Mündige Bürger
Mrz. 272002
 

Schnauze voll

Mündige BürgerInnen Wilhelmshavens formieren sich

(iz) Druck erzeugt Gegendruck. In dieser Hinsicht ist den letzten zwei Jahren in Wilhelmshaven Erstaunliches passiert. In der Bürgerinitiative gegen den JadeWeserPort schloss sich eine große Anzahl – bis dahin zumeist politisch unauffälliger – BürgerInnen zusammen, um der offiziellen einseitigen Informationspolitik zu dem geplanten Großprojekt etwas entgegenzusetzen. 2001 gründete sich mit der WALLI (Wilhelmshavener Alternative Liste) nach langer Zeit erstmals wieder eine lokale WählerInnengemeinschaft, die bei der Kommunalwahl auf Anhieb einen Kandidaten zwischen den etablierten Ratsvertretern platzieren konnte. Und nun melden sich, genervt von den Kommunikationsstörungen zwischen Rathaus und Fußvolk und jenseits vertrauter Organisationsformen, die Mündigen Bürger zu Wort.

Begründer der Mündigen Bürger ist Horst Radmer, seines Zeichens Rentner im Unruhestand, der in den letzten Monaten in der Bürgerfragestunde der Ratssitzungen auffällig wurde. Erfreulich auffällig für Gleichgesinnte mit basisdemokratischen Anspruch, nervig zunächst für Vertreter von Rat und Verwaltung, die ihm laut Geschäftsordnung Rede und Antwort stehen müssen. Zügig wurde die Geschäftsordnung geändert: Fragen, die sich nicht konkret auf Tagesordnungspunkte der jeweiligen Sitzung beziehen, sind jetzt neun Tage vorab schriftlich einzureichen. Der Umfang ist inhaltlich auf eine Fragestellung begrenzt, die man mit etwas Geschick in Teilfragen aufteilen kann.
Den Befragten sei zu Gute gehalten, dass sie sich an Herrn Radmer und Verbündete, besser: die tatsächliche und ausführliche Inanspruchnahme des Fragerechtes gewöhnt haben. Die Atmosphäre der Fragestunde hat deutlich an Höflichkeit und Interesse gegenüber den interessierten BürgerInnen gewonnen. Nur wenige Ratsvertreter nutzen diesen Einschub noch als willkommene Pause zwischen öffentlichem und nichtöffentlichem Teil der Sitzung, die man für einen Smalltalk oder ein Zigarettchen nutzt – wobei auch fahrlässige Ignoranz als demonstratives Desinteresse gegenüber dem Wähler (miss)verstanden werden kann.

Warten auf Godot?

Zusätzlich zu Fragen im Rat hatte Herr Radmer (nach eigenen Angaben) im letzten Jahr schriftlich mehrere Anregungen an Rat und Verwaltung eingereicht, die jeder Bürger nach §22c der Niedersächsischen Gemeindeordnung (NGO) einbringen kann. Er hat bis heute von der Stadt – nach immerhin über sechs Monaten – weder eine Eingangsbestätigung noch einen Sachstand der Bearbeitung erhalten. Dieses Verhalten von Rat und Verwaltung drückt wieder aus, dass Anliegen der BürgerInnen in Wilhelmshaven als Belästigungen angesehen werden und gänzlich oder über Monate ignoriert werden. BürgerInnen werden in Wilhelmshaven mit ihren Anliegen als Bittsteller betrachtet. Hier müssen Verwaltung und Rat durch die BürgerInnen noch zur Bürgerorientierung bewegt werden.

Der Erste Stadtrat reagiert

Radmers Fragen betreffen in der Regel den Aufgabenbereich von Stadtrat Wolfgang Frank. Der hatte den unnachgiebigen Fragesteller mittlerweile zu zwei auch stattgefundenen persönlichen Gesprächen eingeladen. Dabei wurden sehr detaillierte Fragen in der gebotenen Ausführlichkeit abgehandelt, die den Rahmen der Bürgerfragestunde sprengen würde.
Damit haben Radmer und Co. schon etwas bewegt, doch das reicht ihnen nicht aus. Geplant sind monatliche Treffen und öffentliche Vorträge, nach Möglichkeit mit vertieften fachlichen Informationen zu Themen, die die Stadt und ihre BürgerInnen bewegen. Einen erfolgreichen Einstieg lieferte die öffentliche Zusammenkunft am 11.3.2002 im „Oceanis“. Etwa 25 Interessierte lauschten den Ausführungen von Wolfgang Frank zur geplanten Holding-Konstruktion öffentlicher Aufgabenbereiche der Stadt. Zwar erbrachte sein Vortrag kaum neue Erkenntnisse zum Für und Wider der Umstrukturierung, und in der anschließenden Diskussion blieben die Zweifel an der Transparenz des Wirtschaftsgeflechtes (s. Bericht zur Holding im GEGENWIND Nr. 176 vom Januar 2002). Doch konnte der zweithöchste städtische Beamte glaubhaft vermitteln, dass er dem Informationsbedürfnis der BürgerInnen überzeugt und ohne Murren seinen freien Abend opferte. Zudem gab er, der nicht selten arrogante Distanz versprüht, auch den arbeitenden Menschen Frank preis, der nach seinen fachlichen Überzeugungen handelt, ohne abweichende Überzeugungen anderer im Einzelnen in Frage zu stellen.

Big Brother zu Gast

Stadtrat Frank war nicht der einzige, der seinen freien Abend dem Dienstgeschäft hingab: Bemerkenswert, wenn auch für Eingeweihte nicht überraschend, war die Anwesenheit des zu vergleichbaren Anlässen stets präsenten lokalen Vertreters der politischen Polizei. Für die Veranstalter eine krasse, aber wichtige Erfahrung, dass die reine Wahrnehmung demokratischer Grundrechte wie der Versammlungsfreiheit schon den Argwohn des Verfassungsschutzes weckt.
Wer sich davon nicht abschrecken lässt und jenseits von Parteien oder Vereinen und anderen gewohnten Strukturen sein/ihr Recht auf Information und Meinungsäußerung wahrnehmen möchte, kann Kontakt zu den Mündigen Bürgern aufnehmen: Mündige Bürger Wilhelmshaven (MBW), Postfach 1934, 26359 Wilhelmshaven, email: MB-WHV@gmx.de.

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