Spiel nicht mit den Schmuddelkindern …
Wie die Etablierten den Wahlschock „bewältigen“ – eine Analyse
(iz) Es war nicht überraschend, dass die Karten bei der Kommunalwahl 2006 ganz neu gemischt wurden. Die sogenannten etablierten Parteien und ihre Fähnleinträger hat das bunte Ergebnis jedoch komplett erschüttert. Anders lässt es sich nicht erklären, warum über Wochen so unerträglich Unsachliches dazu abgesondert wurde. Die bisherige Opposition wählte mit dem höflichen Ton zwar die bessere Taktik, doch wollen wir hier für keine Seite Partei nehmen. Im verzweifelten Kampf um Machtansprüche scheute sich keiner, neu gewählte Ratsvertreter von vornherein öffentlich zu diskriminieren.
Die SPD hat ihre bequeme Mehrheit verloren. Noch ehe sie das annähernd verdauen konnte, zeichnete sich die Bildung eines „Jamaica“-Bündnisses zwischen CDU, FDP und Grünen ab. Anfang Oktober meinte der Oberbürgermeister, sich öffentlich in die Verhandlungen zwischen zukünftigen Mehrheitsträgern einmischen zu müssen (zitiert aus WZ v. 3.10.2006): Die Stadt, so Menzel, braucht eine „stabile verlässliche Mehrheit“ und keine „Destruktions-Minderheit“. Mit 22 Stimmen wäre Jamaica zwar deutlich stärker als die SPD (14), es fehlt jedoch eine Stimme zur absoluten Mehrheit im 45-köpfigen Rat. Menzel hätte gern ein rotschwarzes Bündnis; alles andere wäre für ihn etwas Zerstörerisches.
Zur Begründung führt Menzel „eine Reihe schwieriger Entscheidungen“ an, vor der die Stadt steht. Das tut sie aber immer, zumindest sollte sie jede Entscheidung ernst nehmen; und das gilt auch für andere Kommunen.
Man war geteilter Meinung, ob der OB sich derart einmischen darf. Er selbst beruft sich auf sein politisches Mandat – auf der anderen Seite ist er aber Verwaltungschef, der jegliche demokratisch legitimierte Mehrheit akzeptieren und unterstützen muss, so die GRÜNEN. Appellieren darf der OB, widerspricht WZ-Kollege Gerd Abeldt (5.10.) – sofern man die Stellungnahme unter „Information der BürgerInnen über wichtige Angelegenheiten der Gemeinde“ nach der Nds. Gemeindeordnung (NGO) subsummiert. Taktisch klüger und wirkungsvoller als „öffentliche Ratschläge“ wäre jedoch ein „leiser Appell“ gewesen. Zumindest habe Menzel Mut bewiesen: „Schließlich wird er als Verwaltungschef die nächsten fünf Jahre mit dem Rat (und seinen Beschlüssen) leben müssen – ob ihm die Gruppenbildungen nun passen oder nicht.
Was er keinesfalls darf: Neu in den Rat gewählte Parteien und deren Vertreter ohne sachliche Begründung ins Abseits stellen. Menzel äußert „die Sorge, (…) dass ohne stabile Mehrheiten die politischen Kräfte vom äußersten linken und rechten politischen Rand ausschlaggebend werden. Daran kann uns (?) nicht gelegen sein.“ Was die NPD angeht, keine Frage: Da gibt es genug politisch-historische Gründe, deren Vertreter außen vor zu halten. In diesem Sinne haben die Wilhelmshavener Jusos auch zu einer überparteilichen Demonstration vor der konstituierenden Ratssitzung aufgerufen unter dem Motto „Demokratie schützen – Null Toleranz für Nazis“.
Aber was meint Menzel nur mit dem „äußersten linken Rand?“ Neu im Rat ist die LAW (linke alternative wilhelmshaven) mit zwei Vertretern. Hat Menzel deren Wahlprogramm je gelesen? Diese friedensorientierte WählerInnengemeinschaft mit den menschenverachtenden Prinzipien der NPD in einen Topf zu werfen, ist absolut daneben. Auch Jamaica nennt, gleichfalls ohne sachliche Begründung, die LAW in einem Atemzug mit der NPD als jene, mit denen man nicht sprechen werde.
Tatsächlich wäre es unangenehm, wenn ausgerechnet der NPD-Mann der Jamaica-Gruppe zur Mehrheit verhelfen würde. Wem ernsthaft daran gelegen ist, das zu verhindern, der legt den Trotzkopf zur Seite und sucht das Gespräch auch mit der LAW.
Aber Hand aufs Herz: Bei welchen „schwierigen Entscheidungen“ wäre eine deutliche Mehrheit denn ernsthaft gefährdet? Gemeint sind im Wesentlichen Beschlüsse zum JadeWeserPort, zur Industrieansiedlung u. ä. Da waren sich die „großen“ Parteien bislang immer einig und, so Kämmerer Heiko Hoff, auch bei den Haushaltsberatungen haben „die großen Fraktionen immer an einem Strand gezogen“ (WZ 20.4.2006).
Was die Förderung von Transparenz und Bürgernähe im Rats- und Verwaltungshandeln betrifft, standen sich FDP und BASU immer recht nahe. So manches, was am Widerstand der SPD scheiterte, steht nun ganz oben auf der „Jamaica“-Agenda – und wird nicht nur von der BASU, sondern im Einzelfall auch von der LAW unterstützt.
„Sorgen bereiten dem OB aber auch FDP und Grüne“ (WZ ebd.). Die Grünen hatten sich dafür ausgesprochen, die städtischen Altenheime aus dem Verbund mit dem Reinhard-Nieter-Krankenhaus (RNK) zu lösen. „Für Menzel ‚bedenklich’, zumal in der neuen Grünen-Fraktion die Ehefrau des Betreibers eines privaten Altersheimes sitzt.“ Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe: Wenn Bauunternehmer Bernhard Rech (CDU) im Bauausschuss sitzt oder Wilfrid Adam (SPD), Geschäftsführer der Hafenbetriebe, sich zu maritimen Fragen äußert, so wird das unter „Fachkompetenz“ im Rat eingestuft. Wenn jedoch eine GRÜNE Altenpflegerin (denn Ratsfrau Astrid Mohr hat nicht nur einen Ehemann, sondern auch selbst einen Beruf) sich fachlich einbringt, ist das „bedenklich“? Das einzig Bedenkliche ist, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird – ganz so, wie es ins politische Kalkül passt. „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen“, riet Marianne Fröhling noch als grüne Bürgermeisterin (5.10.) dem OB.
Jedes Ratsmitglied hat einen Beruf oder hat ihn mal ausgeübt, und jede/r wird bei entsprechenden Diskussionen mal seine/ihre fachliche Sicht dazu äußern. Steht dann die Entscheidung an, lässt sich das Problem der möglichen Befangenheit ganz einfach lösen: Das Ratsmitglied rückt seinen Stuhl nach hinten und stimmt nicht mit. Das muss dann aber für alle gelten.
Rechtzeitig vor der konstituierenden Ratssitzung legte „Jamaica“ ein gemeinsames Grundsatzpapier vor, das alle politischen Themen abdeckt. „Alles alte Hüte“, winkte SPD-Sprecher Siegfried Neumann ab, die Themen seien alle im Programm der SPD zu finden (WZ 28.10.2006) bzw. teilweise daraus „abgeschrieben“. Na und, wenn dem wirklich so ist? Erstens hat Jamaica nie behauptet, das Rad neu erfunden zu haben. Es ist selbstverständlich und sinnvoll, vorab die Eckpunkte der Zusammenarbeit schriftlich zu fixieren – statt sich erst im Alltagsbetrieb über Details zu zerfleischen und damit eine effiziente Ratsarbeit zu blockieren –genau diese Auswirkung eines „bunten“ Rates hatte die SPD im Vorfeld befürchtet. Und wenn, zweitens, die SPD all dem so zustimmt, sind die Mehrheiten doch gesichert, und alle Bedenkenträger könnten glücklich sein.
Immerhin, eines räumt Neumann ein: Der Schwerpunkt Umwelt im Jamaica-Papier stelle für die SPD etwas Neues dar. Aber sie ist ja lernfähig und kündigte eine „Studie zur Nutzung von Photovoltaikanlagen auf öffentlichen Dächern an.“
Jamaica hat der SPD im Vorfeld den Ratsvorsitz und den Vorsitz im Bauausschuss angeboten. Für Neumann eine Selbstverständlichkeit: „In allen Parlamenten ist es üblich, dass die stärkste Fraktion auch die Position des Parlamentspräsidenten … übernimmt.“ Üblich, möglicherweise – ein Anrecht darauf lässt sich allerdings aus der Nds. Gemeindeordnung (NGO, § 43, Ratsvorsitz) nicht ableiten. Die Vorsitze in den Ausschüssen (§51 NGO) können sich die Fraktionen in der Reihenfolge der Höchstzahlen „greifen“, da hat die SPD natürlich die Nase vorn.
NGO hin, Höchstzahlen her (wie Max Schmid gesagt hätte): Man könnte das Angebot von Jamaica an die SPD als freundlichen Annäherungsversuch begreifen. Wenn man nur will. Das Ergebnis und mögliche Folgen fasst WZ-Chefredakteur Klaas Hartmann recht zutreffend zusammen (WZ 28.10.2006): „Die Reaktionen der SPD …. sehen nicht nach dem Beginn einer großen Freundschaft aus … Wenn CDU, FDP und Grüne das Gefühl haben, von vornherein bei der SPD vor die Wand zu laufen, könnten sich auch die Kooperationspartner künftig bockig geben.“ Und so kam es auch – s. „Ratssplitter“.
Auffallend ist, dass sich unsere Politik kaum mit der katastrophal geringen Wahlbeteiligung befasst hat. Die CDU Bant zeigte sich zwar „enttäuscht“ (Presseinformation vom 18.10.2006), die Ursachenforschung blieb jedoch an der Oberfläche (keine OB-Wahl, veränderte Wahllokale, Bundespolitik). Die WählerInnen ließen sich aber so schnell nicht wieder aus dem Alltag ausblenden, wie zahlreiche LeserInnenbriefe belegen. „Wo bleibt die Wahlbeteiligungs-Diskussion? … Die … Kommunalpolitiker … scheinen nicht wahrhaben zu wollen, wie es um ihre de facto-Legitimation bestellt ist.“ Ein anderer fragt sich, weshalb sich Wilfrid Adam vom Wahlergebnis bestätigt fühlt, nachdem er gegenüber 2001 fast 50% an Stimmen verloren hat: „Der Wähler fühlt sich bei solchen Aussagen verschaukelt und zweifelt an der Glaubwürdigkeit der Politiker ….“ Einer beschäftigt sich mit der Gefahr von rechtsaußen – und sieht als Lösung nur einen Schulterschluss ALLER anderen Fraktionen, inklusive der BASU und der Linken. Ein anderer entlarvt die Ankündigungen der SPD selbst als alte Hüte: „Sparen durch Schaffen von Arbeitsplätzen. Genial einfach, einfach genial und völlig neu“, vermerkt er ironisch. Und fragt, warum „die sozialdemokratischen Ankündigungsweltmeister zur Abwechslung nicht einfach mal den Mund halten?“ Einer zu Jamaica und der SPD: „Nun bietet sich eine kleine zweite Chance für die Bürger, und sofort jammert die selbstgefällige SPD mit ihren Seilschaften allüberall.“ Ein Bürger hatte seine Ratsvertreter vor der Wahl auf verschiedene Probleme angesprochen, die jene zu ihrer „persönlichen Herzensangelegenheit“ machen wollten, sich aber nie wieder meldeten. „Für eine Neuauflage des damaligen Bestsellers vom ‚Dreckigen Sumpf’ würde es reichen“, urteilt einer über Rats- und Verwaltungshandeln. Ein weiterer stellt den Begriff „Lebensqualität“ in den Mittelpunkt – Natur, Umwelt, Erholungsmöglichkeiten, die weiterhin zerstört werden. Ein anderer schließlich sieht, dass am Bürgerwillen vorbeigeplant wird – neue Pflastersteine statt Erhalt von Schulen. Usw.
In einem Kommentar vom 21.10. führt Klaas Hartmann „Entscheider in beteiligten Konzernen“ ins Feld, die „politisches Chaos“ in Wilhelmshaven befürchten, sowie Zweifel aus „Bremen und Hamburg“ (von wem?), dass die Stadt die Bedeutung von Wirtschaftsprojekten wirklich ermessen kann. Den Rat ist aber zunächst den BürgerInnen verpflichtet und nicht Konzernen.
Bemerkenswert: Die LAW ließ sich nicht dazu hinreißen, so hektisch und polemisch auf die Ausgrenzungsversuche zu reagieren, wie diese vorgebracht wurden. Erst anlässlich einer Presseinformation (WZ 28.10.2006) zu den Vorstandswahlen Ende Oktober ging sie kurz und prägnant darauf ein: Sie hofft, dass es nicht bei den Versuchen bleibt, sie „in die Schmuddelkinderecke zu stellen“, und sie stattdessen im „Kampf gegen Rechts“ von den anderen Parteien unterstützt wird: „Brecht-Stücke im Theater beklatschen und Böll zitieren, aber im wirklichen Leben mit Linken nicht sprechen zu wollen, das ist ein Armutszeugnis …“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Déjà-vu und Stachel im Fleisch
Am Ende unserer Analyse des Nach-Wahl-Theaters bleibt die Frage, warum die „Etablierten“ ohne konkreten Anlass derart unappetitlich gegen die LAW zu Felde ziehen.
Vor zehn Jahren zog die SPD schon einmal den Kürzeren gegen eine „Chaotenkoalition“ aus CDU, Grünen und UWB. Damals drohten gleich zwei Republikaner im Rat zu unerwünschten Steigbügelhaltern zu werden. Etwa zur Halbzeit der Legislaturperiode bekamen die Sozialdemokraten durch den grünen Seitenwechsel wieder Oberwasser.
2001 gelang dann, erstmals nach Auflösung der Frauenliste, einer neuen Wählergemeinschaft der Einzug ins Parlament: Statt für Nicht- oder Protestwahl entschieden sich viele BürgerInnen für die Wilhelmshavener Alternative Liste (WALLI). Von Anfang an sah sich ihr Vertreter Joachim Tjaden mit massiven Ausgrenzungsversuchen seiner Rats-„KollegInnen“ konfrontiert. Der Vorwurf: Er sei als Einziger gegen den JadeWeserPort. Na und? Solange eine Partei keine faschistischen oder sonstwie menschenverachtenden Positionen bezieht, darf und muss jede/r im Rat das vertreten, wofür ihn oder sie eine erkleckliche Zahl von BürgerInnen gewählt hat.
Tjaden ist mittlerweile zur BASU gewechselt. Mit der will Jamaica jetzt sogar sprechen – „Transparenz“ und „Bürgernähe“ sind die verbindenden Elemente.
Doch aus den Resten der WALLI, vereint mit anderen Kräften links der bürgerlichen Mitte, ist nun die LAW entstanden – und gleich mit zwei Mandaten in den Rat eingezogen! Die linke Alternative war also mitnichten eine fixe Idee mit absehbarer Halbwertzeit. Das ist höchst unbequem für die „Etablierten“ und kann als Bedrohung empfunden werden – aber ebenso gut als Chance. In der LAW manifestieren sich aktuelle, ernst zu nehmende gesellschaftliche Strömungen, denen sich ein modernes Stadtparlament stellen sollte. Wer die LAW von vornherein abqualifiziert, missachtet damit 3.470 Wählerstimmen. Und nimmt billigend in Kauf, dass die NPD im Einzelfall tatsächlich zum viel besungenen Zünglein an der Waage wird.
Erschreckend ist, dass sich SPD, CDU & Co. so gar nicht mit der mangelhaften Wahlbeteiligung auseinandergesetzt haben. Vielleicht bringen „die Neuen“ nun genau den frischen Wind, der gefehlt hat, um mehr Menschen zu den Wahlurnen zu treiben. Gerold Tholen und Johann Janssen sei gewünscht, dass sie mit der gleichen Ruhe und Sachlichkeit wie zuvor Joachim Tjaden jegliche Anfeindungen aushalten und sich in ihrer inhaltlichen Arbeit nicht beirren lassen.
Imke Zwoch
Sorry, the comment form is closed at this time.