Lärmschutz
Mrz 052008
 

Gutachten und Tatsachen

Von Anwohnern initiierte Lärmmessungen ergaben unzulässige Werte

(jt/hk) In Wilhelmshaven sollen der JadeWeserPort und diverse neue Kohlekraftwerke entstehen. Der Kohleumschlag soll von derzeit jährlich 1,4 Mio. Tonnen auf bis zu 8 Mio. Tonnen gesteigert werden. Der Bau des Flüssiggas-Terminals wird wohl schon bald genehmigt werden, und für die Erweiterung der Raffinerie (WRG) wird gerade ein neues Genehmigungsverfahren anberaumt. Außerdem sollen die A29 bis zum JadeWeserPort und das Nordgleis bis zum Binnenhafen verlängert werden.


Für all diese Planungen wurden Gutachten über Gutachten erstellt, die allesamt immer wieder zu dem Ergebnis kommen, dass es keine erheblich negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur geben wird. Glaubt man den Gutachtern, wird sich für die Bürger nichts verändern. Kein Staub, kein Licht, kein Lärm – die Natur wird gar nicht merken, dass Hunderte Hektar überbaut und Millionen Kubikmeter warmes Wasser in die Jade gekippt werden.
Immer wieder zweifeln Bürgergruppen und Umweltverbände an der Richtigkeit der Gutachteraussagen. Da kaum jemand über die finanziellen Mittel verfügt, eigene Gutachten anfertigen zu lassen, die denen der Auftraggeber gegenübergestellt werden könnten, bestehen kaum Aussichten, den von den Vorhabensträgern beauftragten Gutachtern Fehler schon vor dem Bau eines Großprojektes nachzuweisen.
Die gutachterlichen Fehleinschätzungen werden somit in der Regel erst dann offenbar, wenn die geplanten Anlagen ihren Betrieb aufgenommen haben. Die betroffenen Bürger können dann sehen, wo sie bleiben.
Manchmal eröffnet aber der Zufall den Bürgern eine Chance zur Gegenwehr: Für die erheblichen Verkehre aus den diversen Großprojekten in Wilhelmshaven haben die Gutachter errechnet, dass es an keiner Stelle zu Lärmüberschreitungen kommen wird!
Seit einigen Wochen beschweren sich jedoch Bürger aus dem Stadtnorden über einen erheblichen Krach, den vermehrt vorbeifahrende Güterzüge verursachen.
Schon am frühen Morgen springen die BürgerInnen aus den Betten, weil sie vor lauter Lärm nicht weiterschlafen können. Am späten Abend versuchen sie vergeblich einzuschlafen, werden aber auch daran vom erheblichen Lärm der vorbeifahrenden Güterzüge gehindert.
Der Grund dafür: Auf der Bahnstrecke zwischen Rüstersieler Groden Nord und Voslapp Nord fahren seit einiger Zeit in den frühen Morgen- und späten Abendstunden mehrfach lange Güterzüge. Es handelt sich hier nicht um die seit Jahren gewohnten geringen Zugfrequenzen aus der INEOS, sondern um vermehrte Kohletransporte der Rhenus Midgard, die nach vorliegender Genehmigung momentan 800.000 t Kohle an der Niedersachsenbrücke umschlägt und einen Teil davon über Güterzüge abtransportieren lässt.
Aufgrund dieser erheblichen auch während der Nachtstunden stattfindenden Belästigung haben einige Anlieger den Versuch unternommen, eine zuständige Stelle zu finden, die sich der Sache einmal annimmt und eine Lärmmessung durchführt. Leider ohne Erfolg. Eine der betroffenen Familien wurde bei dem Versuch, einen Ansprechpartner zu finden, vom Umweltamt der Stadt über sechs weitere Stellen immer an den nächsten angeblich Zuständigen verwiesen, bis sie schlussendlich bei der Bundespolizei gelandet war und das Ansinnen, als Bürger gehört zu werden, aufgab.
Ein Anwohner der Sengwarder Straße, also relativ weit (ca. 300 – 400 m) von der Bahnstrecke entfernt und zudem durch diverse Gebäude und den Deich vor dem Lärm geschützt, dachte lange Zeit, dass wieder einmal Flugmanöver über der Jade stattfänden. Vielleicht bedingt durch die extrem schlechte Beschaffenheit des Gleises hat dieser Lärm große Ähnlichkeit mit den Geräuschen von kreisenden Düsenjägern über der Jade. Selbst bei geschlossenen Fenstern und laufendem Fernseher sind die Züge störend zu hören.
Glaubt man den vielen Gutachten der letzten Jahre, in welchen immer wieder darauf hingewiesen wird, dass es auf keinen Fall durch die Großprojekte und der sich daraus ergebenen Verkehrsentwicklung zu irgendwelchen Störungen durch Lärm kommen wird, dürfte man eigentlich gar nichts hören. Auf vielen hundert Seiten erklären die Gutachter dies auch ganz genau und liefern eine Berechnung nach der anderen bei ihren Auftraggebern ab. Da heißt es dann oft, dass die Wahrnehmungsschwelle nicht einmal überschritten wird.
Da sich viele Voslapper Bürger immer häufiger an die BASU wandten, versuchte diese, der Sache auf den Grund zu gehen, und führte Lärmmessungen auf dem Voslapper Deich durch.
Die Messungen, die sicherlich den technischen Möglichkeiten nicht hundertprozentig genügen, wiesen Lärmwerte aus, die von den Berechnungen der Gutachter ganz erheblich abwichen: U. a. wurden in den Abendstunden des 25.02.2008 Lärmmessungen auf einem betroffenen Grundstück direkt am Deich in der Fedderwarder Straße während der Vorbeifahrt eines der Güterzüge durchgeführt. Ca. 1,50 m über Grundstücksniveau zeigte das Messgerät einen Lärmpegel von 69 dB(A) an, und das nicht direkt am Gleis oder auf dem Deich, sondern ca. 50 m westlich des schallschützenden Deiches, also auf der dem Gleis gegenüberliegenden Deichseite.
Eine zweite Messung erfolgte in Höhe des Schlafzimmerfensters ca. 5 m über Grund-Niveau des 1. Stockwerkes der Siedlungen – hier zeigte das Gerät dann sogar 72 dB(A). Nach der 16. Bundesimmissionsschutzverordnung (BimSchV) dürfen in Wohngebieten tagsüber/nachts 59/49 dB(A) bzw. in Misch- und Dorfgebieten 64/54 dB(A) nicht überschritten werden.
Kein Wunder also, dass die Menschen hier nur noch ganz kurze Nächte haben. Sicherlich sind die dargestellten Messergebnisse mit einer gewissen Fehlertoleranz behaftet, wobei der Messgerätehersteller diese mit +/- 1% angibt. Vergleichsmessungen mit anderen Geräten haben jedoch keine signifikanten Abweichungen nach oben oder unten ergeben.
Diese direkt vor Ort festgestellten Lärmpegel weichen erheblich von den gutachterlichen Bewertungen in den angeblich so präzisen Berechnungen der Gutachter ab.
Hinzu kommt, dass die Gutachter angeblich den möglichen Maximalwert ermittelt haben wollen, der erst dann entsteht, wenn tatsächlich alle Großprojekte und Güterzüge mit ihrem Lärm über die Menschen kommen. Bisher handelt es sich nur um wenige Zugfahrten pro Tag. Aber was passiert, wenn tatsächlich 16 Kohlezüge am Tag über dieses Gleis rollen werden? Und wenn dann noch durch das geplante Nordgleis weitere Züge aus dem inneren Hafen hinzukommen und im Norden Voslapps auch noch die 36 Containerzüge aus dem JadeWeserPort Richtung Sande abgeführt werden müssen?
Bisher halten sich alle verantwortlichen Stellen bedeckt. Mit Datum vom 26.02.2008 wurden jetzt die Stadt Wilhelmshaven, die Deutsche Bahn, das Gewerbeaufsichtsamt in Oldenburg und das niedersächsische Wirtschaftministerium von der BASU über die Messergebnisse informiert.
Man darf gespannt sein, wann und ob die zuständigen Behörden diesem Verdacht auf unzulässige Lärmbelästigung nachgehen und welche Maßnahmen sie bei Bestätigung der bei ihnen eingegangenen Beschwerde zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger treffen.
In dem BASU-Schreiben wird deutlich gemacht, dass von möglichen Gesundheitsschädigungen bei den Anwohnern ausgegangen werden muss. Weiter heißt es: „Diese Vermutung sollte schnellstmöglich von Ihrer Seite durch offizielle Messungen begutachtet werden und entweder als unrichtig oder aber korrekt bestätigt werden, was zur sofortigen Einleitung entsprechender Maßnahmen zur Lärmreduzierung führen müsste“.
Nun müsste eigentlich Schwung in die Sache kommen.

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