Nie wieder Krieg
Sep 012019
 

"Lasst uns die Warnungen erneuern ... !"

Gedenkfeier zum Antikriegstag am Wilhelm-Krökel-Platz

Kranzniederlegung zum Antikriegstag 2019. Foto: Gegenwind

Kranzniederlegung zum Antikriegstag 2019. Foto: Gegenwind

(red) Am 1. September 1939 begann mit dem deutschen Überfall auf Polen der 2. Weltkrieg. In der Bundesrepublik Deutschland wird dieser Tag alljährlich als „Antikriegstag“ begangen. Die westdeutsche Initiative für diesen Gedenktag ging vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) aus, der erstmals am 1. September 1957 unter dem Motto „Nie wieder Krieg“ zu Aktionen aufrief. In Wilhelmshaven findet die Gedenkveranstaltung traditionell am Wilhelm-Krökel-Platz statt.

Der in Bant gebürtige Gewerkschafter, SPD-Kommunalpolitiker und Widerstandskämpfer Wilhelm Krökel starb 1945 im KZ Neuengamme. 1983 wurde der Platz an der Werft-/ Ecke Börsenstraße zum Gedenken nach ihm benannt, 1985 wurde an dem Platz das Mahnmal „Die andere Meinung“ errichtet. Zum Auftakt der Gedenkveranstaltung legte DGB-Regionsgeschäftsführerin Dorothee Jürgensen gemeinsam mit Axel Opitz, Vorsitzender des DGB Stadtverbands Wilhelmshaven, und seinem Stellvertreter Heinz Reinecke einen Kranz am Mahnmal nieder. In ihrer anschließenden Rede stellte Doro Jürgensen eindrücklich die Parallelen zwischen den Entwicklungen vor 80 Jahren und der aktuellen Weltlage her. Wir veröffentlichen sie deshalb hier in voller Länge.

Rede zum Antikriegstag 2019 in Wilhelmshaven

„Als die NS-Führung im März 1939 gegenüber Polen einen immer aggressiveren Konfrontationskurs einschlug, verschärften sich die deutsch-polnischen Spannungen. Polen lehnte den von der deutschen Regierung geforderten Anschluss der Freien Stadt Danzig an das Deutsche Reich ebenso ab wie den Bau von Verkehrsverbindungen durch den polnischen „Korridor“ nach Ostpreußen. Schon im April 1939 wies Hitler die Wehrmachtsführung an, einen Feldzug gegen Polen vorzubereiten.

Ab Frühjahr 1939 forcierte die NS-Propaganda mit Lügen die in großen Teilen der deutschen Bevölkerung sowieso schon vorherrschende anti-polnische Einstellung. Im August 1939 berichteten Zeitungen und Rundfunk fast täglich über angebliche polnische Grenzverletzungen und Gewaltakte an der in Polen lebenden deutschen Minderheit. Alles Lügen, mit dem der Überfall auf Polen als „gerechte Strafaktion“ gerechtfertigt werden sollte.

Am 22. August 1939 fanden sich in Hitlers Berghof auf dem Obersalzberg die Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Stabschefs sowie Kommandierende Generale und Admirale zu einer Besprechung ein. Hier teilte ihnen Hitler seinen Entschluss zum Angriff auf Polen mit, der zehn Tage später von der Wehrmachtsführung widerspruchslos in die Tat umgesetzt wurde.

Obwohl die polnische Staats- und Armeeführung von den deutschen Kriegsvorbereitungen und vom massiven Aufmarsch der Wehrmacht an der Grenze unterrichtet war, kam der tatsächliche Angriff in den frühen Morgenstunden des 1. September 1939 für sie überraschend.

Um 4:37 Uhr wurde die polnische Stadt Wielun (Vielien) von Sturzbombern angegriffen. (Sturzflieger vom Fliegerhorst Adelheide Delmenhorst waren dabei involviert). Erst eine Stunde später eröffnete das Schlachtschiff „Schleswig-Holstein“ das Feuer auf polnische Befestigungen auf der Westerplatte vor der Freien Stadt Danzig. Der Beginn des 2. Weltkrieges!

Mahnmal "Die andere Meinung" am Wilhelm-Krökel-Platz. Foto: Gegenwind

Mahnmal „Die andere Meinung“ am Wilhelm-Krökel-Platz. Foto: Gegenwind

Achtzig Jahre nach Beginn des grauenhaften Vernichtungskriegs der Nazis haben wir allen Anlass, am Antikriegstag daran zu erinnern, wohin das Wiedererstarken von blindwütigem Nationalismus und Militarismus, von Menschenfeindlichkeit und Rassismus führen kann.

Demokratie, Frieden und Freiheit sind keine Selbstverständlichkeit, sondern müssen entschlossen verteidigt werden.

Wir wissen: Unser Kampf gegen Faschismus, nationalistische Kriegstreiberei und besinnungsloses Wettrüsten ist längst nicht vorbei. Im Gegenteil: Wir leben heute in einer Welt, in der unser Einsatz für eine starke Friedensbewegung besonders gefordert ist.

Die aktuelle Weltlage ist geprägt durch Unsicherheit und Instabilität. Wir werden nicht nur Zeuge, wie ein neuer Aufrüstungswahn um sich greift, sondern sehen uns mit einer neuen nuklearen Bedrohung konfrontiert. In einer Zeit, in der alle Atommächte dabei sind, ihre Nuklearwaffen zu modernisieren, steigen die USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran aus und kündigen das Abkommen über nukleare Mittelstreckensysteme mit Russland. Für mich ein reiner Irrsinn … Trump spielt ein gefährliches Spiel. Mit Unwahrheiten, Hetze und rassistischen Äußerungen sät er Angst, Wut und Hass!

Es heißt, das erste, was im Krieg stirbt, sind Wahrheit und Anstand. Dieser Ausspruch ist meiner Meinung nach falsch: Anstand und Wahrheit sterben schon viel früher! Lügen, Hetze und Medien-Propaganda sind oft Wegbereiter für Kriege.

Der Beginn des 2. Weltkrieges basierte auf der Lüge der angeblichen polnischen Grenzverletzungen und Gewaltakte.

Im August 1964 begann der Vietnamkrieg, so hieß es, mit dem Torpedo-Beschuss des US-Zerstörer Maddox von vietnamesischen Schnellbooten aus. Heute wissen wir: Die Geheimdienstberichte waren eine glatte Lüge. Im Frühjahr 64 hatten die Militärplaner detaillierte Pläne für den Angriff auf den kommunistischen Norden erarbeitet – sie brauchten nur eben einen Vorwand … eben eine „kleine“ Lüge!

Die Begründung für den Irakkrieg 2003: wachsende Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen des Iraks. Es wurden keine Massenvernichtungswaffen gefunden – nur ein Irrtum? Oder war es wieder eine glatte Lüge!?

Ich könnte jetzt hier noch andere Kriege und angebliche Kriegsgründe aufzählen … Syrien, Afghanistan und die vielen, vielen anderen. Aber ich glaube es wird deutlich was ich sagen will: Kriege werden von Menschen gemacht – von mächtigen Menschen. Und ihnen ist es egal, wie diese Kriege zustande kommen.

Deshalb lasst uns Unwahrheiten aufdecken, lasst uns gemeinsam gegen Hetze und Hass aufbegehren. Lasst uns gemeinsam Politikerinnen und Politikern auf die Finger schauen. Wir haben eine Verantwortung. Ich bin der Meinung, wenn wir dies nicht wahrnehmen, tragen wir eine gewisse Mitschuld, an Elend, Flucht, Vertreibung und Krieg!

Liebe Freundinnen und Freunde der Friedensbewegung, auch die Bundesregierung ist in der Verantwortung: 130 Staaten haben den UN-Vertrag über das Verbot von Atomwaffen unterzeichnet, Deutschland noch nicht. Ich frage mich, worauf wartet die Bundesregierung noch? Von Politikerinnen und Politkern erwarte ich – nein: fordere ich, dass sie alles dafür tun, um sich für friedliche Lösungen einsetzen. Die Unterzeichnung dieses Vertrages gehört genau dazu und ist längst überfällig!

Welche Ausmaße das neuerliche Wettrüsten erreicht hat, zeigt sich bei den Militärausgaben. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs waren sie nie so hoch wie heute: Weltweit belaufen sie sich auf mehr als 1,6 Billionen Euro – ich wiederhole noch einmal, weil es so eine unfassbar hohe Summe ist: 1, 6 Billionen, also eine 1 und eine 6 gefolgt von 11 Nullen.

Betrug der deutsche Verteidigungsetat 2015 noch 33 Mrd. Euro, so ist er inzwischen auf 43,2 Mrd. Euro gestiegen. Wenn Deutschland die NATO-Vorgabe befolgt, seine Wehrausgaben bis 2024 auf zwei Prozent des BIP zu steigern, so läge der Rüstungsetat in fünf Jahren bei 85 Mrd. Euro.

Wir fordern die Bundesregierung auf, statt mit Unsummen das Wettrüsten anzuheizen, die dafür vorgesehenen Mittel in ein sozial gerechtes Deutschland und Europa mit nachhaltigen Zukunftsperspektiven zu investieren. Dieses Geld benötigen wir viel dringender für Bildung und Weiterbildung, für den Ausbau der Infrastruktur, also für Wohnen, ÖPNV, Schwimmbäder. Die Gelder sind besser investiert, wenn sie in die Krankenhäuser, Ärzte und Pflegepersonal fließen. Dieses Geld benötigen wir dringend um die Armut aktiv zu bekämpfen und wir benötigen dieses Geld für den Umweltschutz, denn wir haben nur diese eine Erde!

Ich finde es wichtig Milliarden für mehr soziale Gerechtigkeit und für sichere Zukunftsperspektiven für alle zu investieren, statt durch dieses Geld Leid, Elend und Tod billigend in Kauf zu nehmen! Zugleich sind soziale Gerechtigkeit, Investitionen in die Infrastruktur und Bildung, der Ausbau unserer sozialen Sicherungssysteme wie Rente und Gesundheit die wirksamste Antwort auf die Spaltungs- und Ausgrenzungsparolen von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten. Sie sind es, die gegen unsere Demokratie mobil machen! Sie haben unserer vielfältigen und weltoffenen Gesellschaft den Kampf angesagt an. Und mir wird angst und bang, wenn ich an die heutigen Wahlen denke. 20 % für AfD sagen die Prognosen voraus!

Die Rechtsextremisten schrecken vor Gewalt und Terror nicht zurück. Prügelattacken, Brandanschläge, Morde. Erst seit 1990 werden rechtsextreme Gewalttaten in Deutschland erfasst. Traurig aber wahr! Rund 170 Menschen sind nach offiziellen Zahlen durch braunen Terror getötet worden sein, die Dunkelziffer liegt weit höher. Walter Lübcke, der Kasseler Regierungspräsident, war vorerst das letzte bekannte Mordopfer Rechtsextremer. Auch diesen Opfern gedenken wir heute hier auf dem Wilhelm Krökel-Platz.

Weltweit befinden sich die Feinde der Demokratie, Autokraten und autoritäre Regime auf dem Vormarsch. Sie schüren neue Feindbilder. Sie instrumentalisieren die tiefe Verunsicherung, die das Gefühl bei vielen Menschen auslöst, in einer Welt zu leben, die völlig aus den Fugen geraten ist. Eine Welt, die durch eine wachsende Zahl an bewaffneten Konflikten geprägt ist. Eine Welt in der sich 70 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg und Bürgerkrieg, vor politischer Verfolgung, vor Naturkatastrophen und Armut befinden.

Liebe Anwesende, all diese Probleme lassen sich nur mit weniger statt mit mehr Waffen lösen. Deshalb ist es heute noch genauso wichtig wie 1957, den Antikriegstag begehen. Zu gedenken und zu mahnen, sich gemeinsam gegen Kriegstreiberei, Aufrüstung, gegen Hetze und Hass, gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus zu wehren und vor allem: sich für Frieden und soziale Gerechtigkeit zu engagieren.

Mit den folgenden Worten von Brecht möchte ich meine Rede schließen:

„Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.“

Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus!“

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