Kosten der Unterkunft
Mrz 162011
 

Letzte Chance

Wer noch keinen Überprüfungsantrag wegen der Kosten der Unterkunft gestellt hat, sollte sich beeilen

(noa) Zur Versammlung am 8. Februar hatte die Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland den Oldenburger Rechtsanwalt Alfred Kroll eingeladen. Thema waren die Kosten der Unterkunft (KdU).

„Seit Hartz IV wissen wir eh nicht mehr, wie spät es ist“, reagierte der Referent auf einen Versprecher bezüglich des Datums. Zu spät wird es jedenfalls bald für die Hartz IV- und Grundsicherungs-Berechtigten sein, die noch keinen Überprüfungsantrag bezüglich der Kosten der Unterkunft gestellt haben. Aber der Reihe nach.

Im Dezember war Kroll wieder einmal beim Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, wo 16 „Fälle“ gegen das Job-Center Wilhelmshaven wegen zu gering bewilligter Kosten der Unterkunft verhandelt wurden. Und hier kam es zu einem Vergleichsvorschlag, den er annahm. Wenn das Job-Center Wilhelmshaven ihn auch annimmt (und das hatten die Wilhelmshavener Vertreter vorab zugesagt) ist damit endlich – nach fünf Jahren – der Dauerstreit in dieser Sache beendet.

In dem Vergleichsvorschlag sind folgende Mietobergrenzen für die Jahre 2007 bis 2009 festgeschrieben worden.

Tabelle_KostenderUnterkunft_Mietobergrenzen  Sie liegen über den in der fraglichen Zeit regelmäßig vom Amt bewilligten, aber unter den in den ganzen Jahren regelmäßig von den Sozialgerichten ausgeurteilten Mieten. Und: Sie decken sich mit den Zahlen, die die Arbeitsloseninitiative damals bei ihren eigenen Erhebungen ermittelt hat!

Eile ist nötig

Mit einem jetzt schnell gestellten Überprüfungsantrag kann z.B. jemand, der als Einzelperson 286 Euro Miete oder mehr gezahlt hat, aber nur 265 Euro vom Job-Center erstattet bekommen hat, sich 756 Euro vom Job-Center zurückholen.

Aber niemand sollte das jetzt auf morgen verschieben, denn mit der Neuregelung des SGB II, mit der fünf Euro Regelsatzerhöhung und ein Bildungspaket für Kinder beschlossen sind, wurde auch die Gesetzesbestimmung verschlechtert, nach der Menschen, denen für sie ungünstige Bescheide ausgestellt wurden, rückwirkend zu ihrem Recht kommen können. § 44 SGB X wurde dahingehend geändert, dass diese Menschen jetzt nur noch für ein Jahr rückwirkend, nicht mehr wie vordem für vier Jahre, ihre Bescheide überprüfen lassen können.

Wir stellten sofort nach der ALI-Versammlung eine entsprechende Information in unsere Internetausgabe und sorgten auch dafür, dass auf anderen Internetpräsenzen die „Eile ist geboten“-Meldung erschien. Und DIE LINKE schrieb schnell ein Flugblatt und verteilte um die 1000 Exemplare davon vor dem Job-Center. Damit wurden hoffentlich noch viele Hartz IV-Berechtigte erreicht, die in den Jahren 2007 bis 2009 ihre Miete rechtswidrigerweise nicht voll erstattet bekommen haben, und hoffentlich haben viele von ihnen noch ihren Überprüfungsantrag gestellt. Am 25. Februar ist die Neuregelung nun beschlossen worden, und sobald sie im Bundesgesetzblatt veröffentlicht ist, gilt sie. Und dann wird der Zug für den Vierjahreszeitraum abgefahren sein.

Der Beschiss

Mietobergrenzen für die Jahre 2010 bis 2012 sind noch keine errechnet worden. Man kann nur hoffen, dass Wilhelmshaven sie dann auf gesetzlich korrekter Basis berechnen und nicht auch die nächsten fünf Jahre vor Gericht zubringen wird.

Den jetzt hoffentlich bald abgeschlossenen Rechtsstreit gab es wegen eines Wilhelmshavener Kunstgriffs, der bundesweit in der Fachöffentlichkeit Aufsehen erregte: Statt einem Bedürftigen einen Wohnraum von 50 Quadratmetern Größe zuzubilligen (wie es sonst überall der Fall ist), ist man in Wilhelmshaven von einer Wohnungsgröße von 44 Quadratmetern ausgegangen. Das machte bei einem Quadratmeterpreise von 6 Euro einen Unterschied von 36 Euro zu Ungunsten des Grundsicherungsempfängers aus. Die Zahlen, die das Landessozialgericht 2009 errechnet hatte, sind auch nicht richtig, sondern zu hoch gewesen. Natürlich hat das Job-Center diesen „Rüffel“ sofort genutzt, um dem Landessozialgericht „Manipulation“ des Zahlenwerkes vorzuwerfen (hört, hört!), und seither ist das Landessozialgericht auf das Job-Center Wilhelmshaven gar nicht gut zu sprechen.

In den drei Musterverfahren, die den langen Instanzenweg vom Sozialgericht Oldenburg über das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen bis zum Bundessozialgericht und wieder zurück zum LSG gegangen sind, wurden schließlich Profis aus dem Bereich Mathematik und Statistik hinzugezogen. Diese Gutachter hat Alfred Kroll in der Verhandlung im Dezember 2010 (s.o.) telefonisch befragt, bevor er seinerseits dem Vergleichsvorschlag des LSG zustimmte.

Darf es sein, dass eine Behörde die Unwissenden betuppt und schadlos aus der Sache rauskommt? Nach Meinung von Kroll ist die Stadt Wilhelmshaven, die als kommunaler Partner in der Gemeinsamen Einrichtung (früher ARGE) für die Kosten der Unterkunft zuständig ist, jetzt moralisch in der Pflicht, den Betroffenen die damals vorenthaltenen Beträge auch ohne rechtliche Verpflichtung zu geben und dabei bis zum Jahr 2005 zurückzugehen. Man wird sehen, ob man die Stadt dazu bewegen kann. SPD-Ratsherr Uwe Reese jedenfalls war bei der Versammlung und hat den Appell gehört.

Die Verkürzung der Überprüfungsmöglichkeit von vier Jahren auf ein Jahr ist eine massive Einschränkung der Rechte von Menschen, die existenziell abhängig von Behörden sind. Ende 2010 war die SPD noch entschieden gegen das, was die Arbeitsministerin als Antwort auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 sich ausgedacht hat. Damals konnte man noch hoffen, dass die 25 % Bundestagsabgeordneten, die für eine Normenkontrollklage nötig sind, locker zusammenkommen würden. Jetzt ist nur noch die Rede davon, dass LINKE und GRÜNE gegen die Gesetzesnovelle klagen werden. Hoffentlich haben sie dabei auch den § 44 SGB X auf dem Schirm!

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