Landesbühne
Jan 142018
 

Es lebe die Revolution

„Feuer aus den Kesseln“ als Auftakt zum 100jährigen Gedenken an die Matrosenaufstände von 1918

Das kesselt - aber nicht mehr lange. Foto: Landesbühne

Das kesselt – aber nicht mehr lange. Foto: Landesbühne

(iz) Für konservative, kaisertreue Gemüter sind die Matrosen, die im Oktober 1918 die letzte „Feindfahrt in den Tod“ verweigerten, bis heute Meuterer und „Novemberverbrecher“. Für andere sind sie Helden und die Väter unserer heutigen Demokratie. Im Laufe des Jubiläumsjahres 2018 sollen die damaligen Ereignisse und ihr historischer Kontext mit verschiedenen Veranstaltungen und Aktionen aufgearbeitet werden. Den Anfang macht die Landesbühne: Angelehnt an Ernst Tollers Schauspiel „Feuer aus den Kesseln“ wird das historische Geschehen zwischen der Gründung Wilhelmshavens (1869) und der Ausrufung der Weimarer Republik beleuchtet.

Mühsam quälen sich die Arbeiter mit ihren schweren Stiefeln durch den Schlick. Pfosten ragen aus dem Watt, vielleicht Reste von Lahnungen, vielleicht Pfahlgründungen, wie sie bis heute bei Bauten im morastigen Untergrund der Südstadt zur Stabilisierung eingesetzt werden. Fieses Summen umkreist die schwitzenden Gestalten: Mücken, Anopheles, in den 1860er Jahren erkrankten Tausende Werftarbeiter und Marinesoldaten an Malaria, in Ostfriesland Marschenfieber genannt. Karge Wortwechsel op Platt: „Wi hebbt nu een Marine.“ „Watt ist dat denn?“ „Scheep. För’n Krieg.“

Mit einfachen Mitteln wird auf der Bühne gekonnt eine Atmosphäre geschaffen, die binnen weniger Minuten das Publikum um 150 Jahre zurückversetzt. Um es dann mitzunehmen auf eine rasante, aber konzentrierte Zeitreise durch die Wilhelmshavener Geschichte.

Regisseur Michael Uhl hatte den Auftrag, anlässlich des 100jährigen Gedenkens an die Matrosenaufstände von 1918 Feuer aus den Kesseln auf die Bühne zu bringen. Tollers Stück spielt vor Skagerrak, in Wilhelmshaven, Rüstersiel, Kiel und Berlin in den Jahren 1917/1918 und 1926. Für die Zuschauer*innen der Uraufführung 1930 war das alles noch eigene Zeitgeschichte. Fast 90 Jahre später kennen die meisten diese Ereignisse und die Entwicklungen im Vorfeld allenfalls aus dem Geschichtsunterricht. Regisseur Michael Uhl liefert deshalb in seiner Bühnenfassung den Kontext mit – vom ersten Spatenstich für des Kaisers Marine-Etablissement bis zum Ausrufen der ersten demokratischen Republik auf deutschem Boden.

Wie die Arbeiter durch den Schlick, wühlte sich Uhl ein Jahr lang durch die Geschichte. Um diese „im besten Tollerschen Sinne“ direkt erfahrbar zu machen, „schürfte“ er vor allem nach O-Tönen. Eine große Hilfe war ihm Stephan Huck, Leiter des deutschen Marinemuseums. Dort war 2014 die Ausstellung „Die Flotte schläft im Hafen ein“ zu sehen, die auf Tagebüchern kaiserlicher Marinesoldaten basierte. Bei der Recherche stolperte Uhl auch über die „historische Pointe“, dass Wilhelmshaven erst durch den kaiserlichen Kriegshafen entstand – und genau hier knapp 50 Jahre später das Kaiserreich unterging.

Der die Pfade bereitet stirbt an der Schwelle,
doch es neigt sich vor ihm in Ehrfurcht der Tod
Dem Andenken der Matrosen Köbis und Reichpietsch, erschossen am 5. September 1917

Mit der Entscheidung für Michael Uhl hat die Landesbühne ein glückliches Händchen bewiesen. Die oben beschriebene „narrative Recherche“ mit lokal-historischen Bezügen ist ein Schwerpunkt seiner Theaterarbeit. 2008 inszenierte er in Kiel (zum dortigen 90jährigen Gedenken an die Matrosenaufstände) das Auftragsstück „Neunzehnachtzehn“. Uhl ist also mit dem Thema – und durch seine Arbeit am Oldenburgischen Staatstheater auch mit den norddeutschen Verhältnissen – vertraut. Als Nicht-Wilhelmshavener brachte er trotzdem eine erquickliche Mischung aus zugewandter Neugier und sachlicher Distanz in seine hiesige Arbeit ein. Am größten Marinestandort Deutschlands gerät eine kritische Betrachtung der maritimen Streitkräfte schnell zum Sakrileg. Ein Außenstehender kann freier Position beziehen. Schon in Kiel war es Uhl „wichtig zu zeigen, was die angeblichen Meuterer schon alles an Kriegswahnsinn hinter sich gebracht hatten, ehe es zum Aufstand kam.“ (Kieler Nachrichten 4.12.2008, Revolution als grosses Spektakel)

Das ist ihm wahrhaft auch in Wilhelmshaven gelungen. Ein Vierteljahrhundert auf gut zwei Stunden zu verdichten, erfordert über große Strecken einen Schnelldurchlauf, doch sind einzelne Etappen pointiert herausgestellt und gerade den Alltagserfahrungen der Arbeiter und Matrosen, die langfristig zum Aufstand führten, sind längere Sequenzen gegönnt (schuften schippen, dienen, Drangsalierung), um das Unerträgliche erfahrbar zu machen.

Uhls gelungenes Konzept wurde durch das großartige Team der Landesbühne zu einer herausragenden Inszenierung veredelt. Die jungen Ensemble-Mitglieder Simon Ahlborn, Philipp Buder, Sven Heiß, Ben Knop, Julius Ohlemann und Jördis Wölk lassen die Zeitzeugen von damals mit Leib und Seele wieder auferstehen und zu Worte kommen, mit zeitweise atemberaubend schnellen Rollenwechseln. Das eingangs skizzierte großartige Bühnenbild von Thomas Rump erfährt im Laufe des Abends eine schweißtreibende Verwandlung mit starker Symbolkraft. Die Tontechnik leistet mit exaktem timing ihren Beitrag zur atmosphärischen Dichte des Bühneerlebnisses.

Mehr wollen wir nicht verraten, das Stück braucht keine Erklärungen und wir wollen den Theaterbesuch nicht spoilern. Zur Vor- oder Nachbereitung empfiehlt sich das von Dramaturgin Lea Redlich gut gemachte Programmheft zum Stück. Hingehen, anschauen, rührt Euch!

Weitere Aufführungstermine in Wilhelmshaven
Mi, 31/01/2018 / Mo, 12/02/2018 / Fr, 09/03/2018 /  Fr, 16/03/2018, jeweils um 20.00 Uhr und So, 11/03/2018  um 15 Uhr 30 im Stadttheater Wilhelmshaven

Das Deutsche Marinemuseum, das die Schirmherrschaft für diesen Theaterabend übernommen hat, bietet an allen Vorstellungstagen um 14.00 Uhr eine Themenführung an.

 

 

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