Miß Wilhelmshaven
Aug 261987
 

1200 Voyeure

Schönheitswettbewerb in Schlicktown

Überall fanden in den verregneten Sommermonaten in Küstenorten und auf den Inseln Belustigungen ganz besonderer Art für Touristen und Einheimische statt. Wilhelmshaven machte jahreszeitlich den Vorreiter: Miß-Wahl in Schlicktown.

Da muß frau 35 bzw. 32 Jahre alt werden, um sich zur „Fleischbeschau“ zu trauen. Dabeisein soll ja alles sein und frau ist ja auch neugierig. was denn da nun wirklich abläuft. Rechtzeitig am Veranstaltungsort gibt es Gelegenheit, ausgiebig das Publikum zu studieren. Von Otilie Normalverbraucherin nebst Freundin oder Partner bis zur Schickeria haben sich alle – je nach Geldbeutel – fein ausstaffiert und tragen ihr Outfit lässig zur (Vor-)Schau. Wir scheinen das Ereignis unterschätzt zu haben. Will frau sich und den anderen beweisen, daß sie auch mithalten kann – es aber nicht nötig hat? Will frau/mann sehen, wer den Mut hat, sich zu präsentieren oder sich gar lächerlich macht, sich daran ergötzen? Was mag uns 1200 Voyeure dort hingetrieben haben? Der Abend wird eröffnet von jungen, schlanken, lässigen, durchgestylten attraktiven Models, die uns zeigen, wo’s in Sachen Mode langgeht. Ein einzelnes Kleidungsstück dieser Kollektion kostet mit Sicherheit soviel wie unsere vollständige Sommergarderobe. Schnell werden wir vom Voyeur zum Konsumenten gemacht. Wir erfahren natürlich auch, woher die Dinge, die uns von grauen Mäuschen zur Erscheinung machen, zu beziehen sind. Als dann das erste Mal die 11 Kandidatinnen in Erscheinung treten, werden nach dem Auftritt der professionell wirkenden Vorführdamen schnell Staksigkeit, fehlende Lässigkeit und „Schönheitsfehler“ auf einen Blick sichtbar. Nach den zur Zeit gängigen Schönheits-Idealen können wir fast auf Anhieb feststellen, welches der Mädchen bei der Jury und dem Publikum durchfällt und welches Chancen hat. Bei der Befragung der Teilnehmerinnen nach Beruf bzw. Berufswünschen und Hobbys wird frau schnell klar, daß es sich hier um Mädchen und Frauen handelt, die hier die Chance nutzen wollen, aus einem 08/15-Dasein auszubrechen. Einmal etwas besonderes wagen und sein. Mutprobe für einen Abend. Im Rampenlicht zu stehen, von Schönen zur Schönsten gekürt zu werden, begehrt und bewundert zu sein – welches Mädchen träumt nicht davon? Die Illusion verkommt z.T. zur Peinlichkeit, obwohl sich der 5.klassige Moderator nach Kräften bemüht, den Abend unterhaltsam und locker zu gestalten, was ihm mißlingt.
Zweimal hat er beim Publikum Glück, einmal als Rudi Völler als Jury-Mitglied in Erscheinung tritt und bei Kandidatin Nr.11, die außer dem Versuch, sich möglichst vorteilhaft auszustaffieren, Witz und Selbstbewußtsein erkennen läßt und mit einem ihr unbekannten Herrn eine nicht geplante Tanznummer aufs Parkett legt.
Bei der am späten Abend stattfindenden Badeanzug-Nummer läßt Nr. 11 es dann leider an schlanken Beinen fehlen – also: aus für Nr. 11. Im Laufe des Abends immer wieder Modenschau. Das teuerste an Haarstyling und Fummel ist gerade gut genug. Durch das angebliche Rahmenprogramm. das sich als Schwerpunkt in Sachen Werbung entpuppt, verkommt die eigentliche Mißwahl beinahe zur Groteske. Das Programm zieht sich in die Länge. In langatmigen Pausen machen auch die Besucher/innen einen recht gelangweilten Eindruck. Aber wer die ganze Woche gearbeitet hat und sich auf dieses Ereignis gefreut hat, will montags auch etwas zu erzählen haben und wartet geduldig auf den Höhepunkt. Immerhin – alle dürfen mitwählen! und haben ein Stück Verantwortung, wer als Schönste der Jadestadt bei der nächsten Mißwahl für „uns“ dabei ist.
Kurz vor Schluß gibt es einen Programmpunkt, der di e Leute wirklich in Begeisterung versetzt. Eine Kampfsportgruppe (leider recht aggressive Darstellungen) beweist Körperbeherrschung und Akrobatik.
Alles in allem: selten haben wir einem so langweiligen und langatmigen Spektakel beigewohnt; eines soll allerdings nicht unter den Tisch fallen: nachdem der CDU-Bundestagsabgeordnete Erich Maaß im Wahlkampf bei Podiumsdiskussionen vielerorts vermißt wurde, durften wir ihn an diesem Abend als Jury-Mitglied life erleben. Endlich mal wieder – für die wesentlichen Dinge nimmt er sich eben Zeit!•

FRAUENLISTE WILHELMSHAVEN
Doris Fuhlbohm, Monika Harmsen-Bergenthum
Paul-Hug-Str. 48

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