Naturschutz in Wilhelmshaven 1
Aug. 012001
 

Abwägen – absägen

„Praktizierter“ Naturschutz in Wilhelmshaven

(iz) Obwohl in unserer Stadt schätzungsweise 2000 Wohnungen leer stehen und die Einwohnerzahl stetig sinkt, wird weiterhin „dank“ einflussreicher Investoren jede verfügbare Fläche überbaut. Obwohl zunehmend Unmut gegen die „Kettensägenfraktion“ aufkommt, werden Schutzvorschriften für innerstädtisches Grün dabei als lästiges, aber überwindbares Hindernis behandelt. Wer nach der Lektüre von „Zwischen den Zeilen“ glaubt, die Verantwortlichen müssten aus Fehlern der Vergangenheit lernen, wird durch folgendes, aktuelles Beispiel eines Besseren belehrt.

baumEs waren einmal drei alte, aber kerngesunde Schwarzpappeln mit je über drei m Stammumfang. Hoch überragten sie das alte Klinkergebäude (ehemalige Gewerbeschule) an der Virchow-/Ecke Weserstraße. Ihre mächtigen Kronen waren seit Jahren stadtbildprägend für die östliche Südstadt.
Eines Tages kam ein Investor, der die große Freifläche östlich der Pappeln bis zum Oceanis-Parkplatz bebauen wollte. Flugs stellte die Stadt für ihn einen Bebauungsplan auf. Und spätestens hier wird unser (wahres) Märchen zum (leider auch wahren) Krimi.
In ihrer Stellungnahme zum Bebauungsplan wiesen Naturschützer darauf hin, dass Schwarzpappeln in der „Roten Liste“ von Niedersachsen und Bremen als gefährdet aufgeführt sind und deshalb allgemein eine höhere Schutzwürdigkeit genießen. Dummerweise stehen die Bäume einer der drei „Raumkanten“, wie die vorgesehenen Bauklötze am Bontekai planerisch genannt werden, genau im Weg. Nun könnte man auf die Idee kommen, diesen Klotz so weit zu versetzen oder zu verkleinern, dass den Baumriesen im Wurzel- und Kronenbereich ausreichend Platz bleibt. Doch im Sinne des Investors, der die größtmögliche Fläche profitabel bebauen will, wurde wie folgt abgewägt: Die Bäume sind irgendwann – logisch – mal von jemandem angepflanzt worden und deshalb nicht als „natürliche Entwicklungsstandorte“ zu betrachten. Solche „Verwilderungen“ oder „Kultivate“, sind von der Roten Liste nicht erfasst. Demnach handele es sich bei den drei Pappeln um einen „solch unnatürlichen Entwicklungsstandort.“ Und nun kommt’s ganz dicke: „Wenngleich die bereits älteren Schwarz-Pappeln einen vitalen Eindruck machen, ist davon auszugehen, dass durch die Bauarbeiten in ihrem Umfeld Standortveränderungen erfolgen, die mittelfristig zu nicht vermeidbaren Schäden und eingeschränkter Vitalität führen können.“ Bitte nochmals lesen und auf der Zunge zergehen lassen: „Ihr Naturschützer könnt euch sicher sein, dass der Investor bereits vorgesehen hat, die Bäume im Zuge der Bebauung dermaßen zu schädigen, dass sie freiwillig den Abgang machen.“ Und damit er dadurch keinen Ärger kriegt, schiebt man ausgerechnet dem Umweltamt den Schwarzen Peter zu.

Déjá vu

Auszüge aus dem Beteiligungsverfahren zum Planentwurf: „Unsere Bedenken … betr. der Schwarzpappeln … halten wir weiterhin aufrecht. Ist es in Wilhelmshaven denn nicht einmal möglich, Bäume stehen zu lassen, zumal sie auf der Roten Liste stehen?“ (Stellungnahme Naturschutzbund Deutschland) „Nach Abstimmung mit der … Naturschutzbehörde ist es auch nach dortiger Ansicht nicht sinnvoll, die Bäume ohne ausreichenden Abstand zu den Gebäuden zu erhalten. Es wurde daher zugestimmt, die Bäume durch Neuanpflanzungen zu ersetzen.“ (Abwägungsvorschlag Planungsamt) In der Anlage zur Beschlussvorlage für den Rat wurde daraus:„Nach Rücksprache mit der Unteren Naturschutzbehörde ist es nicht sinnvoll, die Schwarz-Pappeln ohne ausreichenden Abstand zu den Gebäuden zu erhalten. Die Bäume sollen daher durch Neuanpflanzungen ersetzt werden.“ Aus der passiven Zustimmung der Naturschützer, denen man keine Wahl lässt, wird formulierungstechnisch eine aktive Entscheidung.
Siehe Bebauungsplan Hochschuldorf Rüstersiel (Artikel „Zwischen den Zeilen“): Nachdem man den behördlichen Naturschützern die Pistole auf die Brust gesetzt hatte, so dass sie keine Chance bekamen, die vorhandenen Bäume zu erhalten, blieb ihnen nichts, als zumindest eine Neuanpflanzung zu fordern – und dann wird es ihnen, in verkürzter Form, als ihr „ausdrücklicher Wunsch“ in die Schuhe geschoben, zu ersetzen statt zu erhalten.
Solcherlei Betrug, in umständliche Formulierungen verpackt, Ursache und Wirkung verwischend, schlägt sich dann in den Begründungen zu Bebauungsplänen nieder, über die unsere Ratsleute entscheiden – in dem Glauben, „wenn die Naturschutzbehörde so spricht, wird es schon seine Ordnung haben.“. Immer wieder, ohne jegliches Misstrauen, ohne Lerneffekt. Auch unseren Grünen wird so was in Bergen von Ratspapieren immer wieder erfolgreich untergemogelt. So lobenswert ihr Engagement außerhalb der formellen Treffen sein mag – es macht keinen Baum wieder lebendig, der im Ergebnis (dem Ratsbeschluss) zum Tode verurteilt wurde.
Und das wäre (nicht nur) unser Wunsch (nicht nur) an grüne Ratsleute: den Mut zu beweisen, einzelnen Geldsäcken, denen das Wohl der Allgemeinheit schlicht egal ist, die Stirn zu bieten; ihnen Forderungen zu stellen, sozial-ökologische Pflichten aufzuerlegen, statt alles ergeben abzunicken. Back to the roots.

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