Notfallhafen
Jan 082003
 

Ist es denn die Möglichkeit!?

Nach ‚Pallas’ und ‚Prestige’: Hektisches Gewurschtel nach langjährigen Versäumnissen.

(hk) Die Havarie des mit 77.000 Tonnen Schweröl beladenen Tankers „Prestige“ vor der galizischen Küste gab auch der Diskussion um die Situation an der Nordseeküste neuen Brennstoff. Denn: Trotz aller Beteuerungen, dass bei uns so etwas nicht passieren kann, man hier auf einen solchen Fall bestens vorbereitet ist usw., wissen alle, dass wir hier täglich mit einer solchen Bedrohung leben – einer Bedrohung mit noch weitaus schwieriger zu meisternden Folgen als an der spanischen Küste: Das Wattenmeer wäre in kürzester Zeit von einer Ölschicht bedeckt.Doch so richtig im Griff hat man das Problem bei weitem noch nicht. Statt dessen werden mit den angelaufenen Baugenehmigungen für großflächige Windparks mit Kilometer langen Windmühlenalleen dicht entlang der Schifffahrtsrouten und Tiefwasserwege für Supertanker neue Risiken in Kauf genommen…

Die Auswirkungen einer Ölkatastrophe werden hier an der Küste seit Jahrzehnten diskutiert. Das Mitteilungsblatt der Aktionskonferenz Nordsee „Waterkant“ dazu in seiner Dezember-Ausgabe:
„Havarierte ein solcher Tanker vor der deutschen Küste, wären inzwischen zwar ausreichend Notschlepper vorhanden, um ihn in Sicherheit zu bringen. Innerhalb von zwei Stunden, so sieht es das Konzept des Bundesverkehrsministeriums vor, kann ein Notschlepper beim Havaristen sein. Aber dann? Wohin mit ihm? Diese Frage ist bis heute nicht geklärt. Ihn einfach von der Küste wegzuschleppen, darf keine Lösung sein, damit würden die Meere einmal mehr zur Müllkippe erklärt, in diesem Fall für marode Tanker.
Im Dezember 1994 stellte die vom Bundesministerium für Verkehr (BMV) eingerichtete »Expertengruppe Schadstoffunfallbekämpfung« unter Beteiligung von Fachleuten der deutschen Chemie-Industrie, der Hafen- und Transportwirtschaft sowie von Schlepp- und Bergungsreedereien fest, »die Verfügbarkeit eines ,Safe Haven’ (sei) das unverzichtbare Endglied des ,wasserseitigen‘ Teils der gesamten Schadstoffunfallbekämpfung schlechthin«. Weiter aber hieß es deutlich: »Gegenwärtig ist ein Hafen mit den beschriebenen operationellen, baulichen und technischen Voraussetzungen in Deutschland der Expertengruppe nicht bekannt.« Ein Teil der vom BMV nach der »Pallas«-Strandung eingerichteten Projektgruppe »Maritime Notfallvorsorge« widmete sich dieser Nothäfen-Thematik und erarbeitete eine »Entscheidungsmatrix mit Kriterien für die Ausweisung und Zuweisung von Notliegeplätzen« sowie ein Verzeichnis aller deutschen Notliegeplätze, Reeden und als Nothäfen geeigneter Seehäfen. Allerdings sind eben diese Kriterien oder weitere Ergebnisse der Recherchen dieses Projekts bis heute nicht veröffentlicht worden, da der offizielle Abschlussbericht immer noch nicht vorliegt. Möglicherweise deckt der Bericht der Teilprojektgruppe so viele (weitere) Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte auf, die die für die Notfallvorsorge zuständigen Behörden verbockt haben, dass einige Durchläufe im bürokratischen »Weichspül-Programm« und ein intensives »(Ver-)Wässern« erforderlich sind?

Gefahr erkannt…

Kurz nach der Havarie der Prestige schaltete sich das Wasser- und Schifffahrtsamt Wilhelmshaven in die Diskussion ein. Dessen Leiter, Holger Alker, berichtete in der Wilhelmshavener Zeitung vom 21. November 2002 über Aktivitäten seines Amtes: „Das Vorhaben sieht eine Dalbenreihe zwischen Hooksiel und Minsener Oog vor. Dort könnten havarierte Schiffe für nötige Reparaturarbeiten festmachen. Die Notliegestelle umfasse auch eine Anlegestelle für ein weiteres Schiff, das laut Alker das Öl des Havaristen abpumpen könnte.
Die Vertäuung an einer Notliegestelle biete bessere Möglichkeiten für Arbeiten an beschädigten Schiffen als wenn diese vor Anker liegen. Voraussetzung für den Nothafen sei ein Standort im tieferen Wasser. Alker erwartet, dass eine Umsetzung des Vorhabens kurzfristig beschlossen wird.“
Wir erwarteten nach der Veröffentlichung des Vorhabens in der Wilhelmshavener Zeitung eigentlich einen Aufschrei der vom Fremdenverkehr abhängigen Gemeinden Wangerland, Wangerooge und Butjadingen, denn genau vor deren Stränden soll die Notliegestelle gebaut werden. Aber angesichts der Katastrophe an Spaniens Küste hielt man sich bedeckt.

An der Jade bietet sich eine bessere Möglichkeit an

4_EinfahrtZumindest für Schiffe, die keine explosiven oder giftigen Gase emittieren, bietet Wilhelmshaven eine viel bessere Möglichkeit: Die Doppelschleuse an der 4. Hafeneinfahrt. In eine dieser Schleusenkammern könnte ein Havarist eingedockt werden. Hier bestehen die besten „operationellen, baulichen und technischen Voraussetzungen“ dafür, den Havaristen unter der geringst möglichen Umweltbelastung wieder flott zu machen. Die Drempeltiefe der Seeschleuse beträgt 11,40. Der Tidenhub an der Schleuse beträgt 3,80 Meter. Wenn man nun noch die berühmte „Handbreit Wasser unterm Kiel“ abzieht, könnte ein Tanker mit einem Tiefgang von bis zu knapp 15 Metern dort eingeschleust werden. Dieser Tiefgang wird nur von ganz wenigen die deutschen Häfen (Wilhelmshaven, Hamburg, Brunsbüttel) anlaufenden Schiffen überschritten.
Tanker mit größerem Tiefgang könnten an den Brücken der Wilhelmshavener Raffinerie bzw. der NWO geleichtert werden. Das hat den Vorteil, dass das Leichtern dort einfacher, schneller und sicherer möglich wäre. Warum erst das Öl in ein anderes Schiff umpumpen, wenn in Sichtweite des vorgeschlagenen Notliegeplatzes eine perfekte Technik für dieses Vorhaben vorhanden ist? Weshalb also bei solchen Möglichkeiten eine Dalbenreihe vor den Stränden von Horumersiel und Schillig?

Wohin mit dem Ölschlamm?

In diesem Zusammenhang muss natürlich auch die Frage nach dem Verbleib von Ölschlämmen gestellt werden. Vor knapp zehn Jahren begann die Stadt Wilhelmshaven damit, eine offene Ölschlammdeponie mit drei Schlammbassins in enger Nachbarschaft zu Marktkauf, dem Geniusstrand und Voslapp bauen. Das Vorhaben wurde nach Fertigstellung eines Beckens gestoppt, weil keine Baugenehmigung vorlag. Der Bau des fertig gestellten Beckens wurde nachträglich als „Herstellung eines Erdbeckens für Übungs- und Demonstrationszwecke des Katastrophenschutze“ deklariert. Der Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz Niedersachsen (LBU), der damals, als das erste Becken schon fertig war, zu einer Stellungnahme aufgefordert wurde, teilte seine Befürchtung mit, dass von der Deponie große Mengen von Schadstoffen in die Atmosphäre gelangen und stellte die Frage, ob diese Schadstoffkonzentrationen für die Nachbarschaft unbedenklich seien und welche Vorkehrungen eingeplant seien, um eine Explosions- bzw. Feuer- und Giftgaskatastrophe zu vermeiden. Anschließend machte der LBU die Stadt darauf aufmerksam, dass es drei riesige von der Atmosphäre abgeschottete Öllager an der Jade gäbe, in welche das Öl-/Wassergemisch gepumpt werden könne: Jeweils ein Tank der Tanklager der Wilhelmshavener Raffinerie bzw. der NWO oder eine Salzkaverne bei Coldewei müsste ausreichen, um den Schiet umweltneutral zwischen zu lagern.
Wilhelmshaven bietet also mit seiner großen Seeschleuse, den Umschlagbrücken und der Pipeline-Anbindung an unbedenkliche Zwischenlager, vergleichsweise optimale Bedingungen als ‚Save Haven’ für bestimmte Schadensereignisse in der Deutschen Bucht. Es geht jetzt darum, diese Möglichkeiten festzuklopfen und sich auf eine täglich mögliche Katastrophe vorzubereiten. Wilhelmshaven könnte einige der geforderten operationellen, baulichen und technischen Voraussetzungen erfüllen.

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