Leserbrief abgelehnt
Sep 011988
 

Zu kritisch!

WZ lehnt Leserbriefveröffentlichung ab

Mit dem Abdruck des folgenden Leserbriefes setzt die neu formierte Redaktion die Gegenwind-Tradition fort, Beiträge zu verbreiten, welche die WZ der Öffentlichkeit vorenthält. Anschließend daran ein Bericht vom Verfasser des Leserbriefes, Jochen Martin.

Leserbrief zum Artikel „Mehr Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen“ (WZ v. 1.7.88)

Ausgerechnet „Industrien zur Abfallbeseitigung“ erkor der ehemalige niedersächsische Finanz- und Wirtschaftsminister Walther Leisler Kiep vor einem geladenen Kreis aus Wirtschaft, Politik und öffentlichem Leben zum „Hoffnungsträger für den Jaderaum“! Jeder, der diesbezügliche Planungen der Landesregierung kennt, weiß, daß es sich im Klartext hierbei nur um eine Giftmüllverbrennungsanlage für Wilhelmshaven und um Giftmüllkavernen für Etzel handeln kann. Die Notwendigkeit dieser “ … derzeit unpopulären Industrien …“ sucht er mit der fragwürdigen Behauptung abzustützen, „Industrieansiedlungen seinen nur dort möglich, wo auch für Industrieentsorgung Möglichkeiten bestünden“.
Zunächst mal ist anzumerken, daß Herr Leisler Kiep mit seiner Redewendung „derzeit unpopulär“ den fast einhelligen Widerstand der hier lebenden Menschen gegen Giftmüllindustrien zu etwas Vorübergehendem und deshalb für seinesgleichen wohl, auch nicht Ausschlaggebendem herabstuft. Das Bedrückende dabei ist, daß er, folgt man dem Kontext des WZ-Berichtes, mit solch einer Betrachtungsweise noch Mut und Hoffnung in dem exklusiven Kreis verbreiten konnte, dem immerhin auch von besorgten Menschen gewählte Volksvertreter angehörten …
Sodann ist klärungsbedürftig, wie Leisler Kiep bereitgestellte Verbrennungs- und Einlagerungskapazitäten für standortsuchende Industriebetriebe reserviert holten will?!
Der Einfall ist zwar originell, nur wie will er verhindern, daß die Giftmüllbetriebe sofort nach Inbetriebnahme voll von auswärtigen Lieferanten ausgebucht werden? Oder was würde die Landesregierung bzw. die ihr im Nacken sitzende giftmüllerzeugende Industrie dazu sogen, wenn im Jaderaum errichtete Entsorgungskapazitäten mit Rücksicht auf erhoffte Industrieansiedlungen nicht ausgelastet würden, während sie der europaweit anschwellende Giftmüllberg zu erdrücken droht?
Im übrigen dürfte es sich bei räumlicher Nähe von Entsorgungsanlagen zu Giftmüll erzeugenden Industrien lediglich um einen Transportkostenvorteil handeln, während der Entsorgungspreis vom Markt geregelt wird. Bei Standortwahl für eine Industrieansiedlung dürfte aber dieser Transportkostenvorteil nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Die relativ große Entfernung des Jaderaumes von den großen Absatzmärkten für Industrieerzeugnisse macht allein schon den Transportkostenvorteil für Giftmüll wieder zunichte.
Nur hier bereits ansässige, für eine gewisse Zeit ortsgebundene Industrien könnten daraus einen Nutzen ziehen. Herrn Leisler Kiep dürfte nicht unbekannt sein, daß die ICI kaum mehr als eine Pumpe mit Rohrleitung zu installieren bräuchte, um z.B. ihre jährlich anfallenden ca. 10.000 Tonnen Vinylchloridmonomerabfälle in einen benachbarten Giftofen zu leiten.
Schließlich ist er jetzt Aufsichtsratsvorsitzender der deutschen Abteilung des ICI-Konzerns!

Jochen Martin

 

Wie es zur Ablehnung kam

Die WZ-Redaktion hat die Veröffentlichung meines Leserbriefes keineswegs schlichtweg abgelehnt. Für die Nichtveröffentlichung hat sie sich sogar noch meine Mitwirkung gesichert, und das ging so:
Nach vier Wochen Warten auf die Veröffentlichung bekomme ich Post von der WZ (Auszug): „Ich habe mehrfach versucht, Sie telefonisch zu erreichen. Sollten Sie noch Wert auf Veröffentlichung legen, rufen Sie mich an … WZ-Chefredaktion, Peters“
An dieser kleinen Hürde sollte mein Leserbrief nicht scheitern. Deshalb rief ich, wie ausbedungen, den stellvertretenden Chefredakteur Jürgen Peters an. Doch der hielt es für angebracht, mich zunächst daran zu erinnern, daß ja inzwischen eine ganze Zeit vergangen sei, und mich daran anknüpfend zu fragen, ob ich denn noch Wert auf eine Veröffentlichung lege!
„Ja“, sagte ich gefaßt.
Da ließ Herr Peters die Katze aus dem Sack: Die WZ-Redaktion wolle den Leserbrief auch veröffentlichen, wenn ich damit einverstanden wäre, daß die beiden letzten Sätze herausgenommen würden. „Das ist Stimmungsmache“, erteilte er mir dazu seine Zensur. Das sei die Aufführung von Tatsachen, stellte ich dem entgegen. Den Gegenbeweis trat Herr Peters nicht an, stattdessen mäkelte er: „Sie geben da doch Ihre sehr subjektive Meinung wieder!“ Auf meine Frage, was Leserbriefe denn sonst seien als subjektive Meinungsäußerungen, wechselte Herr Peters das Terrain: „Nun, Ihr Leserbrief ist ja insgesamt sehr kritisch!“ – und dann offenbarte er, wo die WZ-Redaktion der Schuh drückt:
Die WZ habe sich damals sehr darum bemüht, die Veranstaltung  mit diesem Personenkreis im Columbus durchzuführen und darüber zu berichten . Mit einem kritischen Brief schlüge sie sich doch selber ins Gesicht. Trotzdem habe er der Redaktion gesagt, daß sie dazu ruhig mal einen kritischen Brief veröffentliche sollte. Dem sei zugestimmt worden unter der Voraussetzung, daß die beiden letzten Sätze wegfallen würden. Ob ich damit einverstanden sei?
„Über eine Kürzung ist mit mir keine Einigung herzustellen“, machte ich deutlich. „Dann einigen wir uns darauf, den Leserbrief nicht zu veröffentlichen“, schlußfolgerte Herr Peters.
Der Rest war Formsache: Ich: „Ich halte an meinem in dem Anschreiben zum Leserbrief geäußerten Wunsch auf Veröffentlichung fest. Mit einer Kürzung bin ich jedoch nicht einverstanden.“
Peters: „Dann bringen wir den Leserbrief nicht.“

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