Neujahrsgeplauder
Feb. 012012
 

Neujahrsempfänge 2012: Im Ratssaal, im Botanischen Garten und beim DGB

Neujahrsempfang im Rathaus

ist immer ein bisschen wie aufs Klo gehen, obwohl man gar nicht muss. Man könnte statt dessen lange schlafen, im Bett frühstücken und die Sendung mit der Maus gucken und die Reden nachher online nachlesen. Doch unvermittelt findet man sich dann doch im Ratssaal wieder. Standardprogramm: Rede Oberbürgermeister, Rede hochrangiger Marine- oder Wirtschaftsvertreter, drumrum Musik vom Marinemusikkorps, Sternsinger, Häppchen. Dieses Mal: wenigstens ein neuer Oberbürgermeister, zum Glück eine Intendantenrede, zum Glück Musik von Franz Schede und Reiner Wojke, weil MMK abgeschafft. Leider wurde das „Duo Indigo“ zwischendrin einfach vergessen, und bei der Schlussmusik sprangen alle Gäste auf und plapperten und wuselten durch den Saal – sehr schade, sehr unhöflich. Die Wagner-Rede können Sie, falls noch nicht geschehen, hier nachlesen: http://www.wilhelmshaven.de/portal/info/Grusswort_ OB_Neujahrsempfang2012.pdf

Inhaltlich sagt er das, was bestimmte Kreise von ihm erwarten: Aufbruchstimmung (seine Devise: „Wilhelmshaven geht besser“), JadeWeserPort, Aufschwung, Bundeswehr, Investitionen, Arbeitsplätze, Wohlstand, JadeWeserPort … aber es sei auch erwähnt, dass er ziemlich am Anfang den ehrenamtlich engagierten Wilhelmshavener/ innen, „die sich tagtäglich einsetzen für ihre Mitmenschen, für die Tiere oder für unsere Umwelt“, seine Hochachtung aussprach „für diese unbezahlbare Leistung“. Damit tat sich sein Vorgänger, jedenfalls wenn es um kritisch- politisches Engagement ging, zuneh-mend schwer. Auch sonst kann „der Neue“ mit Veränderungen aufwarten: Die Restrukturierung des Konzerns Stadt, die Einbeziehung der BürgerInnen bei Planungs- und Entscheidungsprozessen (Antonslust, Banter See) und das „Stadtentwicklungskonzept plus“ hat er sich auf die Fahne geschrieben. Im Auftritt wirkt Wagner lockerer als Menzel; was ihm aber offenbar gar nicht liegt, ist, vom Blatt abzulesen. Zwischen ihm und seinen 15 Seiten Manuskript stellte sich keine intime Verbindung ein.

Wirklich locker und interessant wurde es erst mit der Rede des Landesbühnen- Intendanten Gerhard Hess und schrägen Einlagen der Schauspieler Holger Spengler und Cino Djavid. Das sollte dazu anregen, dem allzu konventionellen Neujahrskonvent mal ein neues Format zu verpassen, auch um ein breiteres / anderes Publikum anzusprechen. Zum Nachdenken sollten folgende Zitate anregen: „Ich habe mehrfach – auch heute – betont, dass wir den Fokus auf neue Arbeitsplätze richten. Nur dies schafft Wohlstand und Auskommen für die Menschen unserer Stadt. Schafft Zufriedenheit und ein menschenwürdiges Dasein … Jeder Arbeitsplatz zählt. (OB Andreas Wagner). Diese Stadt lag in Trümmern; es ging oft ums nackte Überleben, aber dennoch gab es auch einen anderen Hunger, einen Hunger nach Kultur … Der Mensch braucht mehr zum Leben als Arbeiten, Essen und Schlafen … Anders als das Tier versucht er seine Existenz zu verstehen. Da bedarf es des ästhetischen Sinns, der Kultur. Die Auseinandersetzung also mit der eigenen Identität und mit der Zeit, in der er lebt. (Intendant Gerhard Hess) Hoffen wir mal, dass alle Herrn Hess zugehört haben und ihre Definition von Wohlstand, Lebensqualität und Menschenwürde mal auf den Prüfstand stellen. (iz)

Im Botanischen Garten

Der Neujahrsempfang im Botanischen Garten ist das, was man unbedingt braucht, wenn man vorher bei dem im Rathaus war: rundum erfrischend. Tageslicht, frische Luft, Kuschelpullis statt Krawatten. Gäste, denen das Wachstum heimischer Pflanzen und Tiere mindestens so wichtig ist wie das des Bruttosozialproduktes. Sigrid Heider, Leiterin des Gartens, und Claudia Behrbohm, Vorsitzende des Freundeskreises, blickten in ihren Ansprachen mit spürbarer Freude und Kreativität auf das 100 jährige Bestehen des kleinsten Botanischen Gartens Deutschlands zurück und ließen die Geschichte lebendig werden: 1912 wurde der Panama-Kanal eröffnet; die Titanic kollidierte und sank. Die oldenburgische Stadt Rüstringen war erst im Mai 1911 gegründet worden und hatte 48.000 Einwohner, das preußische Wilhelmshaven etwa 35.000. „Wer fix mitgerechnet hat, kommt für die Doppelstadt Wilhelmshaven-Rüstringen auf 83.000 Einwohner (also etwas mehr als das heutige Wilhelmshaven – red) im Jahr 1912 – Hätten Sie das gedacht, Herr Oberbürgermeister?“ Kaiser Wilhelm II war im 24. Jahr seiner Regentschaft. Im Zuge des Hafenaufbaus „waren in beeindruckender Architektur 1907 die Kaiser-Wilhelm-Brücke und ab 1909 die Südzentrale als Kraftwerk der Kaiserlichen Werft entstanden. Der Arngaster Leuchtturm weist den Schiffen seit 1910 ihren Weg … Während wir heute über einen Durchstich des Grodendammes diskutieren, stellte man vor 100 Jahren nahe der Banter Ruine die „Grodenfähre“ in Dienst, die Fußgänger und Wagen kostenlos zur Südseite des neuen Großen Hafens pendelte. Paul Hug war Abgeordneter im Oldenburgischen Landtag und Wilhelm Krökel leistete nach einer Lehre auf der Werft seinen Wehrdienst als Pionier. Die neugegründete Stadt Rüstringen hatte im Juni 1911 den jungen, reformerischen Architekten Martin Wagner als ihren 1. Stadtbaurat eingestellt. Seine vorrangigen Ziele waren die Beseitigung die Wohnungsnot, aber vor allem eine ästhetische Gestaltung der Stadt, in der die Errichtung von ausgedehnten Grünanlagen eine wichtige Rolle spielten. Die Wasserturmschule, 2010 grundsaniert, wurde im April 1912 eröffnet. Der Rüstringer Bauverein, einer der vielen Bauvereine in Wilhelmshaven und Rüstringen, lobte 1912 erstmals einen Wettbewerb für den am besten angelegten und gepflegten Vorgarten aus. Schon 1912 gab es in Wilhelmshaven eine Volksbücherei und seit dem 10. Januar des Jahres den Verein der Kunstfreunde. Im Februar 1913 konnte die Kaiser-Friedrich-Kunsthalle an der Viktoriastraße eröffnet werden. Natürlich kaufte man in Wilhelmshaven auch ein, bei Karstadt vielleicht, seit 1908 in Wilhelmshaven, zunächst am Bismarckplatz, dann an der Gökerstraße. Das markante Haus an der Marktstraße, das uns erhalten geblieben ist und das die Schlagzeilen der letzten Wochen bereichert hat, wurde erst zwischen 1921 und 1924 gebaut. 1912 stand hier noch die Burg Hohenzollern, ein Hotel mit Saalbetrieb. Textilien bekam frau in Bant seit 1902 bei Leffers, ab 1912 im Neubau an der Marktstraße. Am Sonntag ging man in den Gottesdienst, anschließend ging es vielleicht ein wenig hinaus ins Grüne oder zum Tanz, seit 1908 in die Nordseestation an der Freiligrathstraße, seit 1910 zur Rüstringer Strandhalle am Alten Heppenser Deich oder seit 1911 ins Tanzlokal Elisenlust, mit angeschlossenem Gartenlokal. Meist noch zu Fuß oder mit dem Fahrrad. 1912 baute man eine Straßenbahn, die dann im März 1913 feierlich dem Verkehr übergeben wurde. Die gute Anbindung an das Öffentliche Verkehrsnetz ist für mich noch immer eines der Hauptargumente für unsere Lage hier an der Gökerstraße Und da hab ich mir gedacht, ich wünsche mir in Zeiten leerer Kassen zum Geburtstag eine Bushaltestelle! Sie könnte „Friedenstraße – Schrägstrich – Am Botanischen Garten“ heißen und sich im Computerzeitalter kostengünstig beim nächsten Fahrplanwechsel einschleichen.“ OB Wagner versprach, sich um Frau Heiders Wunsch zu kümmern, ehe sich die Gäste auf die fünfstöckige Torte stürzten, die eine Bäckerei gestiftet hatte und die die fünf tragenden Säulen des Botanischen Gartens symbolisierte: den Garten selber, den Rat, der 1947 den Ausbau beschloss, die hauptund ehrenamtlichen Mitarbeiter und die Kinder und die Erwachsenen, die dort Spaß an der Natur haben. (iz)

Beim DGB

Und am 21. Januar gab’s den Neujahrsempfang des DGB-Stadtverbandes Wilhelmshaven und seiner Mitgliedsgewerkschaften. Launig begrüßte Axel Opitz die beiden, die ein Grußwort halten sollten, Wilhelmshavens neuen OB, Andreas Wagner, und statt Sven Ambrosy, der woanders sein musste, die stellvertretende Landrätin des Kreises Friesland, Marianne Kaiser-Fuchs. Wagners Grußwort geriet reichlich lang und deckte sich inhaltlich weitgehend mit seiner Neujahrsrede. Zusätzlich war etwas Geplänkel: Hatte Opitz in seiner Begrüßung ein bisschen mit den DGB-Aktivitäten im Kommunalwahlkampf angegeben, denen vielleicht die im Vergleich zur vorigen Kommunalwahl deutlich höhere Wahlbeteiligung zu verdanken sei, dankte Wagner dem DGB für den Wahlkampf. Und hatte Opitz gesagt, dass es noch kein Motto für den 1. Mai gebe, konterte Wagner, er kenne das Mai-Motto des DGB aber schon, und es laute „Das geht besser, aber nicht allein“ und ähnele also seinem eigenen, das da lautet: „Wilhelmshaven geht besser“. (Das mit dem Mai-Motto stimmt übrigens nicht, aber macht ja nix.) Die Kollegin aus Friesland fasste sich kürzer (Grußwortlänge) und bestätigte Wagners Worte, dass die Kommunikation zwischen Wilhelmshaven und Friesland besser geworden sei. Und sie stellte Gewerkschaftsnähe unter Beweis mit der Information, dass der Landkreis und alle seine Gesellschaften ihre Beschäftigten tariflich entlohnen. Die Neujahrsrede hielt Ulrich Gransee (DGB-Bezirk Niedersachsen-Bremen-Sachsen- Anhalt, Abteilung Organisation). Nach einem deutlichen Aufruf, sich gegen Rechts zu stellen – Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen – erteilte er den Zumutungen, die Krise mit Sparmaßnahmen zu bekämpfen, eine Absage. Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt? – Die arbeitenden Menschen gewiss nicht. Krise – welche Krise? Schuldenkrise, Bankenkrise, Eurokrise – die Antwort der Regierenden auf alle Krisen besteht darin, dass die arbeitenden Menschen Verzicht üben sollen. Tatsächlich gibt es eine Verteilungskrise, und der DGB fordert die gerechte Verteilung der Krisenbewältigung. So könnten 50 Mrd. Euro mehr in der Staatskasse sein, gälten heute die Steuergesetze aus dem Jahr 2000. Also ist eine höhere Besteuerung der Reichen fällig, der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn muss her, und die Rente mit 67 muss zurückgenommen werden. Apropos Rente: Die Durchschnittsrente in Deutschland beträgt 826 Euro. Daimler- Chef Dieter Zetsche hat einen Rentenanspruch von 26,1 Mio. Euro. Ein Arbeiter oder Angestellter müsste 2600 Jahre leben, um den Anspruch auf ein Altersruhegeld in dieser Höhe zu erwerben. Und gegen weitere Privatisierungen wird der DGB sich stemmen, denn Privatisierung verteuert und verschlechtert Leistungen, erfordert weitere Zuzahlungen und zerstört die Solidarität. Gransee schloss seine Ansprache mit dem Zitat von Otto Brenner, mit dem er sie auch eingeleitet hatte: „Nicht Ruhe, nicht Unterwürfigkeit gegenüber der Obrigkeit ist die erste Bürgerpflicht, sondern Kritik und ständige demokratische Wachsamkeit.“ (noa)

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