Advokatische Winkelzüge
In Wilhelmshaven ist das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht selbstverständlich
(jm) Was hat die Stadt dazu veranlasst, die von der „Grünen Jugend Oldenburg“ beantragte dreitägige Nutzung des Festplatzes Rüstersiel zu verhindern? Ist das die Arroganz der Macht oder was steckt sonst dahinter?
Die Stadt hat die Entscheidung getroffen, den Rüstersieler Groden als Standort für vier Kohlekraftwerke auszuweisen. Der belgische Stromkonzern Electrabel hat sogar schon mit den Bauarbeiten für den ersten Block begonnen.
Doch andernorts wird massiv gegen die Nutzung der Kohle protestiert:
Im emsländischen Dörpen gingen im Juni 5.000 Menschen gegen ein geplantes Kohlekraftwerk auf die Straße – was besonders erstaunt, wenn man weiß, dass der Ort gerade einmal 4.800 Einwohner hat.
In Mainz beteiligten sich die Menschen mit über 60.000 Einwendungen gegen ein geplantes Kohlekraftwerk.
♦ In einer gemeinsamen Resolution an die Landes- und Bundesregierung kritisierten die Bürgermeister von Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge, dass der Wind den Schornsteinaustrag der Kraftwerke direkt auf die Inseln treibe und damit ihre Attraktivität für den Tourismus gefährde. Zudem hätten die Inseln besonders unter einem Anstieg des Meeresspiegels im Gefolge der Erderwärmung zu leiden.
♦ Protest gibt es auch im vorpommerschen Lubmin, wo der dänische Staatskonzern Dong ein Kohlekraftwerk mit einer Leistung von 1.600 Megawatt bauen möchte. Über 30.000 Unterschriften sammelte die örtliche Bürgerinitiative für ein Volksbegehren. Schon die Hälfte hätte genügt, um den Landtag zu zwingen, über das Projekt zu debattieren.
Auch in Wilhelmshaven kam die Aktion Bürgerbegehren der Bürgerinitiative „Zeche Rüstersiel“ gegen die geplanten Kohlekraftwerke mit mehr als 3.000 – an wenigen Aktionstagen gesammelten – Unterschriften sehr gut ins Rollen. Die Wortführer der Noch-Volksparteien im Verwaltungsausschuss des Rates der Stadt wollten von der Meinung Ihrer BürgerInnen jedoch nichts wissen. Folgerichtig wurde der dem Bürgerbehren vorgeschaltete Bürgerantrag wegen Formfehlern von der Stadt abgelehnt. Und anschließend hat die traditionelle CDU-SPD-FDP-Großprojekte-Koalition die Bebauungspläne für vier Kohlekraftwerke auf dem Rüstersieler Groden durch den Rat gepeitscht. Dies hat den Widerstand in Wilhelmshaven zwar geschwächt, aber er ist nicht erloschen:
Weiterhin werden Informationsveranstaltungen in Wilhelmshaven und umzu organisiert, die auch gut besucht werden. Auch der Verband „Grüne Jugend Oldenburg“ wollte zusammen mit anderen Jugendorganisationen nach Wilhelmshaven kommen und hier bei uns ein Klima-Camp errichten. Als der Förderverein Rüstersiel dem Zeltlager auf dem von ihm betriebenen Festplatz an der Maade zugestimmt hatte, schickte man der Stadt Wilhelmshaven einen „Antrag auf Genehmigung eines Zeltlagers auf dem Gelände des Fördervereins Rüstersiel“, datiert mit 9. Juli 2008.
In dem Antrag heißt es, dass man vom 25.7. bis einschließlich 27.7. ein Zeltlager errichten wolle. Es werde mit ca. 50 TeilnehmerInnen zwischen 16 und 25 Jahren gerechnet. An der Organisation und Durchführung seien die Grüne Jugend Niedersachsenn, die Jungen Sozialisten, Solid, Greenpeace sowie weitere Freiwillige beteiligt.
Zum Ablauf heißt es im Antrag:
„Auf dem Gelände wollen wir in erster Linie in Zelten übernachten sowie kleinere Workshops zu Themen wie Klimawandel, Energiegewinnung und nachhaltige Lebensweise durchführen. Tagsüber werden wir Wilhelmshaven erkunden. Wir werden in besonderem Maße darauf achten, dass durch uns und alle Teilnehmenden keine Lärmbelästigung für Anwohnerinnen und Anwohner entsteht.“
Die Antwort der Stadt erfolgte am 10.07., also schon am nächsten Tage: Kurz und bündig antwortete sie:
„Bezugnehmend auf Ihren Antrag vom 09.07.2008 teile ich Ihnen mit, dass grundsätzIich der Förderverein Ansprechpartner für die Genehmigung des Zeltlagers ist. Der Verein benötigt aber die Zustimmung der Stadt Wilhelmshaven, als Eigentümerin der Fläche, um mit Ihnen einen Nutzungsvertrag o.ä. schließen zu können.
Die Stadt Wilhelmshaven hat dem Förderverein gegenüber bereits erklärt, dass sie die notwendige Zustimmung nicht erteilt.“ Ende!
Das Schlitzohrige dabei ist, dass man nicht das für das Versammlungsrecht zuständige Ordnungsamt, sondern nur die die städt. Grundstücksverwaltung mit der Bearbeitung des Antrags betraut hat. Ein echtes Schelmenstück, durch Nichtzustimmung zu einem Nutzungsvertrag das Versammlungsrecht zu unterlaufen!
Die Stadt scheint den Rüstersieler Festplatz nicht als öffentliches Eigentum, sondern als Privatgrundstück in städtischem Besitz zu betrachten, auf dem das Versammlungsrecht nicht gilt bzw. nach Gutsherrenart vergeben werden kann.
2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden
Nach den anschließenden Protesten gegen die Ablehnung des Zeltlagers wendet sich die Stadt am 14.07.08 an die Öffentlichkeit (Auszug):
„Grund für die Nichtzustimmung der Stadt war die deutlich unterschiedliche Darstellung zwischen dem im Antrag geschilderten Ziel und dem geplanten Ablauf der Veranstaltung und der Darstellung und der Aufrufe im Internet. Es stellt sich die Frage, warum der wahre Charakter der Veranstaltung verschwiegen wurde.“
Das ist Desinformation pur! Wie aus dem Antrag der „Grünen Jugend Oldenburg“ vom 9. Juli zu ersehen ist, ist der geplante Ablauf der Veranstaltung umfassend dargestellt worden. Das Grundrecht auf friedliche Versammlung scheinen unsere Oberdemokraten hierbei aus ihrem Gedächtnis gestrichen zu haben.
Wie bereits mehrfach angesprochen, ist der Veranstaltungsablauf des Klima-Camps im Antrag beschrieben worden. Und die Wilhelmshavener Konfidenten der „Grünen Jugend Oldenburg“ beteuern, dass schon Vorgespräche mit der Polizei geführt worden seien, bei denen der Veranstaltungsablauf bis ins Kleinste besprochen worden sei. So erinnert sich einer der Gesprächsteilnehmer, dass über eine Fahrradtour gesprochen worden sei und die Ordnungshüter sogar Angaben abfragten, wie die Veranstalter eine Straßenüberquerung regeln wollten!
In einer erneuten Pressemitteilung am 25.07 – also dem Tag, an dem das Zeltlager errichtet werden sollte – reagiert die Stadt auf den Unmut der jugendpolitischen Sprecherin und des sportpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, Sabine Gastmann und Holger Barkowsky. Dabei wiederholt sie ihre tatsachenverfälschende Stellungnahme vom 10.07. Neu darin und für das destruktive Verhalten der Stadt bezeichnend ist der letzte Absatz:
„Die Stadt betont ausdrücklich, wenn die Grüne Jugend Oldenburg die Kundgebung auf einem anderen öffentlichen Platz angezeigt hätte, wie dies die Jusos Wilhelmshaven mit der für morgen 12 Uhr auf dem Valoisplatz angemeldeten Standdemonstration getan haben, wäre die Veranstaltung problemlos genehmigt worden.“
Anmerkung dazu: Die Grüne Jugend hatte ein dreitägiges Zeltlager beantragt! Dies wäre ihr auf dem Valoisplatz „problemlos genehmigt worden“!?
Die Ausübung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit ist in Wilhelmshaven nicht selbstverständlich, sondern vom Wohlwollen der Stadtoberen – mit dem Oberbürgermeister Eberhard Menzel an der Spitze – abhängig.
Der Entscheidungsträger der Stadt betrachtet den Festplatz in Rüstersiel als sein Privateigentum, auf dem das Versammlungsrecht seinem Gutdünken unterworfen ist.
Nicht genehme Bürgeraktionen mit demokratisch-friedlichem Charakter werden mit advokatischen Winkelzügen hintertrieben. Die Umgangsformen der Stadt mit missliebigen BürgerInnen scheinen sich Richtung Feudalzeit zurückzuentwickeln. Eine Kommunikation findet nicht statt.
Daraus ist die Lehre zu ziehen, dass man das Versammlungsrecht in Wilhelmshaven nur mit Energie, Durchsetzungsvermögen und einem Rechtsbeistand verteidigen kann.
Theodor Mommsen, Die Grundrechte des deutschen Volkes 1849
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