Lokale Agenda
Nov 101999
 

Wie Expo, nur anders

Welche Perspektiven hat die Lokale Agenda 21 in Wilhelmshaven?

(iz) „Agenda 21? Hat das nicht was mit Landwirtschaft zu tun?“ Dieses oft geäußerte Missverständnis muss den Befragten nicht mal peinlich sein, denn der Anlass der Verwechslung, das Landwirtschaftsprogramm „Agenda 2000″, hat über die Medien einen weit höheren Bekanntheitsgrad erreicht als die Agenda 21. Getreu dem Agenda-21-Motto „Global denken – lokal handeln“ wollen wir die lokalen Aktivitäten zum Agenda-Prozess aufarbeiten und dokumentieren.

Was ist die Agenda 21?

1992 beschlossen die Umweltminister von über 170 Ländern auf dem „Erdgipfel“ von Rio de Janeiro ein Programm, um die Forderung „Global denken – lokal handeln“ weltweit mit Leben zu erfüllen. Die Lokale Agenda 21 fordert als „oberstes Ziel der Siedlungspolitik die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen und der Umweltqualität“. Dieser Gipfel und die 2. Weltsiedlungskonferenz Habitat II in Istanbul haben das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development) geprägt.

Der Leitgedanke: Nachhaltigkeit

Das Sustainability-Konzept ist abgeleitet aus dem Brundtland-Report, der 1987 von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (unter Leitung der damaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland) erarbeitet wurde. Darin steht: „Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse einer gegenwärtigen Generation befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ In der deutschen Übersetzung werden für sustainable neben nachhaltig auch die Begriffe dauerhaft, dauerhaft-umweltgerecht, zukunftsfähig, zukunftsverträglich usw. benutzt. Die Brundtland-Definition (kursiv) ist jedoch in ihrer bildhaften eindringlichen Schlichtheit optimale Arbeitsgrundlage und Roter Faden für alle Beteiligten der Lokalen Agenda.

Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse einer gegenwärtigen Generation befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“
Aus dem Brundtland-Report der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, 1987
Was ist bisher in Wilhelmshaven passiert?

Seit Sommer letzten Jahres haben unter Federführung der Volkshochschule und des Umweltamtes verschiedene Sitzungen zur lokalen Agenda 21 (LA 21) stattgefunden. Auf den ersten Treffen einigte man sich über Grundsätzliches und die weitere Vorgehensweise sowie auf einzeln zu bearbeitende Themen, die in weiteren Sitzungen getrennt abgehandelt wurden. Die Themen und das jeweilige Interesse daran sind unserer Statistik auf der nächsten Seite zu entnehmen.

Wer ist in Wilhelmshaven am Agenda-Prozess beteiligt?

Eingeladen sind eigentlich alle BürgerInnen der Kommune, sich am lokalen Agenda-Prozess zu beteiligen. Es macht jedoch Sinn, vor allem die amtlichen und ehrenamtlichen Interessenvertreter verschiedenster gesellschaftlicher, sozialer, ethnischer, religiöser … Gruppen anzusprechen. Engagierte BürgerInnen werden sich vor allem dort finden, und engagierte, aber nicht organisierte können dazustoßen, sofern sie die kleinen Notizen zu den Sitzungsterminen in der WZ entdecken und etwas damit anfangen können. Wer bislang eine spezielle Einladung (vom Umweltamt) erhalten hat, wissen wir nicht; wer einer Einladung gefolgt ist, ist unserer Statistik auf der nächsten Seite zu entnehmen.

Wir räumen ein, dass auch der GEGENWIND in der Vergangenheit geschludert hat in der Berichterstattung über das lokal wie global bedeutsame Programm Agenda 21. Aus Termingründen konnten wir erstmals im Oktober 99 an einer Sitzung teilnehmen, und von offizieller Seite haben wir bislang keine Informationen erhalten. Die Verantwortlichen haben Besserung gelobt, und wir schließen uns mit dieser „Startseite“ zur Agenda 21 in Wilhelmshaven an.
Ablauf und Methoden der Arbeitstreffen

Die themenbezogenen Sitzungen dauern jeweils 3 Stunden. Im ersten Schritt werden die lokalen Stärken und Schwächen des gesamten Themenkomplexes – z. B. Arbeit und Wirtschaft – analysiert und thematisch zusammengefasst. Im zweiten Schritt werden Handlungsfelder, Ziele und Maßnahmen zu den einzelnen Bereichen erarbeitet.
Gearbeitet wird nach dem Metaplan-Prinzip, das für größere und vom Personen- und Interessenkreis uneinheitliche Gruppen geeignet ist. Zu Anfang beider Arbeitsschritte schreibt jede/r (anonym) seine/ihre einzelnen Gedanken zu der jeweiligen Fragestellung auf Pappkärtchen. Diese werden vom Moderator unter Beteiligung der Gruppe an eine Stellwand geheftet und dabei so sortiert, dass sich die groben Arbeitsziele herauskristallisieren und visualisieren (optisch verdeutlichen) lassen.
Sinn und damit gleichzeitig wichtigste „Spielregel“ dieses Verfahrens ist, dass jede/r Teilnehmer/in, unabhängig von Bildungs- und Wissensstand, von sozialer und politischer Herkunft, ob rhetorisch gewandt oder eher schüchtern, sich gleichberechtigt in den Prozess einbringen kann. Das ist bei der Agenda 21 besonders wichtig, da sie gewissermaßen als letzter Versuch etwas bewegen soll, was etliche mehr oder weniger gute Vor- und Ansätze in der Vergangenheit nicht geschafft haben. Vor allem Kreativität bis hin zu visionärer Kraft ist gefragt, denn viele Ideen, die in ihrer Zeit unrealistisch erschienen, haben zu späterer Zeit die Menschheit vorangebracht und sind heute selbstverständlich.
Voraussetzung ist natürlich – und das liegt auch in der Aufgabe des Moderators – dass alle Teilnehmer/innen diese Spielregeln verstehen, akzeptieren und anwenden. Keine/r darf die Ideen eines anderen Mitglieds der Arbeitsgruppe zerreden, diffamieren, wegdiskutieren – es besteht ja gar kein Anlass, die eigenen Ideen zu „verteidigen“, soll es doch kein Kampf gegeneinander, sondern – endlich einmal – mit- und füreinander sein.

Schwächen des Wilhelmshavener Agenda-Prozesses

1. Viele sind zuständig, aber keine/r richtig. Es gibt in Wilhelmshaven keine Person, die hauptamtlich, und sei es nur befristet, als Agenda-Beauftragte/r eingesetzt ist. Mitarbeiter der Volkshochschule und des Umweltamtes übernehmen neben ihren eigentlichen Jobs die Aufgaben, die mit der Koordination der Beteiligten, Einladung, Moderation und Auswertung der Arbeitstreffen verbunden sind.
In vielen anderen, auch kleineren Städten, gibt es hauptamtliche Agenda-Beauftragte. Oft sind sie im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme eingestellt, aber immerhin wird so über ein bis zwei Jahre der wichtige Initialprozess durchgängig und konzentriert begleitet.
2. Einmal ist keinmal. Zu allen Themenbereichen fand nur je eine Sitzung statt. Mit der Einladung für das nächste Thema wurde das Protokoll verschickt. Im kommenden Jahr sollen spezifische Arbeitskreise zu den einzelnen Themen ins Leben gerufen werden (die dann auch regelmäßig tagen und zielorientiert arbeiten müssten.) Dann ist aber die Motivation, die in den diesjährigen Kreativgruppensitzungen erzeugt wurde, schon wieder verflogen und es kostet neue Energie, sie wieder zu beleben.
3. Komm ich heut nicht… Die Teilnehmerschar war wenig konstant, was vielleicht mit dem unter 2. genannten zeitlichen Bruch zwischen guten Ideen und deren Umsetzung, mit greifbaren Ergebnissen und Erfolgen, zu tun haben mag. Nur für ein Protokoll opfert kaum jemand regelmäßig 3 Stunden Zeit.
4. Anders denken – und denken lassen. Viele Teilnehmer/innen haben Sinn und Methoden der Agenda 21 (noch) nicht begriffen. So kann mancher Ratsherr seinen politischen Hintergrund nicht einfach mal vor der Tür des Sitzungsraumes gewissermaßen an die Garderobe hängen. Mancher meint, die Ideen Andersdenkender gleich wieder zerreden zu müssen. Und unsere Wirtschaftsvertreter haben schon ziemlich zu Anfang beschlossen, sich zunächst einmal untereinander abzusprechen, was dem querschnittsorientierten Ansatz der Agenda nicht entspricht.
5. Was ich nicht weiß… Die unter 4. genannten falschen Herangehensweisen haben vielleicht auch mit Nicht-Wollen, sicher aber mit Nicht-Wissen zu tun. Unabdingbar für einen erfolgreichen Agenda-Prozess ist eine allgemeinverständliche und konstante lokale Information, z. B. eine Serie in der örtlichen Tageszeitung. Es gehört natürlich Geschick und Beharrlichkeit dazu, den Pressevertretern das Thema schmackhaft zu machen.

Wie geht es weiter?

Zunächst mit der letzten Kreativ-Sitzung, es bleibt noch ein Thema abzuhandeln: „Natur und Umwelt“ (s. Kasten). Einladungen werden nur an bisherige Teilnehmer verschickt, aber – um es noch mal deutlich zu machen – eingeladen sind alle Wilhelmshavener BürgerInnen, ob als Einzelperson oder Vertreter/in eines Vereins oder sonstiger Gruppierungen!
Und dann wird es im nächsten Jahr, hoffentlich unterstützt von allen örtlichen Medien, an die konkrete, zielorientierte Umsetzung der in diesem Jahr gesammelten Ideen gehen. Wie Expo, nur anders, nämlich: Alle machen mit, und es kommt was dabei heraus.

Kommentar:

Verhaltene Nachhaltigkeit
„Wilhelmshaven ist ein klassischer Verstoß gegen jegliche Vernunft.“ Diese Äußerung eines Teilnehmers (aus „etablierten“ Kreisen) des letzten Workshops zur Lokalen Agenda 21 bringt es einmal auf den Punkt, warum in Wilhelmshaven immer alles anders und besonders schwierig ist. Ganz besonders die Lokale Agenda 21. Unsere Stadt, da pflichteten ihm andere Teilnehmer bei, ist ein Kunstprodukt, das ohne Kaiser und Hafen gar nicht in dieser Form existieren würde. Bislang setzt sich die gewohnte Mischung aus Halbherzigkeit und Filz auch in der Agenda durch.
Aber denken wir doch mal positiv. „Metropolis“ an der Jade war in der Geschichte schon so oft Spielwiese für Visionen – denken wir an die „Stadt der 400.000″-Visionen, die zum Glück nicht umgesetzt wurden, wie auch solche, die realisiert wurden, ohne unsere Lebensqualität im Ergebnis zu verbessern. Da muss doch Platz sein für die Vision der Agenda 21, wo Ökologie nicht als störende Nebensache, sondern als querschnittsorientierte Leitlinie für soziale, wirtschaftliche und kulturelle Handlungsfelder begriffen wird. Wo Nachhaltigkeit nicht auf Ökologie reduziert, sondern – den Menschen nicht als herrschendes, sondern schützenswertes Element der Ökologie begreifend – auf alle Handlungsfelder angewandt wird.
Schon wieder „grüne“ Spinnerei: „Ja, ABER …“ Ja, aber, wenn wir in Wilhelmshaven doch nichts zu verlieren haben – warum denn nicht? Oder: Was denn sonst?

Imke Zwoch

Lokale Agenda 21
Themenbezogener Workshop „Umwelt / Natur“
für alle interessierten WilhelmshavenerInnen
am Mittwoch, 17. Nov. 1999
um 17 Uhr
in der Volkshochschule,
Virchowstr. 29, Raum 8
(1. Stock links)

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top