Trennen oder brennen
Stadt steht vor entscheidender Weichenstellung bei der Müllentsorgung
(jm/hk) Die Bezirksregierung Weser-Ems hat Ende Mai die Müllverbrennung als einzigen Ausweg aus der problematischen Entsorgung von Haus- und Gewerbemüll festgeschrieben. Vor Brake, Nordenham, Varel und Delmenhorst führt Wilhelmshaven die „Wunschliste“ der Bezirksregierung als möglichen Standort an.
Die Bürgerinitiative Umweltschutz Wilhelmshaven (BUW), die hier in Wilhelmshaven die Arbeiten gegen die Müllverbrennung koordinieren wird (siehe Kasten), hat eine erste Stellungnahme dazu herausgegeben, die wir hier im GEGENWIND dokumentieren.
Würden Sie Ihr sauer verdientes Geld wegwerfen oder es verbrennen? Mit Sicherheit nicht! Aber Sie tun es. Oder besser gesagt: Sie beauftragen die Stadt Wilhelmshaven, es für Sie zu tun. Blödsinn, werden Sie jetzt sagen. Aber es ist noch schlimmer: Sie bezahlen sogar noch dafür! Oder haben Sie die in die Mülltonne wandernden Salatblätter und Kartoffelschalen, die Tüte, in der einmal Zucker war, und die Verpackung der neuen Stereoanlage, den Becher, der mal voll Joghurt war, und die Dose mit Pfirsichen nicht bezahlt? Dafür, daß die Stadt diese für Sie unbrauchbar gewordenen Teile abholt – dafür müssen Sie natürlich bezahlen. Das ist normal. Doch das, was dann mit dem Müll geschieht, ist nicht mehr normal. Bis heute wird der ganze Müll auf einen großen Haufen geschmissen – Bakterien und Säuren sorgen dafür, dass das Zeug „vergeht“. Diese Müllberge sind ein Problem der heutigen Wegwerfgesellschaft – die Landschaft bietet keinen Platz mehr für weitere Müllberge. Zumal diese Art der Deponierung auch aus anderen Gründen schädlich ist. Aus dem großen Mischmasch auf den Deponien treten ungehindert giftigste Substanzen aus und belasten Luft, Boden und Wasser. Also zwei Gründe, diese Art der Müllentsorgung zu beenden. Und da bieten sich, wie so oft, zwei Möglichkeiten an: Entweder einen Teil verbrennen und den Rest deponieren oder die Wiederverwertung der im Müll enthaltenen Wertstoffe und Deponierung des Restmülls. Eine sinnvolle Koppelung der beiden Möglichkeiten schließt sich aus – denn für die Verbrennung wird gerade ein Großteil des wiederverwertbaren Mülls zur Erzeugung der nötigen Verbrennungstemperaturen benötigt.
Obwohl im Regierungsbezirk Weser-Ems die Zeichen eindeutig auf Müllverbrennung stehen, können wir in Wilhelmshaven noch die Weichen umstellen – umstellen in Richtung einer vernünftigen und umweltverträglichen Entsorgungspolitik.
9 Punkte gegen die Müllverbrennung
9 Punkte für Umwelt und Vernunft
Bei der Müllverbrennung werden Rohstoffe vernichtet, deren Vorräte zu Ende gehen. Verstärkter Rohstoffabbau führt zu steigender Naturzerstörung und verstärkter Belastung der Umweltmedien Luft, Wasser und Boden.
Durch die Wiederverwertung von Abfallstoffen wird das Tempo beim Abbau der Bodenschätze und dem Verbrauch von Biomasse gedrosselt. Die Naturzerstörung würde verlangsamt; die Umweltmedien entlastet.
Die Firma „Energieversorgung Weser-Ems AG“ (EWE) sucht in der Weser-Ems-Region Standorte für zwei Müllheizkraftwerke (MHKWe). Sie hat Wilhelmshaven als einen möglichen Standort für ein MHKW in Betracht gezogen. Hier sollen jährlich 450.000 Tonnen Müll verbrannt werden. Die Bezirksregierung Weser-Ems hat am 25.5.1989 Wilhelmshaven als Standort für eine solche Anlage favorisiert. Bei der Verbrennung würden Jahr für Jahr gut 3 Milliarden Kubikmeter giftiger Abgase entstehen – belastet mit ca. 1.400 verschiedenen Schadstoffen, die unsere Atemluft „würzen“ würden. Hierbei handelt es sich größtenteils um Schadstoffe die von der TA Luft nicht erfaßt sind und somit keinen Beschränkungen unterliegen.
Rat und Verwaltung der Stadt Wilhelmshaven müssen der Bezirksregierung bis Ende Juni 1989 ein Müllentsorgungskonzept vorlegen, durch das die Mülldeponie Nord entlastet werden soll. Sie müssen sich entscheiden, ob sie den Stadtmüll verbrennen lassen oder durch den Aufbau bzw. die Intensivierung eines Müllverwertungssystemes einer umwelt- und gesundheitsverträglichen stofflichen Wiederverwertung zuführen wollen. Noch der Entscheidung der Bezirksregierung ist klar: Entscheiden sie sich für die Verbrennung, dann wird Wilhelmshaven auch Standort der Müllverbrennungsanlage!
Es bedurfte erst der „Führungsposition“ Wilhelmshavens auf der Müllverbrennungswunschliste der Bezirksregierung bis Wilhelmshavens Umweltschützer richtig in die Hufe kamen.
Auf einer kurz nach Bekanntgabe des Standortgutachtens einberufenen Versammlung von Umweltschutzgruppen und in diesem Bereich aktiven Einzelpersonen, wurde der erste Schritt für die Organisierung des Widerstandes gegen die Pläne der Bezirksregierung getan.
Erstaunlicherweise wurde diesmal nicht gleich eine neue Bürgerinitiative gegründet – stattdessen wird eine Arbeitsgruppe der BUW versuchen
1) Die Bevölkerung über die mit der Müllverbrennung einhergehenden Nachteile und Gefahren zu informieren und die Machbarkeit von umfassenden Recyclingmaßnahmen darzustellen.
2) Den Vertretern der Bevölkerung im Stadtrat die Argumente für ein klares „Nein“ zur Müllverbrennung näher zu bringen.
3) Die Zusammenarbeit mit den im Bereich Weser-Ems, aber auch mit landes- und bundesweit, arbeitenden Organisationen und Initiativen zu forcieren.
Dabei ist klar, daß es nicht darum geht, Wilhelmshaven von der Standortliste zu streichen, sondern darum, die Müllverbrennung im gesamten Regierungsbezirk politisch nicht durchsetzbar zu machen.
Zu einer ersten Demonstration gegen den Bau von Müllverbrennungsanlagen im Bereich Weser-Ems kam es am 10. Juni in Brake.
Nach einer Standortbesichtigung (direkt neben einer Fabrik, die Grundstoffe für die Margarineherstellung produziert), verdeutlichten auf der sich anschließenden Kundgebung Sprecher des BUND, der Biologischen Schutzgemeinschaft Hunte-Weser-Ems (BSH) und der Bürgerinitiative gegen Müllverbrennung Weser-Ems den 150 Teilnehmern die ganze Palette der Gründe, die gegen die Müllverbrennung sprechen.
Hannover (dpa) – Vor dem Ausbau der Müllverbrennung in der Bundesrepublik hat der Münchner Toxikologe Max Daunderer gewarnt. Trotz Filter stießen die 47 laufenden Anlagen „400 Gramm reines Seveso-Gift 2,3,78-TCDD aus“, sagte Daunderer der Neuen Presse (Hannover).
Dies sei ein Vielfaches der zulässigen Belastung für die gesamte Weltbevölkerung. Daunderer wies darauf hin, daß die Belastung der Muttermilch mit Dioxin jedes Jahr um ein Drittel steige. Das Verteilungsmuster entspreche ,,genau dem der Emissionen von Müllverbrennungsanlagen“, deren giftige Abgase im Umfeld von 200 Kilometern niedergingen. Aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes dürfe deshalb keine einzige der 120 im Bundesgebiet geplanten neuen Müllverbrennungsanlagen gebaut werden.
Bei der Müllverbrennung bleiben ca. 30% schadstoffhaltiger Schlacken und hochgiftiger Filterstäube zurück, die zum Teil auf Giftmülldeponien gelagert werden müssen (Salzkavernen!). Zum Vergleich: Wilhelmshavens Gesamtmüllmenge (Haus-, Gewerbe- und Industrieabfälle) betrug im Jahre 1987 105.000 Tonnen.
Durch Getrenntsammeln von Haushaltsabfällen ist es möglich, bis zu 80% des anfallenden Hausmülls einer stofflichen Wiederverwertung zuzuführen. Das würde bedeuten, daß vom Wilhelmshavener Müllberg jährlich nur 6.800 Tonnen (zur Zeit) noch nicht wiederverwertbarer Müll übrigbleiben würde. Dieser könnte so deponiert werden, daß er bei vorhandener Technik für die Wiederverwertung aufbereitet oder in eigens dafür konstruierten Pyrolysekleinstkraftwerken * 1) umweltverträglich verschwelt werden könnte.
Bei der Müllverbrennung wird ein Teil der in den Rohstoffen gebundenen Energie in Form von Wärme freigesetzt, die zu 30% zur Stromerzeugung und Warmwasserbereitung genutzt werden kann. Die Restwärme wird dazu benötigt, die giftigen Gase durch den Schornstein zu jagen.
Durch Abfallrecycling wird die für die Rohstoffgewinnung und -aufbereitung benötigte Energie eingespart. So wird z.B. für das Papierrecycling nur 30%, bei Kunststoffen und Metallen gar nur 10% der für die Neuherstellung verbrauchten Energie benötigt. Der Spareffekt liegt also bei 70 bzw. 90%.
Die Notwendigkeit der Müllverbrennung wird mit der anschwellenden Müll-Lawine begründet, deren Entsorgung bei zunehmender Verknappung geeigneten Deponieraumes immer schwieriger und teurer wird.
Das stimmt allerdings nur unter bestimmten, veränderbaren Voraussetzungen:
• Die Bundesregierung unternimmt auch zukünftig nichts, um die Müll-Lawine an ihrem Entstehungsherd – nämlich bei den Güterherstellern – zu bremsen.
• Entsorgungspflichtige Kreise, wie z.B. Wilhelmshaven, können in dem zur Verbrennung geeigneten Müll keinen Wertstoff erkennen, der zukünftig einmal gewinnbringend wiederverwertet werden kann.
• Es wird keine Rohstoffverknappung eintreten, welche der Gesellschaft zukünftig die drei großen „V“ – Vermindern, Vermeiden, Verwerten aufzwingen würde.
Ob durch Getrenntsammlung zurückgewonnene Rohstoffe auch tatsächlich wiederverwertet werden, hängt von Angebot und Nachfrage ab. Doch die werden nicht erst seit gestern durch gesetzliche Rahmenbedingungen und staatliche Förderprogramme reguliert.
Eine langfristig vorausschauende Wirtschaftspolitik stellt sich schon heute auf zukünftig zu erwartende Entwicklungen, wie z.B. Rohstoffverknappung, ein, indem sie schon bei der Güterherstellung und –verpackung dafür sorgt, daß Abfälle vermieden werden und indem sie Bemühungen zur stofflichen Abfallverwertung in einem Maße fördert, daß sie konkurrenzfähig wird. Die unumgängliche Umstellung der Wirtschaft auf „Vermeiden, Vermindern, Verwerten“ fällt umso leichter, je früher damit begonnen wird.
Durch die Entscheidung für die Intensivierung bzw. den Aufbau von Getrenntsammelsystemen zum Zwecke der Rohstoffverwertung erhält die Stadt auch zukünftig den Handlungsspielraum in der kommunalen Müllpolitik. Sie kann ihre Abfallbehandlung flexibel an die sich verändernden Bedingungen technischer Entwicklungen anpassen ohne an einen unzeitgemäßen und nachteiligen Langzeitvertrag gefesselt zu sein.
Eine Entscheidung der Stadt für die Müllverbrennung bedeutet eine Dreifachbelastung des Bürgers! Dieser muß dann
• die jährlichen Kosten für die Müllabfuhr und die Deponierung in Höhe von 8,8 Mio DM weitertragen,
• zusätzlich jedes Jahr 2 Mio Mark für Getrenntsammlung und Müllsortierung aufbringen – darin sind die Kapitalkosten nicht einmal mitgerechnet;
• und darüber hinaus noch 5,8 Mio DM jährlich für die Müllverbrennung berappen
Die Gesamtkosten würden sich demnach fast verdoppeln. Der Bürger trägt aber schon heute, im Vergleich zu Industrie und Gewerbe, überdurchschnittlich mit 5,4 Mio. DM bzw. 190 DM/Tonne zu den städtischen Entsorgungskosten bei.
In der „Vorstudie zum Abfallwirtschaftskonzept Wilhelmshaven“ sucht man vergeblich nach einer in sich geschlossenen Konzeption für Getrenntsammlung und Vermarktung von Abfallwertstoffen. Der Bürger, bzw. deren Vertreter im Rat der Stadt haben doch wohl ein Recht darauf, zu erfahren, ob man mit dem Mehreinsatz von 7,8 Mio DM in der Abfallbehandlung – wie er für das Gesamtmodell mit Müllverbrennung vorgeschlagen wird – nicht gleiche oder gar bessere Ergebnisse bei der Müllverwertung erzielen könnte. Da in der Studie solche Angaben fehlen, sei hier auf das Modell des „Bund für Umwelt und Natur in Deutschland“ (BUND) verwiesen, nachdem eine Gesamtkonzeption „Getrenntsammlung“ inklusive Restmülldeponierung durchschnittlich 130 DM pro Tonne Siedlungsmüll kostet. Die Deponie würde nach dem BUND-Modell um 80% entlastet.
Schon allein die Baukosten und Kreditzinsen für ein MHKW belaufen sich auf rund 500 Millionen DM. Diese schlagen sich mit einem Anteil von 60% in den jährlichen Betriebskosten nieder. Dieses Geld (jährlich 29,1 Mio DM) fließt aber auf die Konten von Anlagebauern und Banken, deren Firmensitz, von wenigen relativ unbedeutenden Ausnahmen einmal abgesehen, mit Sicherheit nicht in Wilhelmshaven oder in der Weser-Ems-Region zu finden ist. Solche großtechnischen Anlagen werden von Großkonzernen wie Siemens-KWU, BBC oder BABCOCK angeboten – ihre Projekte werden von den Großbanken vorfinanziert. Eine Müllverbrennungsanlage wirkt wie ein riesiger Staubsauger auf den regionalen Geldkreislauf
Ein Getrenntsammelsystem von Müll zum Zwecke der Wiederverwertung käme hiesigen Firmen und somit der kommunalen Wirtschaft insgesamt zugute. Bei zu erwartender künftiger Rohstoffverknappung und der damit einhergehenden Verteuerung würde die Müllverwertung zu einem Motor der kommunalen Wirtschaft werden. Hier könnte Wilhelmshaven zukunftsgerichtete Zeichen setzen und an Attraktivität gewinnen – von den Gewinnen für die heimische Wirtschaft ganz abgesehen
Durch die Entscheidung für die Müllverbrennung würde die Stadt ihren Beitrag zur Bildung eines Müllmonopols leisten, welches sich nicht im Wettbewerb um die kostengünstigste Abfallbehandlung zu behaupten hätte.
Gegründet wäre dieses Monopol auf den Abschluß von Müllieferverträgen, aus denen es wegen der langen Laufzeit (bis 20 Jahre sind kartellrechtlich zulässig) keinen Ausstieg gibt. In einem solchen „Knebelvertrag“ müßte sich die Stadt verpflichten, ein nach Menge und Qualität festgesetztes Müllquantum abzuliefern. Auch bei steigender Nachfrage einer aufblühenden Recycling-Industrie käme die Stadt nicht aus dem Vertrag heraus. Sie müßte ihren Bürgern trotz gewinnbringender Möglichkeiten weiter ihren Beitrag für die Müllverbrennung abfordern.
Nach dem zuvor Dargestellten erübrigt es sich, die Wirkung der gebührenpflichtigen Überlassung von Müll zur Verbrennung an ein Müllmonopol auf den Arbeitsmarkt zu beschreiben. Schon aus der Logik heraus, daß Kaufkraftabfluß den Verlust von Arbeitsplätzen bedeutet, wird dies begreiflich. Deshalb soll an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber auf diese Folgewirkung hingewiesen werden.
Die Getrenntsammlung von Müll ist arbeitsaufwendig. Wenn das System funktionieren soll, ist die aktive Mitarbeit aller Bürgerinnen und Bürger dazu erforderlich. Deshalb muß Wilhelmshaven hier Wege finden, die Bürger zum Mitmachen zu motivieren. Umwelt, Wirtschaft und Arbeitsmarkt werden auf ein solches Konzept jedenfalls positiv, reagieren.
*1) Pyrolyse: Unter Pyrolyse versteht man die „Ent- oder Vergasung von Abfällen in einem thermischen Prozeß ohne die Zuführung von Luftsauerstoff. Die entstehenden Pyrolysegase bzw. -öle können sowohl zur Energieerzeugung als auch als Wertstoffe für die Industrie genutzt werden. Problematisch ist die Pyrolyse dann, wenn der Hausmüll noch mit PCB’s behaftet ist – dann müssen hohe Verbrennungstemperaturen (1700°C) erreicht und gehalten werden. Bei entsprechender Vorsortierung des Mülls jedoch relativ problemlos.
Am Parlament vorbei
gelangte die „Vorstudie zum Abfallwirtschaftskonzept Wilhelmshaven“ (Scheffold-Gutachten) in die Hände der Bezirksregierung Weser-Ems. Die Studie, die noch längst nicht ausdiskutiert ist, die sowohl von Teilen•der SPD als auch von Grünen und Frauenliste wegen ihrer eindeutigen Tendenz pro Müllverbrennung kritisiert wird – ein solches Gutachten als Stellungnahme der Stadt Wilhelmshaven an die Bezirksregierung zu schicken, ist gelinde gesagt ein „dicker Hund“.
Wer mit wem?
Das im obenstehenden Artikel desöfteren erwähnte Standortgutachten der Bezirksregierung Weser-Ems war eine Auftragsarbeit der EWE also des Vereins, der die Verbrennungsanlagen betreiben will. Damit ist dann auf jeden Fall die Unabhängigkeit des Gutachtens gewährleistet.
Nächstes Treffen der AG „Müllverwertung“: 5. Juli 1989, 20.00 Uhr „Kulisse“
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