Leserbrief 2
Jun 101991
 

Sozial, gerecht und wirklich bildend: Die Fachschule für Sozialpädagogik

Der folgende Leserbrief wurde uns von zwei Schülerinnen der Fachschule für Sozialpädagogik übergeben. Die beiden jungen Frauen haben uns gebeten, ihre Namen nicht zu veröffentlichen, weil sie Nachteile befürchten müssen. Mit dem Abschluß der Fachschule ist ihre Ausbildung noch nicht beendet. Sie müssen nun noch ein Jahrespraktikum absolvieren und sich danach einer Prüfung an der Schule unterziehen, bevor sie ihre Anerkennung als Erzieherinnen bekommen. Wir machen in diesem Fall eine Ausnahme von der Regel, nur Zuschriften zu veröffentlichen, die einem Verfasser eindeutig zuzuordnen sind. Die Schreiberinnen sind der Redaktion bekannt.

Die Redaktion

Endlich! Zwei Jahre Fachschule sind (fast) geschafft! Zwei Jahre, die viel“ Nerven, Kraft und Zeit kosteten. Angefangen bei der Organisation der Schule, über den Unterrichtsstoff bis hin zum Verhalten der Lehrer gibt es so einiges, das man mit „mangelhaft“ beurteilen kann. Mit der Organisation der Schule haben wir einiges erlebt, z.B. Ein Lehrer soll zur gleichen Zeit zwei Klassen unterrichten oder beaufsichtigen. Oder:Der Unterricht fällt aus, und entweder sind die Lehrer nicht informiert oder die Schüler.
Im nachhinein fragt man sich, was die Schule nun tatsächlich gebracht hat. Sicher, für die Arbeit im Kindergarten hat man etwas gelernt. Die Kleinkindpädagogik steht in den zwei Jahren immer im Vordergrund. Und schließlich mußte man im ersten Jahr während eines sechswöchigen Praktikums im Kindergarten eine umfassende Ausarbeitung über die Arbeit mit den Kindern schreiben. Leider war sie so umfassend, dass dabei für diese Kinder kaum noch Kraft und Zeit blieb.
Was ist jedoch mit den anderen Bereichen wie Heim, Sonderpädagogik oder Freizeit, die nur am Rande behandelt wurden? Ist man nun wirklich fähig, mit Heimkindern, Behinderten oder Jugendlichen pädagogisch sinnvoll umzugehen? Wohl kaum!
Fraglich ist auch, ob die eingesetzten Lehrkräfte überhaupt in der Lage sind, wichtige Inhalte der pädagogischen Arbeit zu vermitteln. So soll man z.B. als Schüler lernen, Kinder zu motivieren – aber wer motiviert uns?
Warum werden wir von Lehrern unterrichtet, die für manche Fächer gar nicht ausgebildet sind und nur „angelesenes“ Wissen weitergeben? (Lesen können wir doch selbst.) Unverständlich ist auch, warum man aus Lehrermangel drei Klassen zusammenziehen muß, um ihnen im Schnellverfahren einige Rechtsgrundlagen zu vermitteln.
Sicher wäre es auch sinnvoller, wenn einzelne Fächer mehr ineinander übergreifen würden. Das verlangt natürlich Absprache und nicht gegenseitiges Abgrenzen.
Die Kleinkindpädagogik schlägt sich nicht nur in den Lerninhalten nieder – auch die Behandlung der Schüler erinnert an Kindergarten – oder Grundschulverhältnisse. Nicht nur, daß man in den Pausen bei Wind und Wetter draußen steht, während die Lehrer im warmen Lehrerzimmer sitzen, daß man nach den Pausen vor dem Klassenraum steht und wartet, bis der Lehrer den Raum aufschließt, auch, daß man dann im Unterricht nicht essen darf, obwohl im Winter jedem Schüler bei eisiger Kälte draußen der Appetit vergeht.
Es wird auch in keinster Weise akzeptiert, daß viele Schüler neben der Schule noch andere Verpflichtungen haben. Viele sind gezwungen, nebenbei zu arbeiten, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen; einige haben Kinder, die ebenso Zeit und Kraft kosten. Trotzdem ist es nahezu unmöglich, mal fünf Minuten eher zu gehen , um seinen Verpflichtungen nachzukommen.
Außerdem werden im zweiten Jahr sogenannte „Nachholstunden “ durchgeführt, da die Praktikumsstellen auf einem achtwöchigen Praktikum bestehen (statt sechs Wochen wie im ersten Jahr), die Schule aber auf die dadurch fehlenden zwei Wochen Unterricht nicht verzichten kann. Diese Stunden werden dann nach dem Ermessen der Lehrer und ohne Rücksicht auf Termine und Verpflichtungen der Schüler an den planmäßigen Unterricht angehängt. Für Fehlzeit en wegen Krankheit, also mit ärztlicher Bescheinigung wird man bestraft, indem die Zeugnisnote um eine Stufe herabgesetzt wird.
Es ist an der Zeit, diese Mängel aufzudecken und zu beseitigen. Allen künftigen Schülern der Fachschule für Sozialpädagogik wünschen wir Kraft und Mut im Kampf gegen ein Schulsystem, das von fehlender Toleranz und Akzeptanz und von Verständnislosigkeit gekennzeichnet ist.

Zwei Schülerinnen der Fachschule für Sozialpädagogik

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