Jugendhilfe
Jan 261994
 

Ausgetrickst

Wessen Interessen soll der Jugendhilfe-Ausschuß nach der Umbesetzung eigentlich vertreten?

(iz) Keine Spielplätze, mangelnde Kindergartenplätze, marode Schulen, keine Chance auf ein selbstverwaltetes Jugendzentrum, kaum Möglichkeiten für Ausbildungs- und Arbeitsplätze mit Zukunft – düstere Aussichten für Kids und Teens in der Jadestadt. Umso mehr benötigten sie eine schlagkräftige und praxisnahe Vertretung in der städtischen Politik und Verwaltung. Doch diese scheinen den miesen Stellenwert der Kurzen und Halblangen noch zu parodieren.

Rechtliche Grundlagen kommunaler Kinder- und Jugendarbeit

Die Plattform kommunaler Kinder- und Jugendhilfe ist zunächst das Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG). Die Bundesländer erarbeiten hierzu die jeweiligen Ausführungsgesetze (AG KJHG). Hierauf beruhen wiederum die kommunalen Satzungen für das Jugendamt, welche auch nähere Bestimmungen im Jugendhilfeausschuß (JHA) enthalten.
Nach §3(1) AG KJHG bestimmt der Stadtrat für die Dauer der Wahlperiode, ob der JHA 10 oder 15 stimmberechtigte Mitglieder haben soll. In Wilhelmshaven sind es zehn, die sich nach §3 der Satzung für das Jugendamt wie folgt aufteilen (die Anteile bestimmt §71 des KJHG):

  • 3/5 = 6 Ratsmitglieder oder von ihr gewählte Frauen und Männer, die in der Jugendhilfe erfahren sind
  • 2/5 = 4 Frauen und Männer, die auf Vorschlag der in der Stadt wirkenden und anerkannten Träger der freien Jugendhilfe vom Rat gewählt werden, wobei Vorschläge der Jugend- und der Wohlfahrtsverbände angemessen (laut AG KJHG zu gleichen Anteilen, also 2:2) zu berücksichtigen sind.
Versäumte Fristen und verwirrende Papiere

Als das alte Jugendwohlfahrtsgesetz innerhalb dieser Legislaturperiode durch das KJHG abgelöst wurde, mußten die nachgeordneten Körperschaften ihre entsprechenden Festsetzungen anpassen. Das neue AG KJHG trat erst 1993 in Kraft. Die Kommunen sollten ihre Ausführungsbestimmungen bis Mitte 1993 geändert haben.
Mitte Juni 93 sollten JHA, Verwaltungsausschuß und Rat über die neue Satzung für das Jugendamt entscheiden, womit die fristgerechte Neubesetzung des JHA nach AG KJHG bis zum 30.6. hätte vollzogen werden können. Der vorliegende Satzungsentwurf wurde jedoch dahingehend geändert, daß der 3/5-Anteil der Ratsmitglieder (6) zugunsten von 2 in der Jugendhilfe erfahrenen Personen gegenüber 4 Ratsvertretern aufgeteilt wurde, wie es §71 KJHG zuläßt.
Erst Mitte August lag den Gremien der neue Satzungsentwurf vor. Der Beschlußvorschlag der Sitzungsvorlage bezog sich im Detail nur auf eine Änderung im Verhältnis der stimmberechtigten zu den beratenden Mitgliedern. Auf der Rückseite des Deckblattes erscheint ein vollkommen unverbindlicher Vermerk zum AG KJHG mit der Passage: „Stimmberechtigte Mitglieder ( … ) Die Zusammensetzung wäre wie folgt möglich: 1.a) 4 Mitglieder des Rates b) 2 in der Jugendhilfe erfahrene Personen, die vom Rat der Stadt gewählt werden.“ Niemandem schien aufzufallen, daß im anliegenden, verbindlich zu beschließenden Satzungstext im §3(1) nur schlicht der Text aus dem KJHG übernommen worden war. Dieser enthält zwar den Hinweis auf eine mögliche 4:2-Aufteilung, aber die diesbezügliche (im Juni vereinbarte) tatsächliche Festsetzung für den Wilhelmshavener JHA fällt unter den Tisch.

Selektive Informationspolitik

Nun ging es an die Besetzung der restlichen 4 stimmberechtigten JHA-Mitglieder, welche von den Jugend- und Wohlfahrtsverbänden vorzuschlagen sind. Zu Beginn der Wahlperiode (1991) waren sämtliche dieser Verbände angeschrieben worden und hatten ihre Vertreter bis zum Ende der Wahlperiode (1996) benannt. Anstatt für die Neubesetzung auf diese Vorschlagsliste zurückzugreifen, setzte die Verwaltung am 21.8.93 eine (wie alle amtlichen Bekanntmachungen) kleingedruckte Anzeige in die WZ, in der die Jugendverbände mit einer Frist von 14 Tagen aufgefordert wurden, ihre Vorschläge für die vier zusätzlichen stimmberechtigten Mitglieder des JHA beim Jugendamt einzureichen. Mancher Verband, der um die erforderliche Neubesetzung wusste und dem diese Anzeige entgangen war, ging davon aus, daß die alte Vorschlagsliste noch Gültigkeit besaß. Das Jugendamt begründete die Vorgehensweise mit zu hohem Kosten- und Personalaufwand für einzelne Anschreiben. Im Nachhinein stellte sich heraus, daß die Wohlfahrtsverbände sehr wohl Post erhalten hatten – der Anzeigentext richtete sich nur an die Jugendverbände.

Klammheimlich oder einfach peinlich?

Mitte November 93 entschied der Rat endlich über die gesamte Neubesetzung des JHA. Üblicherweise werden ausscheidende Mitglieder des Rates und seiner Ausschüsse offiziell verabschiedet oder erhalten zumindest entsprechende postalische Mitteilungen. Dieter Meisel hatte als DGB-Jugendvertreter sieben Jahre lang dem Ausschuß angehört und durch engagierte Mitarbeit und regelmäßige Präsenz seine Eignung sowie sein Interesse als Mitglied des JHA bewiesen. Zu recht .ging er davon aus, bei der Neubesetzung automatisch berücksichtigt zu werden. Auch der DGB hatte keine schriftliche Aufforderung zur Neubenennung eines Jugendvertreters erhalten, sodaß der 1991 für die 5jährige Wahlperiode eingereichte Vorschlag für den Verband weiterhin Gültigkeit besaß.
Durch die beschriebene Vorgehensweise von Rat und Verwaltung flog MeiseI im November einfach aus dem JHA raus. Bis heute ist weder er noch der DGB hierüber schriftlich benachrichtigt worden.
Die gesamte Neubesetzung ist aus Sicht engagierter Jugendverbände ein Fiasko. Mit einem weiteren Schachzug gelang es, unter den stimmberechtigten Mitgliedern den 3/5-Anteil Ratsmitglieder / Jugendhilfe-erfahrene Personen im Verhältnis von 4:2 auf 5: 1 zu verschieben: der Grünen Fraktion wurde ein stimmberechtigter Sitz angeboten, den diese natürlich annahm – nicht wissend, dass diese Besetzung auf Kosten eines Jugendhilfe-erfahrenen Mitglieds erfolgte.
Den 2/5-Anteil der VerbandsvertreterInnen stellen nun, entgegen der Festsetzung in §3 AG KJHG (und dem Satzungsentwurf vom Juni), nicht paritätisch 2 Jugend- und 2 WohlfahrtsverbandsvertreterInnen, sondern 3 aus Wohlfahrtsverbänden und 1 aus einem Jugendverband – und zwar der Sportjugend, die ohnehin allerorten Unterstützung erfährt und keine klassische Jugendvertretung darstellt wie z. B. die Arbeiterjugend (die DGB-Jugend mit derzeit über 1.000 Mitgliedern ist seit 1946 in der Stadt aktiv) oder SOS-Jugendberatung/ Kinderdorf.

DGB-Protest

Anfang Dezember 93 erging ein Protestschreiben des DGB an Oberstadtdirektor Schreiber, in dem unter Auflistung der geschilderten Mißstände die ordnungsgemäße Neubildung des JHA nach dem AG KJHG angezweifelt und um entsprechende Prüfung gebeten wurde. Andernfalls wurde die Heranziehung der Kommunalaufsicht angekündigt.
In seiner jetzt vorliegenden Antwort bezieht Schreiber sich nur auf das Bundes-KJHG. Im Gegensatz zum AG KJHG und der städtischen Satzung gibt dieses, wie oben dargestellt, nur die Rahmenvorgaben her, die in Wilhelmshaven wohl – aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfe – schlechtestmöglich ausgeschöpft wurden.
Immerhin wurde Dieter Meisel (für die DGB-Jugend) auf Initiative der Wohlfahrtsverbände zwischenzeitlich (Ratssitzung vom 19.1.94) als Stellvertreter für den Sitz der Arbeiterwohlfahrt benannt.

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