Jugend+Freizeit
Nov 272002
 

Stell dir vor, es gibt eine Umfrage ...

… und die haut einfach nicht hin? 

(iz) Wenn man etwas für Jugendliche tun möchte, ohne an ihren Bedürfnissen vorbei zu organisieren, macht es Sinn, diese Zielgruppe direkt zu befragen. Von daher hatten fünf angehende ErzieherInnen der Berufsfachschule Sozialpädagogik grundsätzlich eine gute Idee, als sie eine entsprechende Umfrage durchführten. SchülerInnen konnten sich zu ihrem Freizeitverhalten äußern und das entsprechende Angebot in der Stadt bewerten. Wie das Ergebnis zu Stande kam und wie man damit umgeht, bedarf allerdings einer kritischen Betrachtung.

Die Forschungsgruppe der Fachschule hatte bereits im Vorfeld Kontakt zur Stadtjugendpflege. U. a. hatte sie ein schlüssiges Konzept für ein Jugendhaus vorgelegt, das sehr lange tägliche Öffnungszeiten und 5-7 Mitarbeiter vorsieht. Daraus entstand die Idee für die Umfrage, die inhaltlich mit der Jugendpflege abgestimmt wurde. An der Auswahl der Befragten war die Jugendpflege allerdings nicht mehr beteiligt.
Dem Ergebnis widmete sich Martin Wein unter dem Titel „Stell dir vor, es gibt Jugendhäuser … und keiner geht hin?“ am 14.11. in der WZ. Sein Resümee: „Die jetzt vorgelegten Ergebnisse der Umfrage sind vor allem eine schallende Ohrfeige für die städtisch organisierte Jugendarbeit.“
Tatsächlich? Mit der Demoskopie (Meinungsforschung) ist das so eine Sache. Sie ist eine Wissenschaft für sich, von der Institute wie Emnid oder Forsa leben. Dabei kann schon der kleinste Fehler bei der Auswahl der Fragen bzw. der Befragten die Objektivität und Neutralität des Ergebnisses ad absurdum führen.

Wessen Meinung war gefragt?

In diesem Fall wurden 1280 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 12 und 20 Jahren befragt. Das sind über 10% dieser Altersgruppe, ein recht ordentlicher Stichprobenumfang.
Die Fragebögen wurden verteilt an SchülerInnen des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums, der IGS und der Berufsbildenden Schulen Friedenstraße. Punkt. SchülerInnen der Hauptschulen, Orientierungsstufen, Realschulen und Sonderschulen waren nicht gefragt. Geschweige denn Jugendliche, die momentan weder in der Schule noch in der Ausbildung stecken. Und damit ist das Ergebnis, so gut das Ganze auch gemeint war, mehr als fragwürdig.
Nur 7% der Befragten besuchen je ein Jugendzentrum. 60% von ihnen finden das Angebot dort langweilig bzw. fühlen sich davon nicht angesprochen. 44% der Befragten treiben in ihrer Freizeit Sport, viele davon in einem der vielen Vereine, die ja eine Stärke der Stadt darstellen. „Damit hat es sich mit organisierter Freizeitgestaltung“, konstatiert Wein. Mangelnde Lust oder Interesse am Besuch eines Jugendzentrums hat seiner Ansicht nach eher mit mangelnden Angeboten zu tun als mit genereller Lustlosigkeit. Die städtischen Angebote würden nur „eine Minderheit der Jugendlichen“ erreichen.
Der befragten Jugendlichen, wohlgemerkt, deren Auswahl, wie wir festgestellt haben, nicht repräsentativ ist. Offen bleibt, welche Rolle das soziale Umfeld spielen könnte, wenn es um den Besuch oder das Fernbleiben von Jugendzentren geht. Wenn IGS-SchülerInnen, wie Wein auch erwähnt, keine Zeit dafür haben, heißt das auf der anderen Seite, dass auch die (Ganztags-)Schule attraktive Betätigungsfelder für sie anbietet. Etwa 40 % der Schüler der 3 Berufsbildenden Schulen kommen von außerhalb. GymnasiastInnen (KKG) stammen auch in heutigen Zeiten immer noch überwiegend aus „besseren“ Elternhäusern, die ihnen intellektuell wie ökonomisch andere Perspektiven bieten, als sie ein Hauptschüler daheim vorfindet. Gymnasiasten haben sich nie sonderlich für Jugendzentren interessiert. Das klingt nach Klischee, ist jedoch ein Erfahrungswert der MitarbeiterInnen in Jugendzentren. Ausnahmen bestätigen die Regel. Es bedeutet aber auch, dass nicht nur schulische, sondern auch Probleme mit sinnvoller Freizeitgestaltung ihre Wurzeln im Elternhaus haben und deren Lösung nicht pauschal auf bezahlte Kräfte abgeschoben werden darf.
Wenn Jugendliche auf „organisierte Freizeitgestaltung“ verzichten, ist das nicht grundsätzlich negativ zu bewerten, sofern sie genug Kreativität und Selbstbewusstsein haben, um ihre Freizeit selbst zu gestalten. Wer dieses Organisationsvermögen (noch) nicht besitzt und vielleicht auch nicht das nötige Taschengeld, sollte allerdings auf ein ansprechendes, öffentlich finanziertes Angebot zurückgreifen können.
Tatsächlich wird z. B. der Krähenbusch viel von SchülerInnen der Wasserturmschule besucht, deren Meinung ebenso wenig gefragt war wie die der SchülerInnen des benachbarten Schulzentrums Bremer Straße. Bemerkenswert ist auch, dass die Schulen, an denen befragt wurde, nur einen Steinwurf voneinander entfernt liegen. Das war bequem für die Forschungsgruppe, bedeutet aber, dass nicht nur verschiedenste Schulformen, sondern auch unterschiedlich strukturierte Stadtteile aus der Statistik herausgefallen sind.
Welche Schlüsse mögen nun Rat und Verwaltung aus der Umfrage ziehen, sofern sie deren Ergebnisse ebenso platt bewerten wie die WZ? Werden jetzt weitere Jugendzentren geschlossen, da angeblich sowieso keiner hingeht? (So wie das in der Kirchreihe, dessen Verkaufserlös nach dem Willen des Jugendhilfeausschusses wieder der Jugendarbeit zufließen sollte.) Haben zusätzliche Einrichtungen, wie Jugendliche aus F’groden und der Südstadt sie lange vehement fordern, nun gar keine Chance mehr? Oder werden im Umkehrschluss die bestehenden Zentren finanziell und personell besser ausgestattet, um sie wirklich attraktiv und effektiv betreiben zu können?
Ehe hier Schnellschüsse abgegeben werden, sollte man das Ergebnis eines entsprechenden Forschungsprojektes der Fachhochschule Oldenburg-Ostfriesland-Wilhelmshaven abwarten, das im März 2003 vorliegen soll.

Einige der Befragten erklärten, dass sie Jugendzentren nicht mehr besuchen, weil dort bereits dominante Cliquen den Ton angeben. Ähnlich hatten sich Jugendliche aus der Südstadt in einem Gespräch geäußert, über das wir im letzten Gegenwind berichtet haben. Unsere Gesprächspartner möchten noch einmal betonen, dass es nicht um Distanz zu ausländischen Jugendlichen geht, sondern allein um das Auftreten bestimmter Jugendlicher, unabhängig von deren Herkunft.
Kommentar:Partizipation und Zukunft
Kinder und Jugendliche sind unsere Zukunft. Wie ihre Zukunft aussieht, entscheiden wir bereits heute:
Wer täglich mit jungen Menschen arbeitet, dem zeigt sich ein anderes Bild: Wo Kinder und Jugendliche ihre Interessen und Probleme aktiv anpacken können, kommt meist nicht nur ein gutes Ergebnis heraus, sondern sie erlernen schon früh die Grundlagen der Politik! Learning by doing.
Das Engagement im Jugendparlament eröffnet Experimentierfelder und Lernorte für die Demokratie.
Doch ohne ein ausgewogenes soziales und ökonomisches Umfeld und bisschen Unterstützung von jung gebliebenen Erwachsenen ist gesellschaftliches Engagement undenkbar.
Allen Kindern und Jugendlichen müssen die Möglichkeiten zur aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben offen stehen — und das unabhängig vom Einkommen der Eltern.
Politische Beteiligung darf kein Luxus für die Reichen sein, denn mündig wird nur, wer den Mund aufmacht! (jubi)

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