No mobbing
Die Mobbingberatungsstelle „Ventil“ besteht seit einem Jahr
(noa) Der Name ist Programm. „Ich will meinen Besuchern ein Ventil bieten“, sagt Gerda Kümmel. Und es gibt sehr viele Menschen, die Gelegenheit, sich über ihre Probleme am Arbeitsplatz auszusprechen, dringend brauchen. Es kommen Leute aus dem Umland, sogar von den Inseln, natürlich auch aus Wilhelmshaven.
Gerda Kümmel hat aus einem Jahr Beratungsarbeit den Eindruck gewonnen, dass der Umgang der Leute am Arbeitsplatz sehr brutal geworden ist. Sprüche wie „du geistiger Tiefflieger“, „hab ich Ihnen nicht schon tausendmal gesagt, wie Sie das machen sollen?“, ironische Bemerkungen, all dies scheint in zahlreichen Betrieben zum Normalfall geworden zu sein. Sprüche, die viel- leicht einmal als Scherz gedacht waren, sind in Verbindung mit Kritik an der Arbeit nicht mehr witzig, schon gar nicht in einer Situation größerer Erpressbarkeit, wie sie durch die hohe Arbeitslosigkeit gegeben ist.
Wer besucht das „Ventil“?
Etwa die Hälfte der Mobbingopfer, die im „Ventil“ Rat suchen, sind Männer. Viele von ihnen zeigen sich in der ersten Sitzung fast beschämt darüber, sich dazu zu bekennen, dass sie es nicht mehr aushalten. Viele von ihnen fühlen sich nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch zu Hause unter Druck gesetzt. Die traditionellen Geschlechterrollen sind noch in den Köpfen, und Männer mögen kaum sagen, dass sie es am Arbeitsplatz so schwer haben, dass sie an Kündigung denken. Man erwartet von ihnen (oder sie glauben, dass man von ihnen erwartet), dass sie sich durchsetzen können und sich nichts gefallen lassen.
Frauen als Mobbingopfer machen nach Kümmels Eindruck eher die Erfahrung, dass ihre Probleme nicht ernst genommen werden. Ehemänner raten etwa zur Kündigung oder „ermahnen“ ihre Partnerin, sich mit den Kolleginnen zu „vertragen“.
Etwa ein Drittel der Menschen, die um Beratung nachsuchen, sind unter 30 Jahre alt, häufig in ihrer ersten Stelle. Die größte Gruppe stellen die über 45Jährigen. Die Altersgruppe dazwischen ist seltener dabei.
Die meisten Besucher des „Ventils“ haben neben der Mobbingerfahrung auch in anderen Bereichen Probleme. Gerda Kümmel: „Wenn ich frage, wann es anfing, dann erinnern sich viele, dass es gerade dann begann, als das Kind schwer erkrankte, die Ehe zerbrach oder sonst eine schwierige Veränderung ins Leben kam. Offenbar ist man in einer Stresssituation besonders empfindlich und empfänglich, und wenn das Mobbinggeschehen erst einmal seinen Anfang genommen hat, geht es auch weiter. Die Leute, die zur Beratung kommen, strotzen nicht vor Kraft und Durchsetzungsvermögen. Sie sind dabei zu zerbrechen.“
Wer mobbt wen?
Nach einem Jahr Mobbingberatung zieht Gerda Kümmel ein vorläufiges Fazit: Männer und Frauen sind beim Mobbing gleichermaßen beteiligt, sowohl auf der Täter- wie auf der Opferseite. Ein Unterschied zwischen den Geschlechtern ist nur in Sachen sexueller Belästigung festzustellen, wovon Frauen betroffen sind.
Beispiel: Mobbing von unten nach oben Ein Filialbetrieb wird organisatorisch umstrukturiert; der ehemalige Filialleiter verliert seine Vorgesetztenposition und wird zum „gleichberechtigten Teammitglied“. Die ehemaligen Untergebenen nutzen diese veränderte Situation, um ihrem ehemaligen Chef heimzuzahlen, was er ihnen (tatsächlich oder vermeintlich) angetan hat. Seine strenge Hand in der Personalführung hat Verkaufszahlen gebracht und damit Stellen gesichert – er versteht nicht, dass das Team diese Erfolge jetzt mit Sabotage und Beschwerden zunichte macht. |
Was die Richtung von An- und Übergriffen angeht, so steht an erster Stelle das Mobbing von oben nach unten. Es ist allerdings selten die Betriebsleitung, die ihre MitarbeiterInnen schikaniert, sondern in größeren Betrieben und Ämtern die „mittlere Ebene“, Abteilungsleiter, Sachgebietsleiter, Vorarbeiter, die ihre direkten Untergebenen terrorisieren. Gleich danach an zweiter Stelle der Häufigkeit steht das Mobbing von KollegInnen gleicher Ebene. Seltener sind Fälle, in denen Untergebene ihre Vorgesetzten „fertig machen“.
Wie verläuft eine Mobbingberatung?
Wer die Beratungsstelle aufsucht, hat in der ersten Sitzung die Gelegenheit, die Situation am Arbeitsplatz zu schildern. In vielen Fällen ist das schon eine große Erleichterung. Die unerträgliche Situation dauert häufig schon lange an, bevor ein Mobbingopfer kommt. Wer Ärger auf der Arbeit hat, schluckt ihn entweder herunter oder erzählt Familienangehörigen oder FreundInnen davon. Dauert die Belastung aber an, mag bald niemand mehr zuhören. Monatelang leiden und mit keinem darüber reden können, das hält niemand auf Dauer aus.
Unabhängig davon, ob das Mobbingopfer tatsächlich Opfer oder eventuell Täter oder Mittäter ist, können sich die Ventil-BesucherInnen darauf verlassen, dass die Beraterin ihnen glaubt: „Die Wahrnehmung einer Kommunikationssituation ist natürlich immer subjektiv, und wenn man die anderen am Geschehen Beteiligten fragen würde, dann würde man vielleicht hören, dass sie sich ihrerseits von dem anderen gemobbt fühlen. Ich gehe aber in jedem einzelnen Fall davon aus, dass die subjektive Schilderung subjektiv richtig ist.“ Anhand einer Art Checkliste wird dann festgestellt, ob es sich tatsächlich um Mobbing handelt – tatsächlich sind viele Besucher sehr selbstkritisch und stellen in Rechnung, dass sie die Situation vielleicht nicht mehr richtig beurteilen können.
Beispiel: Mobbing unter Gleichrangigen |
Mit ihren Erfahrungen aus ihrer Tätigkeit als Gewerkschaftssekretärin bei der DAG überprüft Gerda Kümmel die Berichte ihrer Besucher auch daraufhin, ob statt einer Mobbingberatung oder zusätzlich dazu anwaltlicher Rat erforderlich ist – manche Mobbingfälle „von oben nach unten“ sind, wie sie es nennt, versteckte Kündigungen, und da empfiehlt sie den Besuchern, auch Rechtsrat einzuholen.
Beispiel: Mobbing von oben nach unten In einem Krankenhaus wird ein Mitarbeiter immer wieder auf Fehler angesprochen. Er wird zurechtgewiesen und hart kritisiert. Schließlich bietet man ihm als „letzte Chance“ einen Wechsel auf eine andere Stelle an und legt ihm ein Papier zur Unterschrift vor. Danach muss er feststellen, dass diese neue (schlechter bezahlte) Stelle im Rahmen einer geplanten Betriebsänderung demnächst wegfallen wird. |
„Dann geht es darum, das Mobbingopfer zu stärken, damit es die Situation verändern kann“, so Kümmel. Nach ihren Erfahrungen haben die meisten eine oder mehrere mögliche Strategien im Kopf, trauen sich aber nicht, sie umzusetzen. Diese Strategien bespricht sie mit ihren Ratsuchenden. Natürlich kam es auch schon vor, dass Ventil-BesucherInnen sich am Ende doch zur Kündigung entschieden haben; einer größeren Zahl ist es jedoch gelungen, ihre Situation nach und nach zu verbessern, z.B. durch eine Besinnung auf die eigenen Fähigkeiten und Stärken, die zu Beginn der Beratung ganz verschüttet waren.
Die Haltung der Arbeitgeber
Auf Wunsch und mit Vollmacht der Ventil-Besucher sucht Gerda Kümmel auch das Gespräch mit Arbeitgebern. Sie hat festgestellt, dass die im Allgemeinen nicht wissen, was in ihrem Betrieb auf der zwischenmenschlichen Ebene abläuft. Zwischen den am Mobbinggeschehen Beteiligten und der Betriebsleitung besteht (zu diesem Thema) eine Informationssperre.
Die Arbeitgeber sind erstaunt und betroffen, wenn sie hören, was vorgeht, und sie wollen (im Sinne eines reibungslosen Ablaufes), dass die Konflikte beigelegt werden. Sie unterstützen die Beschäftigten, die zur Beratung gehen, in einem Fall sogar durch die Übernahme der Gebühren.
Das Kaleidoskop
Außer der Möglichkeit, in der Beratungsstelle Einzelberatung zu nehmen, haben Mobbingopfer Gelegenheit zum Gespräch mit anderen Betroffenen. Etwa monatlich treffen sich Ventil-BesucherInnen in einem Lokal zum Gesprächskreis „Kaleidoskop“.
Mobbing – ein Phänomen unserer Zeit?
Der Begriff „Mobbing“ kursiert erst seit 1993, als Heinz Leymanns Buch „Mobbing. Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann“ in Deutschland herausgegeben wurde. Nimmt man Leymanns Definition – „…negative kommunikative Handlungen, die gegen eine Person gerichtet sind (von einer oder mehreren anderen) und die sehr oft und über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer kennzeichnen“, dann darf man davon ausgehen, dass es Mobbing schon immer gegeben hat, wenn auch nicht diese Bezeichnung dafür.
Ursprünglich stammt das Wort aus der Verhaltensforschung. Es bezeichnet das Verhalten einer Gruppe von Tieren gegenüber einem Eindringling.
Nach Leymanns Buch „boomte“ das Thema „Mobbing am Arbeitsplatz“, und in der Folge spürten Sozialwissenschaftler Mobbing auch in Vereinen und Parteien auf. Leute werden von anderen Leuten „fertig gemacht“, „zur Verzweiflung getrieben“, „rausgeekelt“. Wie bei anderen sozialen Themen und Phänomenen auch, führte der „Boom“ bei der Erforschung des Mobbing und der Berichterstattung darüber zu einer geschärften Wahrnehmung und oft zu Überempfindlichkeit: Eigentlich harmlose Scherze oder gelegentliche Unhöflichkeit wurden als Mobbing gedeutet.
Der Leidensdruck war jedenfalls groß genug, um Beratungsstellen hervorzubringen. Krankenkassen richteten in Zeiten, in denen noch Geld für gesundheitliche Prophylaxe lockergemacht wurde, Beratungsstellen und -telefone ein.
In Gegenden, in denen solche Beratungsstellen nicht gegründet wurden, oblag es z.B. Gewerkschaftssekretären, sich des Themas anzunehmen und KollegInnen zu unterstützen, die es am Arbeitsplatz nicht mehr aushalten konnten.
Das „Ventil“ in Wilhelmshaven ist die einzige Mobbingberatungsstelle im Bezirk Weser-Ems. Als Gerda Kümmel sie 1997 eröffnete, flossen schon keine Krankenkassengelder mehr in die Prävention, und so freut sie sich immerhin darüber, dass die DAK wenigstens einen Raum zur Verfügung stellt. Die Beratung kostet ein Honorar.
Das „Ventil“ ist täglich von 8 – 18 Uhr unter der Telefonnummer 15 52 69 erreichbar. Zu diesen Zeiten können Termine für Beratungsgespräche vereinbart werden.
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