Notausgang
Landesbühne: „Werther!“ frischer denn je
(iz) Ungewollt aktuelle Bezüge zeigte die Premiere des „Werther!“, der am Ende nur den Freitod als Ausweg aus seinem Weltschmerz sieht. Wenige Tage vor der Aufführung hatte sich ein junger Mann in Süddeutschland erschossen – und zuvor weitere 16 Menschen in den Tod gerissen. Zwar sind die Motive für Selbstmord bzw. Amoklauf aus psychologischer Sicht nicht direkt vergleichbar, aber die vielen jungen Zuschauer, die dem atemberaubenden Spiel von Axel Julius Fündeling folgen, finden vermutlich ausreichend Anknüpfungspunkte, um das real stattgefundene Drama zu verarbeiten.
Aktuell wird Goethes Werther – hier in der modernen Bearbeitung von Nicolas Stemann – ohnehin immer bleiben. Immer werden Jugendliche und junge Erwachsene in dieser Phase von „Sturm und Drang“, auf der intensiven Suche nach dem Selbst (im Verhältnis zum Rest der Welt) verzweifeln und oft auch scheitern. Diese Inszenierung, mit der sich Regisseur Dietrich Trapp (der die Landesbühne leider verlässt) ein Denkmal setzte, rückt die unerfüllte Liebe Werthers zu Lotte in den Vordergrund. Doch kann Liebeskummer allein tödlich sein, oder erst dann, wenn alle Brücken zur Außenwelt abgebrochen sind? Aufmerksamen Zuschauern entgehen solche weiterführenden Hinweise – wie z. B. die Enttäuschung durch einen vermeintlich väterlichen Freund – nicht. Durch rasante und überraschende Wechsel des Blickwinkels hält die Inszenierung auch durch oberflächliche Reizüberflutung geschädigte Zuschauer in ihrem Bann. Kann ein „Loser“ wie Werther ein Vorbild sein? Immerhin verbietet er sich selbst jegliche – wenn auch aufkeimende – Gewalt- oder Rachephantasien gegenüber Dritten, die ihn unglücklich machen, auch wenn ihn sein Gefühl für Lotte als Objekt der Anbetung und gleichzeitig Begierde innerlich zerreißt. Erlernte gesellschaftlich-moralische Konventionen sind stärker als der Drang, sie aufzubrechen. Und immerhin durchbricht er seinen Monolog – Ausdruck der sozialen und kommunikativen Vereinzelung – indem er zwischendurch in Kontakt zum Publikum tritt. Gleichwohl ist er in seiner Rolle gefangen – der Notausgang aus dem Theatersaal bleibt ihm als Ausweg verschlossen. Stemanns radikale Modernisierung des Klassikers wird durch Trapp und Fündeling konsequent umgesetzt. In diesem Kontext entfalten auch die für junge Ohren „altmodischen“ Texte (über die auch der Protagonist mit seiner Souffleuse hadert) ihren aktuellen Klang. „Der wohl berühmteste Ego-Trip der deutschen Literatur“ (Rowohlt) ist im Zeitalter von „You Tube“ und Kochshows angekommen. Redaktionstipp: Empfehlenswert für alle Generationen! Weitere Aufführungen: Sa., 04.04. / Mi., 08.04. / Sa., 18.04. /Do., 23.04.2009 / jeweils um 20.00 Uhr / Studio, Rheinstr. 91
Eröffner und Auflöser
„Das Gartenfest“ beschließt den „Bürokratie“-Zyklus der Landesbühne
(iz) Nach „Es lebe Europa“, „Biberpelz“ und „Albertz“ bringt die Landesbühne mit dem Stück „Das Gartenfest“ von Vaclav Havel ihre Analyse der modernen Bürokratie zum Abschluss. Tatsächlich finden sich dort viele Elemente des kafkaesken absurden Theaters, das manche/r (ob als Mitarbeiter/in oder Kunde) heute noch in Amtsstuben erlebt – von Arroganz bis Duckmäusertum. Das 1963 erschienene Stück bewegt sich allerdings in einem ganz anderen Rahmen – dem tschechischen Systemkritiker (und späteren Präsidenten) ging es um die (Entlarvung der) Funktionsweise eines totalitären Systems. Meisterlich pointiert Havel eine pseudo-intellektuelle Imponiersprache, die – je nachdem, welchen Rang die Gesprächspartner in der Hackordnung einnehmen – gleichzeitig bedrohlich wie nichtssagend wirken kann.
Mittlerweile wurde die ehemalige Tschechoslowakei vom kapitalistischen System übernommen, und damit herrschen heute auch andere Kommunikationsformen, die sich anderer Stilmittel bedienen – freilich mit dem gleichen Ziel, nämlich das System aus sich selbst heraus zu erhalten. (Das „Amt für Auflösung“ und das „Eröffnungskomitee“, Erfindungen des Autors, haben in der Realität ihre Arbeit erledigt). Insofern wirkt „Das Gartenfest“ heutzutage schon etwas angestaubt bzw. ist eher als Klassiker zu betrachten, der Geschichte auf die Bühne transportiert. Unterhaltungswert besitzt die Inszenierung aber allemal, fast 100prozentig sicher bewegen sich die Darsteller mit Höchstgeschwindigkeit durch die anspruchsvoll abstrakten Texte und plakativen Bilder. Vor der Premiere wurde mit der Showeinlage „Die Landesbühne sucht den Superbürokraten“ ein aktueller Bezug geknüpft. Da galt es für die 3 Kandidaten z. B. zu erraten, was das Amtsdeutsch mit „raufutterverzehrende Großvieheinheit“ meint. Der Gewinner ist übrigens von Beruf – Lachtherapeut(!), offenbar eine gute Voraussetzung, um in deutschen Amtsstuben zu überleben. Weitere Aufführungen: Fr., 24.04.2009 / Mi., 06.05.2009 / jeweils um 20.00 Uhr im Stadttheater Wilhelmshaven
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