An die Schwankenden
DGB und Infoladen rufen zu getrennten Maiveranstaltungen auf
(ub) Heraus zum 1. Mai? Haben sich immer mehr Menschen in den vergangenen Jahren nach dem ‚Warum’ gefragt und sich mangels klarer Perspektive gegen die Teilnahme an Maikundgebung und Demonstration entschieden, so stellt sich in diesem Jahr zusätzlich die Frage nach dem ‚Wohin’. Neben der traditionellen Maikundgebung des DGB findet eine Veranstaltung des Wilhelmshavener Infoladens statt.
Unter dem Motto: für „ein freies selbstbestimmtes Leben für alle Menschen. Frei von Unterdrückung, Ausplünderung, Hunger, Rassismus und Sexismus – und selbstbestimmt in Gestaltung, Zielsetzung und Sinngebung“, soll die vom Wilhelmshavener Infoladen organisierte Demonstration und Kundgebung hinter dem Park am Kulturzentrum Pumpwerk stattfinden. Der Aufruf des Infoladens richtet sich „an alle kritischen Menschen, die als Betroffene den Repräsentanten und Repräsentantinnen von Staat, Gewerkschaft, Kirche … einmal die Meinung über ihr falsches Tun bzw. Nichtstun in nahezu allen gesellschaftspolitischen Bereichen unterbreiten wollen!“
Der DGB-Kreisverband Wilhelmshaven hat auch in diesem Jahr darauf verzichtet, seine Mitglieder für eine Demonstration zu mobilisieren, und lädt stattdessen zur Kundgebung „für Gleichberechtigung, Toleranz und Gerechtigkeit“ mit anschließendem Maifest am Pumpwerk ein.
Auf der einen Seite also eine Veranstaltung, die den Menschen unterschiedlichster Organisationen „den Rahmen und das Forum für ihre Meinungen und Antworten“ geben will (aus dem Flugblatt des Infoladens) und Raum läßt für „fantasievolle Aktionen“. Auf der Abschlusskundgebung sollen u.a. VertreterInnen der Tierrechtsbewegung, Jugendliche, die für ein autonomes Jugendzentrum kämpfen, Menschen, die sich für die Freigabe von Methadon einsetzen etc. zu Wort kommen. (Sowohl die Rednerliste als auch die Namen der sich beteiligenden Organisationen standen bei Redaktionsschluß noch nicht fest) . Zum anderen die Veranstaltung der Gewerkschaften, die traditionell führende Vertreter des DGB zu Wort kommen läßt und anschließend ein „Unterhaltungsangebot für jung und alt“ (DGB-Aufruf) bei Erbsensuppe, Kaffee und Kuchen, Torwandschießen und Folklore bietet.
Zwei Maiveranstaltungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Und doch hat gerade der in Wilhelmshaven erstmalige Aufruf zu einer gewerkschaftsunabhängigen Veranstaltung am 1. Mai bereits im Vorfeld zu heftigen Auseinandersetzungen geführt (siehe auch Kommentar).
Wobei die Diskussion über die Parallelität der Ereignisse durch den vom Infoladen gewählten Zeitpunkt (die DGB-Veranstaltung beginnt um 10.30 Uhr, die vom Infoladen angemeldete Demonstration soll um 11.00 Uhr starten) unverhältnismäßig in den Vordergrund, die politische Auseinandersetzung über den Inhalt der Veranstaltungen (leider) in den Hintergrund geraten ist. Eine Demonstration eindeutig vor oder nach der DGB-Kundgebung hätte diese überflüssige Diskussion erübrigt. So aber erscheint angezeigt, daß sich auch die Veranstalter des Infoladens das von ihnen in ihrem Flugblatt zitierte Gedicht von Bertolt Brecht „An die Schwankenden“ noch einmal selbst zu Gemüte führen. Darin heißt es unter anderem: „…Wir aber haben Fehler gemacht, es ist nicht zu leugnen. Unsere Zahl schwindet hin. Unsere Parolen sind in Unordnung. Einen Teil unserer Wörter hat der Feind verdreht bis zur Unkenntlichkeit…“
Was war, was ist unser Ziel?
Mit dieser Frage beginnt ein vom „Infoladen“ herausgegebenes Flugblatt zum 1. Mai. Ziel dieses Flugblattes ist es, die schon seit Jahren zurückgehenden Teilnehmerzahlen der DGB-Veranstaltungen zum 1. Mai weiter zu dezimieren. Offen fordern die Organisatoren dieser Aktion dazu auf, sich nicht an der offiziellen DGB-Maikundgebung zu beteiligen, sondern sich am „1. Mai hinter dem Park am Pumpwerk“ einzufinden.
Es erübrigt sich beinahe zu erwähnen, dass die Maifeier des DGB und die Demonstration und Kundgebung des „infoladen“ zeitgleich stattfinden.
Es geht den Initiatoren auch nicht darum, am 1. Mai dem Kapital mal so richtig die Forderungen der Arbeiterbewegung um die Ohren zu hauen – im Gegenteil: Man will gegen die Gewerkschaften demonstrieren! Originalton „infoladen“-Flugblatt: „(…) den Repräsentanten und Repräsentantinnen von Staat, Gewerkschaft, Kirche … einmal die Meinung über ihr falsches Tun bzw. Nichtstun in nahezu allen gesellschaftspolitischen Bereichen unterbreiten (…)“. (Was haben eigentlich die Kirchen mit dem 1. Mai zu tun? Verwechselt der „infoladen“ da vielleicht den 1. Mai mit Fronleichnam?)
Das Flugblatt mit der bereits eingangs erwähnten „Was war, was ist unser Ziel?“-Überschrift beschreibt den gegenwärtigen Zustand der Welt und Wilhelmshavens, schmückt das alles mit Textbausteinen wie „Mit dem derzeitigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen System kann die Welt nicht zu EINER WELT werden.“ Oder „Wer vom Faschismus spricht, darf vom Kapitalismus nicht schweigen.“ Deutlicher werden die VerfasserInnen bei der Antwort auf die selbstgestellte Frage nach dem Ziel: „Der Weg (sollte) nicht das Ziel sein.“
Dabei ist die andere Seite des Flugblatts so vielversprechend: „Du sagst: Es steht schlecht um unsere Sache. Die Finsternis nimmt zu. Die Kräfte nehmen ab.“ Bert Brecht läßt sich eben immer wieder gut benutzen. Und solche Spaltpilze wie die Veranstalter der Anti-Gewerkschafts-Demo sorgen dafür, daß die Kräfte weiter abnehmen werden.
Für die VeranstalterInnen der Anti-Gewerkschafts-Demo wird es sicherlich schon ein Erfolg sein, wenn 200 Leute sich an ihrer Veranstaltung beteiligen – nur sagt diese Zahl dummerweise nichts darüber aus, wie es um den Demonstrationswillen der ArbeitnehmerInnen bestellt ist.
Hannes Klöpper
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