Nach den Vorstellungen von Politik und Wirtschaft auf Landes- und Bundesebene soll Wilhelmshaven zur Energiedrehscheibe Deutschlands ausgebaut werden. Statt einer klimafreundlichen Energiewende steht dabei aktuell der Ausbau fossiler Energiestrukturen im Mittelpunkt. Umweltverbände betrachten diese Entwicklung mit großer Sorge. Im Zuge der Diskussion um wenigstens zwei LNG-Terminals an der Wilhelmshavener Wattenmeer-Küste schlossen sich Verbände und Vereine, Fachleute und interessierte Bürger:innen aus Nordwestdeutschland zum „Netzwerk Energiedrehscheibe“ zusammen. Aktuell sind 14 Gruppierungen unter diesem Dach versammelt und beraten die Folgen der Gaspolitik für Wilhelmshaven und die betroffenen Regionen.
Das Netzwerk tauscht sich fortlaufend über technische, rechtliche und wirtschaftliche Details der geplanten Anlagen aus. So entstand ein Wissenspool, der gleichzeitig etliche Fragen an Politik und Behörden aufwirft. Im November gab es eine hochkarätig besetzte öffentliche Veranstaltung der drei großen Umweltschutzverbände DUH, BUND und NABU. Über 150 Teilnehmende trugen einen Fragenkatalog zusammen, der im Anschluss an die verantwortlichen Entscheidungsträger:innen übermittelt wurde. Die Antworten stehen noch aus.
Zu den wesentlichen Kritikpunkten zählt die langfristige Einsatzdauer der LNG-Infrastruktur: Für 20 Jahre, bis 2043, soll der Betrieb der ersten schwimmenden LNG-Umschlagsanlage (FSRU) in Wilhelmshaven genehmigt werden. Dabei werden über das Prozesswasser große Mengen an Bioziden in die Jade eingeleitet, das ist nach Meeresstrategie-Richtlinie sogar ein Verstoß gegen EU-Gesetze, ebenso gilt ein Verschlechterungsverbot. Neben dieser direkten Belastung für das angrenzende Weltnaturerbe Wattenmeer ist auch die langfristige Nutzung fossilen Gases für das Netzwerk untragbar: „Diese extrem kurze Genehmigungsdauer zeugt vom politischen Unwillen, die Energiewende voranzubringen“, kritisiert Netzwerk-Sprecherin Stefanie Eilers. „Fossiles Frackinggas, wie hier mehrheitlich zu erwarten ist, ist zudem besonders klimaschädlich – ein Irrsinn in Zeiten des Klimawandels.“
Zweifel bestehen auch hinsichtlich der Embargo-Wirkung. Russland liefert weiterhin LNG an andere europäische Länder wie Belgien oder Spanien – von denen Deutschland mit Flüssiggas beliefert wird, so dass letztlich doch wieder russisches Gas in deutschen Haushalten landet.
Ein großes Potenzial, um fehlende russische Direktlieferungen von Gas zu kompensieren, sieht das Netzwerk in der Einsparung von Energie. Bis zu 30% des gewerblichen und privaten Bedarfs ließen sich durch sparsame und effizientere Verwendung in einsparen. „Allein die Einwegplastikindustrie verbraucht 8% des deutschen Gasbedarfs, soviel wie künftig in Wilhelmshaven eingespeist werden
soll“, so Netzwerk-Sprecherin Imke Zwoch.
Durch das im Mai verabschiedete LNG-Beschleunigungsgesetz wird dem Bau und Betrieb der Terminals ein „überragendes öffentliches Interesse“ zugeordnet. Bewährte umweltrechtliche Instrumente für den Arten- und Lebensraumschutz werden damit außer Kraft gesetzt – für das Netzwerk Energiewende “ein fatales Signal in Zeiten des Artensterbens“.
Wilhelmshaven soll nicht nur LNG-, sondern auch Wasserstoff-Drehkreuz werden. Der belgische Konzern TES will dafür einen Wasserstoffindustriepark bauen – in einem europäischen Vogelschutzgebiet direkt hinter dem Wilhelmshavener Seedeich. 100 Vogelarten sind betroffen, sie sollen dann in andernorts neu zu schaffende Lebensräume umziehen. Der Investor zeigt sich im Umgang mit Kritiker:innen professionell kommunikativ. Am fortschreitenden Verlust wertvoller Lebensräume ändert das nichts.
Wasserstoff ist das Zauberwort vieler Politik- und Wirtschaftsvertreter: Mithilfe großer Photovoltaik-Anlagen in südlichen Ländern produziert, besteht nur aus harmlosem Wasser und verbrennt rückstandsfrei. Doch der schöne Schein trügt: Es gibt keine Energiegewinnung ohne ökologischen Fußabdruck. So errechnen die Ingenieure des Netzwerks Energiedrehscheibe einen Bedarf von 30 Millionen Kubikmeter Grund- oder Süßwasser pro Jahr für alle Wasserstoffträume in der „Energiedrehscheibe Wilhelmshaven“ . Wollte man dieses – wie in den Wüstenstaaten – aus entsalztem Meerwasser gewinnen, würden die Prozesse wieder teurer und noch unrentabler. Würde man alle Windkraftanlagen weiterlaufen lassen und Überschüsse in Spitzenertragszeiten nutzen, sähe es perspektivisch vielleicht anders aus.
Deutschland und besonders Wilhelmshaven verpasst nach Meinung der Teilnehmenden im Netzwerk die grundlegende Veränderung der Energieversorgung und wird wegen hoher fossiler Energiepreise, langer Lieferverträge und fehlenden Steuermitteln, die jetzt für fossile Strukturen gebunden sind, abgehängt werden. Das Netzwerk fordert hingegen den Ausbau von dezentralen Strukturen in Bürger:innenhand und wird dazu zu einem Kongress Anfang Februar einladen.
- Am 17.12. um 8 Uhr laden die Winterschwimmer am Fliegerdeich zur Mutprobe ein. Die Schwimmer werden von den Medien begleitet. Wer sich traut, schwimmt mit. Austausch über die
Verschmutzungen in der Jade. - 18.12. „Kluntje ohne Chlor“: Am vierten Advent lädt das Netzwerk ab 11 Uhr zum gemeinsamen
Teetrinken am Gedenkort Außenhafen Hooksiel ein. Von dort hat man die „Hoegh Esperanza“ im
Blick, die am Vortag anlegen soll. Tee mit Kluntje ohne Chlor gibt es kostenlos. Für die Analyse eigener Wasserproben wird gesammelt. - Anfang Februar 2023 wird es im Wattenmeer Besucherzentrum in Wilhelmshaven eine öffentliche
Veranstaltung geben: „Eine Energiewende mit Erneuerbaren ist möglich“.
Stefanie Eilers, 1. Vorsitzende NABU Wilhelmshaven e.V. 0171 3716016
Imke Zwoch, 1. Vorsitzende BUND Wilhelmshaven 0152 09899441
Dieter Schäfermeier, Pro Wangerland Hooksiel 0160-2330534
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