Landesbühne: Die Jungfrau von Orleans
Mrz 082020
 

“There is no gender, only nature”

Jördis Wölk faszinierte in der Titelrolle. Foto: Landesbühne

(iz) Passend zum Internationalen Frauentag lief an der Landesbühne die Premiere des Klassikers von Friedrich Schiller in einer Inszenierung, die das Publikum nachdenklich stimmt, was sich in den vergangenen 600 Jahren bezüglich des Frauenbildes in der Gesellschaft eigentlich so getan hat.

Eine junge Frau, gerade 17 Jahre alt, kämpft kompromisslos, unbeirrbar und ungeduldig für ein gesellschaftliches Ziel, das sie klar vor Augen hat. Dafür wird sie bewundert und verehrt, bald aber auch gehasst, beleidigt und bedroht, bis hin zu Vergewaltigungs- und Tötungsphantasien. Was die schwedische Klima-Aktivistin Greta Thunberg seit fast zwei Jahren erlebt und erträgt, zeigt erschreckende Parallelen zum (kurzen) Leben der Johanna von Orleans, die sich um das Jahr 1430 für einen französischen Nationalstaat einsetzte und schließlich auf dem Scheiterhaufen starb. Heute gibt es keine Hexenverbrennungen mehr – der Hass entlädt sich durch Shitstorms in den „sozialen“ Medien.

Regisseurin Fanny Brunner hat, zusammen mit dem Team der Landesbühne, Friedrich Schillers Originalvorlage um gut die Hälfte gekürzt, auf das Wesentliche für den Fokus dieser Inszenierung, die als Brückenstück angelegt ist: Angesprochen sind, neben erwachsenen Theaterbegeisterten, junge Menschen ab 15 Jahren und explizit auch Schulklassen. Um diese Altersgruppe zu erreichen, kommt das Stück mit Schwung (Musik: Jan Preißler) und auch Witz auf die Bühne, ohne dass die Ernsthaftigkeit auf der Strecke bleibt. Zudem gelingt es allen Darsteller*innen, Schillers ebenso kunstvolle wie sperrige Blankverse gut verdaulich zu rezitieren.

Foto: Landesbühne

Jördis Wölk, die am Ende dieser Spielzeit die Landesbühne (leider) verlässt, zeigt in ihrer letzten Hauptrolle mit starker physischer Präsenz noch einmal ihr ganzes Können als Johanna, die unbeeindruckt von Konventionen einer patriarchalischen Gesellschaft ihren Weg geht. Der riesige Schriftzug “There is no gender, only nature” dominiert die zurückhaltend gestaltete Bühne (Daniel Angermayr), die ihr und ihren fünf Mitspieler*innen Freiraum für ihre Spielfreude lässt. Aom Flury, Daniel Hölzinger, Cyril Manusch, Birgit von Rönn und Johannes Simons verkörpern jeweils mehrere Rollen, wobei die schnellen Wechsel durch pointiertes Spiel und unterstützt durch Angermayrs Kostüme ohne Irritation bleiben. Auch Friedrich Schiller „persönlich“ taucht in einigen Szenen auf und interveniert, war ihm der Stoff doch ein Herzensanliegen (weshalb er „sein Mädchen“ Johanna auch lieber auf dem Schlachtfeld sterben lässt statt, wie ihr historisches Vorbild, auf dem Scheiterhaufen).

Aom Flury überzeugt besonders in seiner Rolle als König Karl, den er als lächerliches Weichei dastehen lässt, ohne dabei klamaukig zu werden. Karl hat keine Lust mehr auf verlorene Schlachten, will die Krone sausen lassen und das Weite suchen. Im letzten Moment taucht Johanna auf, die er gern gewähren lässt, für ihn die entscheidenden Schlachten zu schlagen, um ihn am Ende zur Krönung zu führen. Als sie alles für ihn erledigt hat, will er sie ihrer aus patriarchalischer Sicht wahren Bestimmung zuführen, ganz im Sinne ihres Vaters – und des Erzbischofs (hier: Schiller selbst): „Dem Mann zur liebenden Gefährtin ist das Weib geboren … so wirst Du Deine Waffen von Dir legen, und wiederkehren zu dem sanfteren Geschlecht.“ Johanna denkt jedoch nicht daran, ihre Freiheit aufzugeben. Letztlich führt auch ihre Weigerung, ihre Männerkleidung abzulegen, zu ihrem tragischen Tod.

Die Aufführung endet mit einem Epilog, in dem Jördis Wölk / Johanna einen Text der Feministin Andrea Dworkin (1946-2005) über Jungfräulichkeit deklamiert. Lange Zeit schützte Johannas selbstbestimmte Jungfräulichkeit sie vor der Verurteilung und Verfolgung, doch am Ende wurde sie von der Heiligen zur Hexe umdeklariert. „… (Johannas) Jungfräulichkeit war wesentlicher Bestandteil ihrer Männlichkeit, ihrer Unabhängigkeit, ihrer rebellischen und kompromisslosen Selbstbestimmung. Jungfräulichkeit meinte Freiheit von dem, was in Wahrheit weiblich sein hieß … enge Grenzen und beschränkte Möglichkeiten; gesellschaftliche Unterlegenheit und sexuelle Unterordnung … Unterwerfung unter männliche Macht oder Gewalt … Johannas unbefangene und unbußfertige Übernahme einer männlichen Rolle (sowohl im kriegerischen wie im heroischen Sinne) war das Verbrechen gegen die männliche Überlegenheit, die sie das Leben kostete. Sie wurde getötet für die Freiheit, die sie sich nahm, für den Status, den sie beanspruchte, und für ihren Widerstand gegen die Festlegungen durch das Geschlecht. Sie ging als Frau ins männliche Exil, mit einem männlichen Beruf und in männlichen Kleidern, vor allem diese Kleidung galt als Ungehörigkeit und schließlich als Kapitalverbrechen …“.

Am Ende eines großartigen Theaterabends blieb – neben viel Diskussionspotenzial bei der Premierenfeier und darüber hinaus – ein Stück Traurigkeit über den Abschied von Jördis Wölk, die das Ensemble vier Jahre lang bereichert hat und für die Spielzeit 2018 vom Förderverein mit dem Schauspielpreis ‚Jadering’ ausgezeichnet wurde. Zudem hat sie sich neben ihrem beruflichen Engagement bei der Landesbühne auch ehrenamtlich für das kulturelle Leben in unserer Stadt engagiert. Sie wird uns fehlen – wir wünschen ihr für die Zukunft alles Gute und hoffen auf ein Wiedersehen.

Für die Bearbeitung im Schul-Unterricht hat Dramaturgin Britta Hollmann ein ansprechendes Materialheft zusammengestellt. Durch die Inszenierung selbst werden zwar ad hoc Bezüge zu zeitgenössischen Persönlichkeiten assoziiert (siehe ganz oben), aber nicht thematisiert. Genau dort lassen sich jedoch Schüler*innen aus ihrer Lebenswirklichkeit „abholen“. In diesem Sinne empfiehlt das Materialheft den Artikel „Frauen und die Macht – Welchen Preis Carola Rackete, Greta Thunberg und Luisa Neubauer für ihr Engagement zahlen“ von Susanne Lenz (Berliner Zeitung, 30.12.2019), verbunden mit Fragestellungen wie: Warum ist dieses 17-jährige Mädchen eine der faszinierendsten Frauenfiguren der europäischen Geschichte? Wofür lohnt es sich heute noch zu kämpfen? Woran glaube ich? Wer sind heute die Figuren, auf die wir unsere Hoffnungen projizieren und die schließlich im medialen Scheinwerferlicht verbrannt werden?

Weitere Termine im Stadttheater Wilhelmshaven: Mi., 25.03., 20 Uhr / Di., 31.03., 20 Uhr / So., 05.04., 15.30 Uhr / Di., 14.04., 20 Uhr / Mo., 27.04., 20 Uhr / Sa., 16.05., 20 Uhr

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