Jugendarbeitslosigkeit
Nov 011997
 

Absturz vorprogrammiert?

Was Politikern der Region zur Jugendarbeitslosigkeit einfällt

(iz) 15 Prozent der Schulabgänger finden nicht sofort einen Ausbildungsplatz. Trotz steigender Arbeitslosenzahlen werden gerade jungen Menschen, die „auf der Strecke geblieben“ sind, kaum Alternativen geboten. Kann sich unsere Gesellschaft dauerhaft eine derartige Ausgrenzung von Jugendlichen leisten? Welche Antworten die Politik in Land und Bund dazu parat hat, war Mitte Oktober Thema einer Podiumsdiskussion in der „Perspektive“.

Eingeladen hatte der Arbeitskreis Jugendberufshilfe, der vor vier Jahren von der „Regionalen Arbeitsstelle zur beruflichen Eingliederung junger Menschen in Niedersachsen“ (RAN) in Wilhelmshaven ins Leben gerufen wurde (s. Kasten). Auf dem Podium saßen Michael Golibrzuch (Grüne) und Ernst-August Bode (FDP) als Landtagsvertreter und Gabriele Iwersen (SPD) und Erich Maaß (CDU) als Mitglieder des Bundestages. Im zahlreich erschienenen und engagiert diskutierenden Publikum befanden sich nur wenige Jugendliche, aber einige Ihrer Fürsprecher, die regelmäßig mit benachteiligten Jugendlichen konfrontiert sind.

SPD: Ausbildungsabgabe
Gabriele Iwersen präsentierte die im Bundestag heftig umstrittene Solidarfinanzierung. Nach diesem von der SPD vorgeschlagenen Modell werden Betriebe mit mehr als 5 Mitarbeitern nach festgelegten Berechnungskriterien veranlagt. Die Summe wird entsprechend den vorhandenen Ausbildungsplätze reduziert. Mit den so aus der Wirtschaft abgeschöpften Mitteln werden anderweitig Ausbildungsplätze subventioniert. Die Regelung soll nur in Jahren mit negativer Lehrstellenbilanz greifen und nur die nicht ausbildungswilligen Betriebe treffen, während die Subventionen ausschließlich von bereits ausbildenden Unternehmen abgerufen werden können.

CDU: Deregulierung statt Verstaatlichung
Erich Maaß sieht in diesem Modell eine „Bestrafung der Freiwilligkeit“ und plädierte für die Eigeninitiative der Wirtschaft, die nicht durch staatliche Vorgaben beschnitten werden darf. Zudem beklagte er, zu viele Abiturienten säßen auf Lehrstellen, die Haupt- und Realschülern vorbehalten sein sollten.

FDP: Schulsystem ändern
Ernst-August Bode schlossschloß sich dem an mit der Ergänzung, das 13. Schuljahr und der zweite Berufsschultag müsstenmüßten abgeschafft werden. Letzteres würde 40 Prozent der Ausbildungskosten von 50.000 DM pro Lehrling einsparen.

Grüne: Verteilungsfrage
Michael Golibrzuch führte an, manche Betriebe bildeten zu vielzuviel aus und manche zu wenigzuwenig. Deshalb unterstützte er das SPD-Modell, wenn auch nicht als „Allheilmittel“. Unabdinglich sei eine bessere Beratung der jungen Leute durch Einrichtungen wie RAN mit Konzentration auf individuelle Fähigkeiten: „Nicht jeder kann alles“. „Hotlines“ örtlicher Verlage oder des Ministerpräsidenten bzw. seiner Staatskanzlei schaffen seiner Ansicht nach nicht wirklich neue Stellen, sondern schieben nur den vorhandenen Stellenpool hin und her.

Ausbildungsunfähig?
Die wenigsten Maßnahmen sind für jene geeignet, die nie ausbildungsfähig waren und es unter Umständen nie sein werden: besonders benachteiligte Jugendliche, um die es an diesem Abend eigentlich gehen sollte. Aus dem Publikum führte Herr Kirchner (CVJM) das Podium zum Thema zurück: „Werden Sie zusammen tätig – ohne Sticheleien!“ und forderte ein regionales Bündnis für Arbeit. Herr Pischel vom Bildungsinstitut der niedersächsischen Wirtschaft (BNW) konkretisierte dies am Beispiel eines betrieblichen Ausbildungsverbundes, wie er derzeit im Modellversuch erprobt wird: Die Jugendlichen arbeiten wechselnd in verschiedenen Betrieben einer Branche, wodurch Stärken und Schwächen in den Ausbildungsmöglichkeiten der Einzelbetriebe ausgeglichen werden. Weiterhin, so Pischel, sollten für Benachteiligte neue Berufe geschaffen werden; Kirchner hatte die Idee, mit Rücksicht auf lernschwache, aber praktisch veranlagte Jugendliche, abgestufte Gesellenbriefe auszugeben. In diesem Sinne sollte auch der Unterricht handlungsorientierter werden.
Mit weiteren, pragmatischen Vorschlägen aus dem Publikum versehen ging das Podium deutlich befriedet in die SchlussrundeSchlußrunde. Einigkeit bestand allemal, dassdaß Einrichtungen wie RAN oder BKA unverzichtbare Grundlage zur Verbesserung der Situation sind.
Die Verantwortlichkeit blieb jedoch polarisiert: Iwersen und Golibrzuch forderten die Wirtschaft zu stärkerem, d. h. auch finanziellem Engagement, während Bode und Maaß zwar im Sinne der Unternehmerfreiheit für Entstaatlichung und Entbürokratisierung plädierten, aber andererseits staatliche Instrumente wie „Schulen und Pädagogen“ und auch die öffentlichen Kassen ins Visier nahmen.
So kurz vor der Bundestagswahl ist ein wirkliches, sachorientiertes Bündnis wohl schwer zu erreichen .q



Was ist „RAN“?
Landesweit gibt es 14 Regionale Arbeitsstellen zur beruflichen Eingliederung junger Menschen in Niedersachsen. Träger der Arbeitsstelle in Wilhelmshaven ist der in den Bereichen Langzeitarbeitslosenhilfe und Jugendberufshilfe engagierte Verein „Beratung, Kommunikation und Arbeit“ (BKA).
RAN wurde initiiert vom Land Niedersachsen mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union im Rahmen des Programms „Youth Start“. Es ist Anlaufstelle für Jugendliche unter 20 Jahren, die auf Grundaufgrund von Schwierigkeiten in familiären, schulischen, beruflichen oder sonstigen Bereichen benachteiligt sind. RAN möchte ihnen den Übergang von der Schule in den Beruf erleichtern, individuelle Hilfe anbieten, bei der beruflichen Orientierung beraten und bei der Verwirklichung der Perspektiven begleiten mit dem Ziel, eine dauerhafte Integration in die Arbeitswelt zu erreichen. RAN versteht sich als Schaltstelle zwischen Ratsuchenden und Betrieben, Arbeitsamt, Sozialamt und anderen Behörden, Beratungs- und sonstigen Hilfsorganisationen.

RAN ist zu finden in der Paul-Hug-Str. 60. Die MitarbeiterInnen – Anke Wellnitz und Ulrich Lork – sind dort montags bis donnerstags von 9-12 und von 14-17 Uhr oder nach Vereinbarung zu erreichen (Tel. 04421-136666, Fax 136601).

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