürgerInnen” versus „gewaltbereite junge Autonome” verzichten würden. Wem der Kampf gegen den Neofaschismus wirklich wichtig ist, der sucht statt Unterschieden besser Gemeinsamkeiten der bunten Nazi-Gegnerschar.
Die „Altlinken” sind jedenfalls begeistert, dass eine neue Generation von Jugendlichen ihr politisches Wissen und Bewusstsein mit eigener Frische und Kreativität in sinnvolles Engagement umsetzt. Dafür verdienen sie Lob und Respekt! (iz)

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