„Notstand herrscht, wenn in Wilhelmshaven der Deich bricht“
(iz) Ende 2016 verabschiedete die Bundesregierung den Klimaschutzplan. Bis 2050 soll Deutschland weitgehend Treibhausgas-neutral werden und damit seinen Anteil zum globalen Ziel beisteuern, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius oder besser auf nicht mehr als 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Welchen Beitrag unsere Region dazu leisten kann, war Thema einer Podiumsdiskussion, zu der die GRÜNEN (Kreisverband Friesland) in den Lokschuppen Jever eingeladen hatten.
Sven Ambrosy sieht den Landkreis Friesland auf einem guten Weg. Bereits seit 2010 gibt es dort ein Klimaschutzprogramm. „Auf Initiative der Grünen haben wir das Klima-Management eingeführt“. Seit Januar werden alle Beschlussvorlagen auf Klimarelevanz geprüft. Nachhaltiges Wirtschaften und CO2-Einsparung werden Grundlage des Handelns. Im Landkreis wird fast doppelt so viel Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt, wie gebraucht wird. Eine große Chance, um mit dem überschüssigen Strom in die Wasserstoff-Technologie einzusteigen, wie Martina Esser ausführte. In Schortens entsteht die erste Wasserstoff-Tankstelle, mit dem Verkehrsverbund Ems-Jade (VEJ) laufen Gespräche über wasserstoffbetriebene Züge und Busse. Auch im Regionalen Raumordnungsprogramm des Landkreises ist der Klimaschutz verankert. Neue Gebäude wie das der Kreisverwaltung werden nach Passivhaus-Standard errichtet.
Nach Einschätzung von Mareen Möller darf in Sachen Klimaschutz nichts mehr aufgeschoben werden. „Wir haben bereits eine Kippschalter-Region erreicht“, ab einem gewissen Punkt stoßen sich verschiedene Auslöser einer Klimaerwärmung wie Dominosteine gegenseitig an, der Vorgang ist nicht mehr umkehrbar. „Es darf kein Geld mehr in nicht erneuerbare Energien gesteckt werden“. Auch ihr Kollege Holger Freund kritisierte die „Aufschieberitis“ – und nahm die Wissenschaft dabei nicht aus: „Wir sind zu spät auf den Zug aufgesprungen, die Fridays for Future-Bewegung zu unterstützen“. Dazu gehöre, die kursierenden „Fake News“ zu widerlegen.
Auf die Frage der Moderatorin, warum anders als in anderen Kommunen in Wilhelmshaven kein Klima-Notstand ausgerufen wurde, entgegnete Carsten Feist: „Da müssen Sie die Ratsmitglieder fragen, die das zu beschließen haben“. In Wilhelmshaven gibt es zwei Steinkohle-Kraftwerke, von denen eines zeitnah und das zweite perspektivisch geschlossen wird. „Wir müssen den Widerspruch zwischen Ökologie und Ökonomie auflösen“, so der Oberbürgermeister. „Es ist nicht unsere Aufgabe, die 500 mit den Kraftwerken verbundenen Arbeitsplätze zu halten – wir müssen sie mit zukunftsorientierten Technologien verdoppeln.“
Wilhelmshaven soll mit 157 Millionen Euro Strukturhilfe für den Kohleausstieg entschädigt werden. Julia Verlinden warnte davor, das Geld in andere fossile Energieanlagen zu investieren. „Die Betreiber des geplanten Flüssiggas-Terminals (LNG) sind schon scharf darauf“, bemerkte ein Zuschauer. Nach Einschätzung von Feist ist „das böse LNG nur ein Teil der Wahrheit“, die Nutzung böte auch Vorteile.
Die Fortsetzung des derzeit stockenden Ausbaus der Windenergie sieht Ambrosy angesichts der neuen Abstandsregelungen zu Wohngebäuden kritisch. Bislang galt ein Richtwert von dreifacher Nabenhöhe, etwa 600m. „Bei Abständen von 1000m wird in Friesland keine neue Mühle mehr möglich sein,“ so der Landrat.
Für Julia Verlinden sind die Ziele und Maßnahmen des Klimapakets nicht weitgehend genug gesteckt. So sei der Aspekt des Energiesparens nicht ausreichend berücksichtigt. Sie zeigte Unverständnis, dass die Industrie immer noch Rabatt auf ihre Energiekosten erhält. „Die ballern bewusst Energie raus, weil sie als Großverbraucher günstigere Preise erhalten“.
Durch ihre Lage direkt hinterm Deich sind Wilhelmshaven und Friesland besonders gefragt, sich Gedanken um den Klimawandel zu machen. „Notstand herrscht, wenn in Wilhelmshaven der Deich bricht“, so Carsten Feist. Möller rechnete vor, dass das schneller als erwartet der Fall sein kann, wenn zum Anstieg des Meeresspiegels weitere Faktoren hinzukämen wie stärkere Stürme oder das Schrumpfen der Wattflächen, die als natürliche Wellenbrecher fungieren. Ambrosy bemängelte, dass in der Finanzierung von Küstenschutzmaßnahmen ein Loch von 2 Mrd. Euro klaffe. Bislang investiert Niedersachsen jährlich etwa 60 Mio. Euro in den Küstenschutz (davon zahlt 70% der Bund), es müsse aber deutlich mehr werden. Mareen Möller resümierte: „Also herrscht doch schon Klimanotstand“.
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