Novemberrevolution
Nov 192008
 

Wem ham se die Krone jeklaut?

Eine fröhliche Veranstaltung zum 90. Jahrestag der Novemberrevolution

(noa) Die Frage, ob die Revolution vom November 1918, die mit der Meuterei der Heizer und Trimmer auf dem Linienschiff „Thüringen“ ihren Ausgangspunkt in Wilhelmshaven hatte, ein Sieg oder eine Niederlage für die Arbeiterbewegung war, wird auch innerhalb der Partei DIE LINKE kontrovers diskutiert.


ThüringenDieser Unterschied in den Einschätzungen spiegelte sich auch in der Veranstaltung der linken Landtagsfraktion am 8. November im Kreuzelwerk. Dr. Manfred Sohn, Fraktionsvorsitzender im Niedersächsischen Landtag, sah allen Grund zum Feiern, während Wolfgang Gehrcke (MdB) seinen Beitrag mit den Worten „Trotz alledem“ überschrieben hatte, die Revolution als gescheitert bezeichnete und ihren Untergang schon auf Januar 1919, als Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet wurden, datierte.
Für Sohn war es das Ziel der Veranstaltung, „das Bewusstsein, dass wir, die sogenannten einfachen Menschen, es sind, die Geschichte schreiben“, zu wecken. Die Zeit vor dem 30. Oktober 1918 – dem Tag, an dem die Heizer und Trimmer der kaiserlichen Hochseeflotte das Auslaufen zur Schlacht gegen die Royal Navy unmöglich machten – war gekennzeichnet von Elend, Armut und Krieg, und über allem thronte der Despot Wilhelm II. Armut, Elend, Krieg und den Kaiser hat die Revolution abgeschüttelt.
„Nehmen wir uns vor, möglichst oft so mutig zu sein wie die Matrosen der ‚Thüringen’ – wir könnten, ohne es zu wissen, eine Revolution beginnen“, sagte Sohn, bevor er das Wort an Gehrcke weitergab.
Dieser zog die von dem konservativen Historiker Sebastian Haffner gezeichnete Traditionslinie von den Freikorps (die Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordeten), dem deutschen Militär und der deutschen Großindustrie zu Hitler nach. Doch: „Lebendig geblieben ist aber auch die demokratische Traditionslinie“, sagte Gehrcke, und: „Die Novemberrevolution war die Geburtsstunde der Demokratie in Deutschland.“
Der Auftrag für DIE LINKE, der sich aus der gescheiterten Novemberrevolution für Gehrcke ergibt, besteht darin, auf neue Weise die Spaltung, die den Faschismus ermöglichte, aufzuheben – „Das heißt programmatisch: Nein zu Kriegen, Kampf um soziale Gerechtigkeit und Gleichheit, ein Sozialismus, für den Demokratie konstituierend ist. Kleiner geht die Aufgabe nicht.“
Prof. Dr. Herbert Schui (MdB) verblüffte die, die ihn kennen, mit dem Bekenntnis, dass sein Lieblingsautor Sigmund Freud ist, der den psychischen Mechanismus der Verdrängung entdeckt und beschrieben hat – und die Tatsache, dass die Stadt Wilhelmshaven wie auch die Bundesrepublik Deutschland der Novemberrevolution nicht gedenken, bezeichnete Schui als einen Akt der Verdrängung. An Revolution soll das Volk nicht denken, es soll sich brav regieren lassen. Und auch bei der Frage, ob Demokratie den 1. Weltkrieg verhindert hätte (nicht sicher, meint Schui), machte er eine Anleihe bei Freud und dem von ihm postulierten „Destruktionstrieb“, „der dem Krieg Vorschub leistet, der es den Interessierten ermöglicht, ihn zu beginnen, ohne dass das Volk Widerstand leistet.“
Novemberrevolution 1Und nach dieser Feststellung zitierte Schui noch einmal Freud, der dem Destruktionstrieb das „Gemeingefühl“ entgegensetzt, und übersetzte dieses mit „Klassenbewusstsein“ oder „Solidarität“.
Auch die Frage „Rätesystem versus Parlamentarismus“, die Sohn in seinem Vortrag aufgeworfen hatte, wird in der LINKEN kontrovers diskutiert, und diese Frage war eine der vielen, die in der anschließenden Diskussion vertieft wurden.
Dafür, dass die Veranstaltung zum Gedenken und zur Feier der Revolution nicht nur theoretisch anspruchsvoll und zu vielen weiteren Diskussionen anregend, sondern auch ausgesprochen fröhlich geriet, sorgte das musikalische Rahmenprogramm der friesisch-ostfriesischen Band „Laway“, die mit einem Spottlied auf Kaiser Wilhelm II. die Idee zum Titel dieses Beitrages lieferte.
Die vollständigen Referate von Sohn, Gehrcke und Schui wie auch der Vortrag des Wilhelmshaveners Werner Dalichow, der die Vorgänge in Wilhelmshaven in der Revolution aus Berichten seiner Großeltern kennt, werden in Kürze in einer Broschüre veröffentlicht werden.

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