Mehrheitsgruppe
Nov 201996
 

Hinter den Kulissen

Wie es zur Mehrheitsgruppe im neuen Rat kam – aus grüner Sicht

(noa) Seit 22. Oktober wissen wir es nun: Wilhelmshaven wird in der kommenden Legislaturperiode regiert von einer Gruppe aus SPD, UWB und FPD. Die UWB, die ihren Wahlkampf im wesentlichen gegen den „roten Filz“ geführt hatten, sitzen nun also drin im Filz.

„Die Zukunft Wilhelmshavens wird in den nächsten fünf Jahren gelenkt von einer Gruppe, die unter diesen Voraussetzungen entstanden ist:
1. Menzel ist nicht in der Lage gewesen, sich gegenüber Gerd Kläne zu entschuldigen (deswegen gab es keine weiteren Verhandlungen SDP/Grüne), und
2. Focke Hofmann ist ein Betrüger, der die Verhandlungspartner astrein belogen und betrogen hat.
Das heißt, die Zukunft der Stadt wird nicht von einer Gruppe gelenkt, die inhaltlich neue Pläne, neue Ziele hat, sondern die entstanden ist, weil der eine sich nicht entschuldigen kann und der andere in seiner Eitelkeit seine kompletten Gesprächspartnerlnnen um sich herum belogen und betrogen hat. Das ist die Gruppe, die in den kommenden fünf Jahren die Geschicke dieser Stadt lenken wird.“ So lautet das bittere persönliche Fazit des Grünen-Vorsitzenden Werner Biehl über die Verhandlungen zur Gruppenbildung für den neuen Rat.
Zeitgenosslnnen, die sich aus der Tagespresse informieren, könnten mutmaßen, aus diesen Worten spricht einfach der Frust über die gescheiterten Verhandlungen, eventuell darüber, sich eine Beteiligung an der Regierung dieser Stadt selber vermasselt zu haben. Hatte die WZ am 18.10. doch berichtet, die Grünen seien für die SPD „in dem Augenblick endgültig als Gesprächspartner ausgefallen, in dem die harte Entscheidung der Basis bekannt wurde, nicht Eberhard Menzel als Oberbürgermeister zu akzeptieren“, und zu spät habe man bei Bündnis 90/Die Grünen nach dem Motto „rein in die Kartoffeln – raus aus den Kartoffeln“ diese Sperre wieder beseitigt.

Keine Bewegung von Menzel

Marianne Fröhling, Gerda Kümmel, Gerd Kläne und Werner Biehl, die am 20. September ein Treffen mit der SPD hatten, haben daran ganz andere Erinnerungen. So weit, daß die grüne Verhandlungskommission überhaupt einen „Menzel nein“-Beschluß ihrer Parteibasis in die Debatte hätte werfen können, kam es an diesem Freitag nämlich gar nicht. Nachdem Menzel als Verhandlungsführer der SPD die Grünen aufgefordert hatte, ihre Vorstellungen zu äußern, sagte Biehl, man wolle vor der inhaltlichen erst einmal die emotionale Seite klären. Bislang hatte Menzel seine öffentlich geäußerten Behauptungen, Kläne und Fröhling seien die Informanten des Autorenteams Handlögten/Venske gewesen, nicht zurückgenommen, hatte diese Beschuldigung sogar noch wiederholt, nachdem er im März von der Staatsanwaltschaft mitgeteilt bekommen hatte, dass sie nicht zutrifft – um diese Störung auszuräumen, erwarteten die Grünen nun „Bewegung“ von Menzel.

„Wie können Sie sich mit einem solchen Menschen gemein machen? !“ (Oberbürgermeister Eberhard Menzel zur grünen Ratskandidatin Ute Freese zwei Tage vor der Wahl über Focke Hofmann)

Dieser bewegte allerdings lediglich seine Sprechwerkzeuge, indem er entgegnete, im Sinne der Zukunft der Stadt sollten alle über ihren Schatten springen. Auf die Frage des GEGENWIND, ob er eine Entschuldigung von Menzel in dieser Situation denn angenommen hätte, antwortet Kläne: „Ich hätte ihn geküßt!“ Nun, dieser Kuß erübrigte sich: Menzel entschuldigte sich nicht nur nicht, sondern leugnete auch seine Strafanzeige gegen Kläne und Fröhling wegen Verleumdung und übler Nachrede, und – so die grünen Verhandlungspartnerlnnen – die Gesichter der außer Menzel anwesenden SPD-Mitglieder entgleisten, als ihnen das entsprechende Schreiben der Staatsanwaltschaft gezeigt wurde. Nach dem „Ja“ der Grünen auf Norbert Schmidts Frage, ob sie erwarteten, dass Menzel sich entschuldige, war die Verhandlung nach 17 Minuten beendet. Weitere Gespräche zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen gab es nicht.
Das war allerdings eigentlich auch gar nicht notwendig, denn bis zum 16. Oktober standen alle Zeichen auf „neue Mehrheit“. Dem kurzen Gespräch der Grünen mit der SPD waren Gespräche mit der CDU und den UWB vorausgegangen, und es folgten weitere Verhandlungen dieser drei Gruppierungen, in deren Verlauf man sich bezüglich einer gemeinsamen Grundlage für die kommende Legislaturperiode immer näher kam. Bis auf Differenzen im Sozialbereich einigten sich Grüne und CDU in allen Punkten sofort, und auf Focke Hofmanns Wunsch wurden noch Ideen zur Bürgernähe in den Vereinbarungsentwurf hineingeschrieben. Sowohl bei der CDU als auch bei den Grünen war man sich vollkommen sicher, daß die Gruppe „steht“. Fraglich war zunächst nur, ob die FDP ihren einen Sitz mit einbringen würde, aber (wohl um keine Situation entstehen zu lassen, in der man auf die Republikaner angewiesen ist) Ingo Liermann sagte zu, daß er sich der Gruppe anschließen würde, die ohne ihn auf 22 Sitze käme, und nahm an einer gemeinsamen Sitzung teil.

Hofmanns Manöver

Und hier beginnt nun der Teil der Geschichte, über den die Grünen nicht sprechen können, ohne daß es ihnen zwischendurch die Sprache verschlägt. Am Freitag vor den Herbstferien rief Focke Hofmann bei Gerd Kläne an, sprach davon, daß sein Wort bei ihm etwas gelte, daß er umgekehrt dasselbe hoffe, und bat ihn dringend darum, während der Herbstferien, die er in der Türkei verbringen wollte, nichts zu unternehmen, keine endgültige Vereinbarung mit der CDU zu treffen, da er mit seinen UWB ja dabei sei und mitreden wolle. Und so trafen sich CDU, Grüne und UWB auch gleich am Montag nach den Herbstferien, um dem Vereinbarungspapier die endgültige Form zu geben.

„Laß‘ dich nur nicht von der SPD über den Tisch ziehen !“ (Focke Hofmann zu Gerda Kümmel, neues Ratsmitglied der Grünen)

Zu Beginn dieses Gesprächs fragte Uwe Biester (CDU), ob die Information aus der SPD, derzufolge „die Geschichte mit Focke in trockenen Tüchern“ sei, zutreffe, denn wenn die UWB sich mittlerweile mit der SPD geeinigt hätten, dann habe dieses Zusammentreffen ja keinen Sinn mehr. Focke Hofmann wies dies empört und weit von sich, und nach dem Arbeitsteil der Sitzung saß er mit den grünen Verhandlungspartnern noch „nett“ zusammen und schmiedete Pläne für die Zusammenarbeit im Rat. Friede, Freude, Eierkuchen also, und die neue Ratsmehrheit stand. So dachten jedenfalls Grüne und CDU.

„Ich sag‘ euch eins: Wenn ihr mit der SPD zusammengeht, dann rede ich euch nur noch mit ‚Frau Arschloch‘ und .Herr Arschloch‘ an!“ (Focke Hofmann zu Marianne Fröhling und Gerd Kläne)

Als Marianne Fröhling am nächsten Vormittag, aufgeschreckt durch einen Tip aus der SPD („Ihr habt euch von Focke ja total verarschen lassen – es steht schon seit Wochen fest, daß er mit der SPD koaliert!“) noch einmal mit Hofmann sprach, versicherte dieser noch einmal, daß er keineswegs mit der SPD zusammenarbeiten werde.
Nun, einen Tag später stellte sich dann heraus, daß „die Geschichte mit Focke“ und der SPD tatsächlich schon vor den Herbstferien „in trockenen Tüchern‘, war, am gleichen Tag nämlich, an dem Hofmann Kläne um Stillstand der Verhandlungen für die Dauer der Ferien bat.

Große Koalition

Verständlich, daß die Grünen auf Focke Hofmann sauer sind. Einen positiven Aspekt sehen sie jedoch trotzdem: Die Verhandlungen zwischen ihnen, der CDU, der FDP und den UWB waren, bezogen auf die Kommunalpolitik der nächsten fünf Jahre, nicht vergebens. Hofmann nahm sein Exemplar des Einigungspapiers mit in die Verhandlungen mit der SPD. Und so fanden sich am 24. 10. in der WZ unter der Überschrift „Mehrheitsgruppe will mehr Einfluß auf die Verwaltung nehmen“ die wichtigen Punkte aus dem Entwurf der Vereinbarung zwischen CDU, Grünen, UWB und FDP wieder. „Inhaltlich könnten wir eine Gruppe von 43 Ratsmitgliedern bilden“, kommentiert Gerda Kümmel, die frischgebackene grüne Ratsfrau, diesen Fall von Plagiat.

„Focke Hofmann ist eine Filzlaus!“ (zum Schutz vor einer Beleidigungsklage ungenannter Wilhelmshavener Bürger)
„Focke Hofmann ist keine Filzlaus. Filzläuse leben nämlich, anders als ihr Name es nahelegt, nicht im Filz. Da sie ständig Temperaturen um die 37°C brauchen, leben sie in menschlicher Schambehaarung.“ (Anette Nowak zur Behauptung, Focke Hofmann wäre eine Filzlaus)
Kommentar:

Machtstreben oder Rache
„UWB ist die Abkürzung für UNSERE WAHLER BETRÜGEN“, das ist einer der Sprüche, mit denen im Moment in Wilhelmshaven empörte Wählerlnnen sich Luft machen. Es ist allerdings der nach meiner Kenntnis einzige Spruch, in dem das Kürzel UWB vorkommt. Tatsächlich ist Focke Hofmann im Zusammenhang mit dieser Kommunalwahl und den Vorkommnissen danach die Hauptzielscheibe der Angriffe. „Hofmanns Erzählungen schaden Wilhelmshavens Politik“ (Leserbriefüberschrift), „Hofmanns Rechenkunststück“ (dito), „…Verdacht, daß die UWB nur ein Darstellungsforum für ihren Vorsitzenden ist“ (aus einem Leserbrief) – sollte es sein, daß Hofmann diesmal den Bogen überspannt hat?
„So ist es wohl ein offenes Geheimnis, dass die meisten Wahlversprechen Lügen sind. Um andere Parteien auszustechen, begeben sich viele Politiker geradezu in einen öffentlichen Lügenwettstreit. Damit, daß die Konkurrenz sich der Unwahrheit bedient, rechtfertigen sie ihre eigenes Handeln.
Und obwohl die Wähler um die Lügengeschichten wissen, möchten sie doch an die geschönten Wahrheiten glauben.“ So schreibt Thomas Brockmann in „Die Kunst zu lügen. Leitfaden für die erfolgreiche Unwahrheit“. Focke Hofmann scheint über das allgemein akzeptierte Maß an Lügen in der Politik nun erheblich hinausgegangen zu sein. Es ist ihm mit einem ganz einfachen Mittel gelungen, die anderen Parteien für einen Zeitraum von mehr als zwei Wochenlahmzulegen und seine Verhandlungspartner bis zum buchstäblich letzten Moment in Sicherheit zu wiegen.
Die Frage, was Focke Hofmann dazu getrieben hat, dieses Spiel zu spielen, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Notwendig wäre es nicht gewesen, Er hätte sein Ziel, einziger Bürgermeister zu werden, auch erreicht, wenn er ganz einfach mit der SPD verhandelt hätte, ohne seine anderen Gesprächspartner darüber im unklaren zu lassen. Die SPD, die ebenso scharf darauf ist, an der Macht zu bleiben, wie Focke Hofmann, an der Macht beteiligt zu sein, braucht ihn nun mal unbedingt.
Wenn die Einschätzung einiger Grüner, es sei Hofmann darum gegangen, sich an der CDU zu rächen und diese Rache so lange wie möglich auszukosten, zutreffen sollte, dann würde es nicht ausreichen, ihn schlicht „Betrüger“ zu nennen. Die Grünen sehen es so, daß Hofmann sie für seine Zwecke benutzt hat. Wie werden wohl Hofmanns Parteifreunde ihn und sich nach diesem Stück sehen?

Anette Nowak

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