Jugendberufshilfe
Jun 032003
 

Keine Chance?

Das Arbeitsamt streicht die Mittel – die Jugendberufshilfe steht vor dem Aus

(ub) Für benachteiligte Jugendliche wird es eng auf dem hiesigen Arbeitsmarkt. Über 300 Maßnahmeplätze bei sozialen Einrichtungen wie BKA, API, CVJM u. a. stehen ab Sommer/Herbst 2003 nicht mehr zur Verfügung. In diesen Einrichtungen bangen zudem mindestens 74 MitarbeiterInnen um ihren Arbeitsplatz. Erste Kündigungen wurden bereits ausgesprochen.

Die geänderte Arbeitsmarktpolitik der Arbeitsämter hat gerade in strukturschwachen Gebieten wie Wilhelmshaven und Friesland dramatische Auswirkungen. Auf einer Sonderbeiratssitzung und Podiumsdiskussion der Regionalen Arbeitsstelle zur beruflichen Eingliederung junger Menschen in Niedersachsen (RAN) wurden die gravierenden Veränderungen vorgestellt. Die Chancen für benachteiligte Jugendliche, einen Einstieg ins Arbeitsleben zu finden, werden sich drastisch verschlechtern. Aber auch das gesamte soziale Trägernetzwerk gerät in Gefahr.

Keiner zahlt

Aus Sicht des Arbeitsamtes sollen Förderlehrgänge, Hauptschulabschlusskurse, Arbeit-und-Lernen-Maßnahmen etc. künftig nicht mehr aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung bezahlt werden. Der Vertreter des Arbeitsamtes Keitel: „Das Arbeitsamt ist nicht zuständig für sozialpädagogische Maßnahmen. Alle bisher geförderten Maßnahmen gehören auf den Prüfstand. Das Geld soll nicht weiter per Gießkanne verteilt werden.“ Dass von Seiten des Jugendamtes keine Förderung stattdessen zu erwarten ist, machte Jugendamtsleiter Klaus Jürjens unmissverständlich klar: „Die Stadt kann nicht da einspringen, wo alle anderen sich zurückziehen.“

Arbeitsmarktpolitische Kehrtwende

Das Arbeitsamt Wilhelmshaven hatte nach Angaben von RAN und RABaZ (Regionale Arbeits- und Bildungsangebote für die Zukunft langzeitarbeitsloser Jugendlicher) noch in 2002 über 300 Maßnahmen aufgelegt: Lehrgänge zur Verbesserung der beruflichen Bildungs- und Eingliederungschance, Hauptschulabschlusskurse, Grundausbildungslehrgänge, Angebote in Jugendwerkstätten. Jetzt suchen die Maßnahmenträger händeringend nach neuen Co-Partnern.
Doch die sind nicht in Sicht. Um kommunale Mittel anzufragen, dürfte sich angesichts bekannt schwieriger Haushaltssituation erübrigen.

Netzwerk in Gefahr

Wenn ab Mitte Juli d. J. Maßnahmen wie „Arbeit und Lernen“ keine Perspektive mehr haben, droht laut Peter Siefken, Geschäftsführer von BKA e.V. „das Hilfesystem wie ein Kartenhaus zusammenzubrechen, weil Einrichtungen ihre Angebote nicht mehr auf dem Markt halten können.“RAN, WIWA, RABaZ, GAQ, API, BaE (siehe unten: „Wegweiser durch den Abkürzungsdschungel“), das Jugendbüro ….ein über Jahre aufgebautes Netzwerk von sozialen Hilfsangeboten droht zu kippen. Die Verantwortlichen der betroffenen Träger zeichnen ein düsteres Bild: Jugendliche werden nicht mehr in die Behindertenwerkstätten aufgenommen. Die jetzt noch 40 Ausbildungsplätze im Rahmen einer „Berufsausbildung in einer außerbetrieblichen Einrichtung“ sollen auf eine noch nicht bekannte Größe reduziert werden. Wenn das Jugendbüro schließt, fallen 20 Plätze aus dem Programm AQS (Arbeit und Qualifikation – sofort) weg. Beim CVJM werden 60 Plätze in Förderlehrgängen nicht wieder mit Jugendlichen belegt. Die Jugendwerkstätten in Schortens, Zetel, Varel und Bockhorn sind von Schließungen bedroht.
Brechen die Maßnahmen für die benachteiligten Jugendlichen weg, dann ist fast zwangsläufig damit zu rechnen, dass auch Mitarbeiterinnen der Jugendberufshilfeträger ihren Job verlieren. Die im Arbeitskreis Jugendberufshilfe vernetzten Einrichtungen müssten laut einer auf der Sonderbeiratssitzung veröffentlichten Statistik „wenigstens 74 Arbeitsplätze von DozentInnen, PädagogInnen, MeisterInnen etc.“ abbauen.

Gleichbleibend hoher Bedarf

Unstrittig ist der gleichbleibend hohe Bedarf an den verschiedensten Unterstützungsangeboten. Die Arbeitslosenzahl bei Jugendlichen ist nach wie vor hoch. Besonders betroffen sind benachteiligte Jugendliche. Für viele von ihnen führt der Lebensweg nach der Schule zunächst in die Arbeitslosigkeit. Einig waren sich die Podiumsdiskutanten auch darüber, dass eigentlich noch mehr anstatt jetzt weniger an Hilfe von Nöten sei. Oftmals ist während der Schulzeit, sogar schon im Kindergarten, erkennbar, wer zum Problemfall der Jugendberufshilfe werden könnte. „Dieser Personenkreis“, so Jugendamtsleiter Jürjens, „müsste schon frühzeitig präventiv angesprochen werden.“
Was allerdings jetzt passiert, wenn die derzeit noch geförderten Maßnahmen spätestens im Herbst auslaufen, weiß keiner. Fest steht wohl nur, dass „die arbeitslosen Jugendlichen durch geänderte Arbeitsmarktpolitik nicht weggezaubert werden“ (Peter Siefken).

Bleib alles beim Alten?
Kurz vor Redaktionsschluss erhielten wird den Hinweis, dass die Bundesanstalt für Arbeit nun wohl doch an der bisherigen Förderpraxis festhält. In einer Pressemitteilung der Bundesanstalt für Arbeit heißt es: „Im Herbst dieses Jahres finanzieren die Arbeitsämter genauso viele Maßnahmeplätze für benachteiligte und behinderte Jugendliche wie im letzten Jahr… Der BA-Vorstand hat beschlossen, die dafür erforderlichen Haushaltsmittel bereit zu stellen. Hintergrund der Entscheidung ist die im Vergleich zum Vorjahr deutlich größere Lücke zwischen der Zahl der Ausbildungsplätze und der Zahl der Bewerber. Das beeinträchtigt vor allem die Chancen Schwächerer, für die ein gleich hohes Förderangebot wie im Vorjahr eingerichtet werden soll.“ (Arbeitsamt online Presse-Info)
Unmittelbar vor dem Lay-out des Gegenwindes ist es nicht mehr gelungen, eine Stellungnahme hiesiger Maßnahmeträger einzuholen. Wir werden im nächsten Gegenwind klären, ob mit obiger Beschlussfassung der Bundesanstalt für Arbeit auch in Wilhelmshaven die Finanzierung von Fördermaßnahmen gesichert ist.

 

Wegweiser durch den Abkürzungsdschungel:

API – Arbeitsplatzinitiative für Frauen
BKA – Beratung, Kommunikation und Arbeit
RABaZ – Regionale Arbeits- und Bildungsangebote für die Zukunft arbeitsloser Jugendlicher
GAQ – Gesellschaft für Arbeitsvermittlung und Qualifizierungsförderung
AQS – Arbeit und Qualifikation – sofort
RAN – Regionale Anlaufstelle zur beruflichen Eingliederung junger Menschen in Niedersachsen
BaE – Berufsausbildung in einer außerbetrieblichen Einrichtung

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top