Leserbriefzensur
Jan 281991
 

Die WZ behält sich das Recht auf Kürzung von Leserbriefen vor. Das tut sie auch sehr zielgerichtet, wie der am 01.Febr. erschienene Leserbrief ‚Wir sind Mittäter – im Guten wie im Bösen‘ veranschaulicht. Der Gegenwind bringt hier den besagten Brief in voller Länge, wobei die der WZ-Zensur zum Opfer gefallenen Teile in Fettschrift abgedruckt sind:

Gott sei Dank ist es in unserem Lande nicht mehr ganz so leicht, Millionen von Menschen für vordergründige politische Zwecke zu instrumentalisieren, wie Erich Maaß das behauptet. Das ist nach meiner Kenntnis auch an den Wilhelmshavener Schulen nicht der Fall. Aber auf diese Unterstellung wird die Wilhelmshavener Lehrerschaft sicher selbst antworten. Gespannt bin ich ebenfalls darauf, wie die Wilhelmshavener Schüler es aufnehmen werden, daß Erich Maaß sie – zu von ihren Lehrern Verführten – degradiert.

Ein anderes Reizwort, das Erich Maaß aus seinem geistigen Wertevorrat in die politische Kulturlandschaft abkippt, ist der Pseudobegriff ‚Antiamerikanismus‘. Schon der Gedankenansatz –hier Deutscher dort Amerikaner- ist historisch überholt. Denn seit der Einbindung der Bundesrepublik in die Militär- und Wirtschaftsstrukturen der nordatlantischen Gemeinschaft sind wir Mittäter – im Guten wie im Bösen – . Nicht erst seit Offenlegung der Aufrüstung des Saddam Hussein mit Fabriken zur Herstellung völkerrechtlich geächteter Massenvernichtungsmittel sollte dies jedem Bundesbürger, der sich ungehindert informieren kann, bewußt sein. Daß deutsche Industrielle da keine Skrupel kannten, wird ja bei uns schon frei nach dem Motto ‚Geld stinkt nicht‘ für normal gehalten. Daran trägt auch der deutsche Bundestag und in besonderem Maße die Bundesregierung die Verantwortung. Denn sie haben diesen Wirtschaftskreisen die rechtsfreien Räume und Schlupflöcher belassen, die Welt mit Sprengstoff anzufüllen. Der Bundestag und die Bundesregierung haben es zu verantworten, daß an dieser Massentötungsindustrie inzwischen Hunderttausende von Arbeitsplätzen hängen. Wir in der reichen Bundesrepublik müssen uns endlich darüber klar werden, daß an jeder Mark, die wir in die Hand nehmen, das Blut und die Tränen der Elenden dieser Erde hängt.

Hoffnungsfroh stimmt mich, daß es bei den spontanen Demonstrationen gegen den Golfkrieg die Schüler waren, die die Lokomotivfunktion übernommen haben. Solange der Wunsch nach Gerechtigkeit für alle in der Welt – und nicht nur punktuell wie im Golfkonflikt – noch nicht unter dem auswuchernden Zynismus erstickt worden ist, besteht noch Hoffnung auf das Fortbestehen der Menschheit.

Jochen Martin

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