Nix mehr Öko!
Feb 101998
 

Die Auferstehung der Betonköpfe

Die Ökogemeinde Schortens speckt ab

(red) Wir befinden uns im Jahre 1990 n. Chr. Die ganze Republik ist von Umweltzerstörern besetzt … Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Friesen bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die Wirtschaftslegionäre, die als Besatzung in den befestigten Lagern Babaorum, Accum und Wilhelmshaven liegen … Wir schreiben das Jahr 1998. Hat der Zaubertrank jetzt doch versagt? Die ökologischen Errungenschaften der kleinen Gemeinde Schortens scheinen den Bach runterzugehen.

Das waren noch Zeiten: Die AEG Olympia in Roffhausen warf, nach Übernahme durch die Daimler Benz AG, erkleckliche Gewerbesteuer an die Standortgemeinde Schortens ab, die zum Wohle der BürgerInnen investiert wurde. Das reichte nicht nur für den Gästemagneten Freizeitbad und die längst fällige Ortskernsanierung: Bahnbrechend für eine 20.000-Seelen-Gemeinde richtete ein weltoffener SPD-Bürgermeister (Peter Torkler), flankiert von einem fachlich versierten Parteigenossen (Udo Borkenstein), einer engagierten grünen Ratsfrau (Utta Schüder) und einem innovativen und kreativen Gemeindedirektor (Wolfgang Schmitz) und mit mehrheitlicher Unterstützung aller Ratsmitglieder ein eigenes Umweltamt ein. Wohlgemerkt ohne gesetzliche Verpflichtung, wie sie z. B. für die Einsetzung kommunaler Frauenbeauftragter besteht.
Und es war ihnen, gemessen an der personellen, räumlichen und finanziellen Ausstattung, wirklich ernst. Neben Anträgen von BürgerInnen und Ratsmitgliedern wurden auch Vorschläge der beschäftigten Umwelt-Fachleute einschließlich ABM-Kräften tat- kräftig unterstützt. Nicht zuletzt durch das Engagement der KollegInnen aus anderen Ämtern einschließlich Bauhof wurde Natur- und Umweltschutz eine wirklich querschnittsorientierte Aufgabe der Gemeinde. Diese Vorreiterrolle sprach sich herum, über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus, und machte Schule.
Erste grundlegende Maßnahmen waren die Einführung der Baumschutzsatzung und damit einhergehend die Erstellung eines Baumkatasters. Die kommunale Umweltverträglichkeitsprüfung für Beschaffungen und für Bau- oder sonstige Vorhaben wurde von der andernorts üblichen Fragebogenebene zu einem qualitativen Verständnis aller Beteiligten entwickelt. Unter anderem wurden Alternativen zu umstrittenen Baustoffen z. B. aus PVC geprüft, und nicht zuletzt angesichts aktueller Schadensfälle beschloss der Gemeinderat einen generellen PVC-Verzicht. Landwirtschaftliche Betriebe fanden Beratung und finanzielle Unterstützung, die ihre Gewässerrandstreifen ökologisch bewirtschaften oder den ganzen Betrieb auf ökologische Landwirtschaft umstellen wollen. Ostersamstags durchforsteten Ordnungs- und Umweltamt die angemeldeten Osterfeuer und stellten sicher, dass die BürgerInnen weiterhin ihre Tradition pflegen und Spaß haben konnten, ohne dass Mensch und Umwelt durch eingebrachte Abfallstoffe Schaden erlitten.

Bei der Anschaffung eines Geschirrmobils (zur Vermeidung von Einweggeschirr bei Veranstaltungen), das in Kooperation mit dem Wilhelmshavener Umweltamt projektiert wurde, behielt die kleine Gemeinde die Nase vorn, indem sie sich zuerst für die Investition entschloss. Der Schortenser Schredder rollte als einer der ersten durch die Gemeinde und wandelte Gartenabfälle in wieder verwertbare Pflanzenstoffe um. In enger Kooperation zwischen Umweltamt, Lehrern, SchülerInnen, Eltern und Hausmeistern wurden die gemeindeeigenen Schulhöfe von Betonwüsten zu Lebensräumen umgestaltet. Der Schortenser Ökomarkt konnte sich nach gelungenem Start etablieren. Eine ökologische Partnerschaft mit der ungarischen Gemeinde Nagybajom sollte Erfahrungen und Errungenschaften multiplizieren: „Global denken – lokal handeln“ hieß das Schortenser Prinzip, das gerade jetzt im Sinne der weltweiten „Agenda 21“ aktueller denn je ist.
Ist – oder war? Der positive Rückblick wäre beliebig zu ergänzen, doch die Fortsetzung ist mehr als fraglich. Als sich eben konstruktive Routine einstellte, machte die AEG Olympia dicht – die Gewerbesteuer blieb aus, und bei knappen Kassen werden Soziales, Kultur und auch Umweltschutz von der Pflichtfürsorge zum Luxus degradiert. Die Ratsmehrheiten wechselten von rot-grün zu schwarz-bunt (CDU mit Unabhängiger Wählergemeinschaft, Bürger für Bürger und FDP). Und seitdem geht es dem Schortenser Umweltschutz an den Kragen, zuerst den populistisch interessantesten (weil sehr polemisch diskutierten) Themen wie Baumschutzsatzung und PVC-Verzicht.

Baumschutzsatzung gefällt
Die Argumente der Gegnerlobby sind nicht neu: Die Baumschutzsatzung enge das Selbstbestimmungsrecht des „mündigen“ Bürgers ein, der als Naturfreund keine überflüssige Fällung vornehmen würde. Baumschutzsatzungen sehen jedoch gerechtfertigte Aus- nahmen vor, und im Vordergrund steht die Beratung und Abstimmung mit dem Betroffenen z. B. über eine angemessene und zumutbare Ersatzpflanzung. Ist ein Bauteppich eingeschränkt, eine Terrasse durch Überschattung unbenutzbar oder der Baum nicht mehr standfest – keine Frage, dass der Baum weggenommen werden kann. Für Erhaltungsmaßnahmen gibt es finanzielle Unterstützung der Gemeinde. Was die Gegner ebenfalls nicht diskutieren, sind die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, das Recht aller Bürger/innen auf Grün und allgemeine Wohlfahrtswirkungen solch einer Satzung, z. B. die kostenlose Gartenberatung durch Fachpersonal im Rahmen der Baumbesichtigung (sowie ein Baumgeschenk der Gemeinde an jeden Bauherrn). Und mancher Bürger ist froh, seinen Baum mit Hilfe der Satzung retten zu können, nachdem der böse Nachbar oder Mieter damit jahrelang einen Nebenkriegsschauplatz besetzte. Diese Fakten gelten allerorten, wo die Baumschutzsatzung zum Bürgerkrieg wird, wo konservative Parteien die „Freiheit“ des Bürgers an solchen Marginalien festmachen (auf dass er wirkliche wesentlichen Einschränkungen in anderen Bereichen nicht wahrnimmt). Schade, dass sich auch die „Ökogemeinde“ Schortens nicht davon frei machen kann: Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Koalition unter CDU-Bürgermeister Herbert Lahl war, die Baumschutzsatzung zu kippen.
Und bald darauf fielen erhaltenswerte, ortsbildprägende Baumriesen der Kettensäge des „mündigen“ Bürgers zum Opfer. Umweltamt und private Naturschützer hatten Recht behalten – ein trauriger Triumph, auf den sie gern verzichtet hätten. Selbst die Baumschutzgegner der Mehrheitsgruppe kamen angesichts des Massakers ins Grübeln. Zu spät.

PVC gesundgebetet
Der Beschluss von 1990, neben anderen umstrittenen Baustoffen auch auf den Einsatz von PVC zu verzichten, war in unmittelbarer Nachbarschaft des Chemiegiganten ICI im Voslapper Groden besonders brisant. Da den fachlichen Argumenten so einfach nicht beizukommen war, drückte der Betrieb damals öffentlich auf die Tränendrüse: Jene Mitarbeiter, die in Schortens wohnten und dort Steuern zahlten, seien nun öffentlich geächtet und von Arbeitslosigkeit bedroht. Mit der gleichen Logik hätten Hersteller von Einweggeschirr auf die Anschaffung des Geschirrmobils reagieren müssen oder, großräumig betrachtet, müsste auch die Werbung der Deutschen Bahn als sittenwidrig verboten werden, angesichts von etwa 30% der deutschen Arbeitnehmer, die direkt oder indirekt von der Autogesellschaft leben …
Wurde die Baumschutzsatzung mit Verweis auf die individuelle „Freiheit“ abgeschafft, so hat sich die neue Schortenser Mehrheit jetzt ihre Freiheit auf kommunale Selbstbestimmung von einem Konzern abschwatzen lassen (beim Besuch im Voslapper Werk, wo man das Stereotyp des ach so sinnvollen Downcyclings von Fensterprofilen zu Parkbänken und Blumenkübeln, zusammen mit Tee und Gebäck, verinnerlicht hatte). Die Rücknahme des PVC-Verzichts wurde Anfang Februar im Bau- und Umweltausschuss beschlossen und wird, unter Umgehung des Rates, im Verwaltungsauschuss zementiert werden.
Als Nächstes steht die Osterfeuerverordnung auf der „schwarzen Liste“ – im Tausch gegen zwei „Brenntage“. Federführender Brandstifter all diesen Unsinns ist Mehrheitsgruppensprecher Janto Just. Um seiner „Beispielsfunktion“ Nachdruck zu verleihen, hat er jüngst seine Biotonne abgemeldet. Vielleicht sollte der Oberkreisdirektor mal nachschauen, was jetzt so alles in Justens Restmülltonne landet.
Nicht nur Umweltamtsleiterin Petra Kowarsch sprach deutliche Worte (die ihr Just persönlich ankreidete) zum pro-PVC-Beschluss, der bar jeglicher Sachargumente gefällt wurde: Gemeindedirektor Schmitz versprach den BürgerInnen, dass die Verwaltung weiterhin umweltverträglich arbeiten würde.

Macht wider besseres Wissen?
Bei alledem muss man sich vor Augen halten, dass das Gros der vergangenen Errungenschaften nicht von einer knappen rot-grünen Mehrheit durchgeboxt, sondern über weite Strecken von allen Fraktionen mitgetragen wurde. So fragt man sich, warum dieselben Leute jetzt den Finger für die andere Seite heben. Dieses Verhalten ist peinlich entlarvend und zudem ungemein kurzsichtig. Der Aufbau der Ökogemeinde Schortens hat eine Menge personeller und finanzieller Ressourcen verschlungen, die sich – so ist das nun mal in der Ökologie – erst auf lange Sicht auszahlen. Wird eine Struktur plötzlich gekappt – wie ein lange gewachsener und sorgfältig gepflegter Baum – sind alle vorangegangenen Investitionen zum Fenster hinausgeworfen. Der aktuelle Mehrheitsbeschluss für eine lokale „Agenda 21“ gerät zur Farce. Und das positive Image, das sich die Gemeinde in Fachkreisen bundesweit erarbeitet hat, wird zum Bumerang, der bei der Rückkehr an den Betonköpfen zerschellt.

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