Job-Center
Apr 292005
 

Rechtsbruch, Missbrauch, Willkür

Heftige Vorwürfe gegen das Job-Center Wilhelmshaven von einem, der etwas davon versteht

(noa) Rappelvoll war der Versammlungssaal des Gewerkschaftshauses am 12. April bei der Monatsversammlung der Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland, so voll, dass einige Leute stehen mussten. Kein Wunder: Jetzt, nachdem Hartz IV seit einem guten Vierteljahr in Kraft ist, „wird das ganze Ausmaß der Katastrophe erst deutlich“, wie ALI-Vorsitzender Günther Kraemmer in der Begrüßung sagte.

Bisher sind die Behörden noch dabei, sich zu organisieren und das Arbeitslosengeld II auszuzahlen; viel mehr passiert nach den Worten des Referenten, des Oldenburger Rechtsanwalts Alfred Kroll, derzeit noch nicht. Von der Erfüllung der vom Gesetz vorgesehenen Aufgabe, die von ihnen betreuten Langzeitarbeitslosen in den 1. Arbeitsmarkt zu vermitteln, sind die ARGEn (Arbeitsgemeinschaften) noch weit entfernt. Was Kroll nach den bisherigen Erfahrungen mit dem neuen Gesetz feststellen kann, ist: Schätzungsweise 70 % aller Bescheide sind falsch. Das gilt bundesweit, wie er aus Rückmeldungen von Kollegen und Kolleginnen aus dem ganzen Bundesgebiet schließen muss.
Und: Die ARGE Wilhelmshaven macht eine Menge Sachen, die nicht im Gesetz stehen. So werden von „unserer“ ARGE die Unterkunfts- und die Heizkosten zusammen als ein Posten gezählt, was nicht rechtmäßig ist. Auch von irgendwelchen Bemühungen, Langzeitarbeitslose zu qualifizieren und ihnen eine „richtige“ Arbeitsstelle zu besorgen, ist nichts zu sehen.

Eingliederungsvereinbarungen

Und bei den Eingliederungsvereinbarungen, das bestätigten in der Versammlung auch einige Teilnehmer, die ihren Termin schon hatten, wird das Gesetz recht einseitig gegen die Arbeitslosen ausgelegt.
So berichtete ein Teilnehmer, dass seine Frau mit der Drohung, das Alg II werde gestrichen, genötigt wurde, einen Putzjob anzunehmen. Sie hat keine Ausbildung und ist an Qualifizierung interessiert, und außerdem hat sie ein dreijähriges Kind zu betreuen. Eine andere Teilnehmerin berichtete vom Fall einer allein erziehenden Mutter zweier Kinder im Alter von vier und sieben Jahren, die ein Bewerbertraining mitmachen muss und deshalb ihre Kinder nicht mehr betreuen kann.
Zu diesen Beispielen erläuterte Kroll, was im Gesetz steht: Die Verhandlungen zur Erstellung einer Eingliederungsvereinbarung müssen laut Sozialgesetzbuch X ergebnisoffen sein. Wenn ein Ratsuchender zum Job-Center kommt und das Papier schon fertig zur Unterschrift bereitliegt, dürfte klar sein, dass der Fallmanager das Ergebnis des Gespräches schon kennt. Mit schallendem Gelächter quittierten die Versammlungsteilnehmer Krolls Worte, dass die Mitarbeiter hinreichend qualifiziert sein müssen. Gespitzte Ohren gab es dann aber, als Kroll erklärte, dass die Vertragsverhandlungen nachvollziehbar protokolliert werden müssen, und rege Nachfragen kamen, als er aus der Bundestagsdrucksache 14/6944,31 zitierte, dass der Arbeitslose das Recht hat, einen Berater seines Vertrauens hinzuziehen. Nein, der „Berater des Vertrauens“ braucht keine bestimmte Qualifikation, es kann jede Person sein, die mitkommt, um aufzupassen, dass der Ratsuchende nicht über den Tisch gezogen wird.
Hätten die beiden arbeitslosen Frauen, von denen auf der Versammlung berichtet wurde, das gewusst und wären sie nicht allein zum Termin mit dem Fallmanager gegangen, dann wären die Verhandlungen gewiss anders verlaufen. Und auch das Wissen, dass Kinder unter 6 Jahren einen Anspruch auf Betreuung durch einen Elternteil haben, hätte es den Frauen ermöglicht, anders zu verhandeln.
Was weiter für viele Langzeitarbeitslose, die zum Gespräch über eine Eingliederungsvereinbarung eingeladen werden, wichtig ist: Kommt keine einverständliche Vereinbarung zustande, so kann der Ratsuchende darauf bestehen, mit dem Vorgesetzten des Fallmanagers zu sprechen – und wer nach den Verhandlungen noch zweifelt, ob das alles so ganz richtig ist, kann Bedenkzeit verlangen. Die vielen Berichte von Eingliederungsverhandlungen, die wir gehört haben, deuten darauf hin, dass eine solche Bedenkzeit, in der man dann auch mit Bekannten (oder der ALI) darüber sprechen kann, oft notwendig ist. In diesem Fall ist den Arbeitslosen dringend anzuraten, sich das Protokoll aushändigen zu lassen.
Dann kann man in Ruhe noch mal nachsehen, ob alle wichtigen Punkte zur Sprache gekommen sind. Denn die Eingliederungsvereinbarung ist ein Vertrag und darf nicht einseitig Anforderungen an den Arbeitslosen stellen. Sie muss auch Angaben über die Eingliederungsleistungen der Behörde enthalten; die Voraussetzungen, die in jedem einzelnen Fall unterschiedlich sind, müssen berücksichtigt werden; die Handlungsmöglichkeiten und Rechte des Ratsuchenden müssen erläutert werden.
Erst wenn die Verhandlung über eine Eingliederungsvereinbarung scheitert, darf ein Verwaltungsakt folgen – die bisherigen Erfahrungen sehen eher so aus, dass der Verwaltungsakt sehr schnell erfolgte.

Unterkunftskosten

Der spannendste Punkt der Versammlung war jedoch der offensichtliche Rechtsbruch seitens der ARGE Wilhelmshaven in Sachen Kosten der Unterkunft. Wer unsere Berichterstattung über die Versammlungen der Arbeitsloseninitiative in den letzten Monaten verfolgt hat, weiß, dass seit Januar ein großes Rätselraten stattfand über die Hintergründe der unterschiedlichen Bescheide. Hatten manche Antragssteller ihre Miete für ein halbes Jahr zugesagt bekommen, waren es bei anderen nur drei Monate. Und niemand wusste oder verstand, nach welchen Kriterien der eine so und die andere anders behandelt wurde. Mittlerweile gibt es schon Folgebescheide, da diejenigen, deren Bescheid nur bis Ende März galt, Folgeanträge hatten stellen müssen. Und nun geht es los: Zahlreiche Erwerbslose in Wilhelmshaven bekommen ihre Miete nicht mehr in voller Höhe erstattet.
„Rechtsbruch“, sagt der im Sozialrecht erfahrene Anwalt dazu. Das Gesetz sagt „längstens sechs Monate“, und „längstens“ heißt nicht, dass eine ARGE einfach festlegen kann, dass sie nur drei Monate zahlt, sondern sie muss sechs Monate lang zahlen. Das Job-Center Wilhelmshaven jedoch erklärt die Regel zur Ausnahme.
Kroll vertritt auch in Wilhelmshaven einige Mandanten und hat für diese schon etliche Widersprüche eingelegt. Bei dem, was er bezüglich des Umgangs mit seinen Widersprüchen hier erlebt hat, schwillt dem engagierten Sozialrechtler der Kamm: Am 8. und am 11. April bekam er je einen Widerspruchsbescheid, beide von derselben Mitarbeiterin ausgestellt und unterzeichnet. Beide Fälle lagen gleich; es ging darum, die volle Miete für die gesetzlich vorgesehenen sechs Monate übernommen zu bekommen. Dem einen Widerspruch wurde abgeholfen; die ARGE übernimmt die Miete bis Ende Juni in voller Höhe. Der andere Widerspruch wurde abgelehnt; die Mietzahlung über März hinaus wurde abgelehnt; eine Liste von Maklern und Hausverwaltern, bei denen man nach einer billigeren Wohnung fragen solle, lag dem Bescheid bei. „Das ist Willkür!“, sagte Kroll.
Schätzungsweise wird dieser Fall zu einem der nächsten erfolgreichen Schnellverfahren beim Sozialgericht führen. Einige Grundsatzentscheidungen in Sachen „Kosten der Unterkunft“ hat Kroll schon erstritten.
Und auch im Fall einer Teilnehmerin, der man gesagt hat, sie solle auf ihr Schlafzimmer verzichten und mit einer Schlafcouch vorlieb nehmen, dürfte klar sein, was das Sozialgericht dazu zu sagen haben wird.

Umziehen?

Auch nach Juni heißt eine Miete von über 258 Euro noch nicht automatisch „Umziehen“. Es gibt zahlreiche Gründe, warum ein Arbeitsloser das Recht hat, in seiner Wohnung zu bleiben: Die Nähe zur Schule oder dem Kindergarten der Kinder, die Nachbarschaft von Leuten, die einem bei der Kinderbetreuung helfen, eigene Investitionen in die Wohnung und vieles mehr kann geltend gemacht werden. So fand Kroll den Fall eines Versammlungsteilnehmers sehr eindeutig:
Seine Miete überschreitet den Betrag, den Wilhelmshaven für einen allein lebenden Arbeitslosengeld II-Empfänger zahlen will, um ca. 50 Euro. Andererseits liegen die Heizkosten nach gründlichen und teuren Wärmedämmungsmaßnahmen sehr niedrig. Der Mann hat eine schriftliche Zusicherung des Vermieters, dass er lebenslang in der Wohnung bleiben kann und dass die Miete künftig nicht erhöht werden wird. Man sollte denken, dass in diesem Fall die volle Miete anstandslos gezahlt wird. Doch das Job-Center verlangt von dem Mann, dass er sich eine billigere Wohnung suchen oder aber auf Erstattung der vollen Miete verzichten soll. „Rechtmittel einlegen“, rät ihm der Anwalt.
Wenn aber doch umgezogen werden muss, so sollten alle Betroffenen wissen, dass Renovierungskosten zu den Unterkunftskosten zählen. Die Behörde muss sowohl die Auszugsrenovierung als auch die Einzugsrenovierung bezahlen, wenn die Mietverträge Entsprechendes vorsehen. In diesem Punkt hat die ARGE schon Ratsuchende falsch informiert und versucht, ihnen ihr Recht vorzuenthalten. Auch die Kaution, die viele Vermieter fordern, muss die Behörde tragen – sie bekommt sie nach Beendigung des Mietverhältnisses ja auch zurück. Den Vorschlag der ALI, über den wir in der letzten Ausgabe berichtet haben, im Falle eines Umzuges alle anfallenden Kosten aufzulisten und bei der ARGE zu beantragen, unterstützt Kroll mit Nachdruck – das Sozialgericht werde im Fall einer Klage sicherlich antragsgemäß entscheiden.

Bedarfs-, Haushalts- und Wohngemeinschaften

Rechtsbruch sieht Alfred Kroll auch dann, wenn Arbeitslosen vom Job-Center eine Haushalts- oder Wohngemeinschaft zur Bedarfsgemeinschaft umdefiniert wird. Dabei sind diese Gemeinschaften juristisch klar bestimmt. Die Oma, die im gleichen Haushalt wie die arbeitslose Familie wohnt, muss keinen Cent für deren Lebensunterhalt beisteuern und darf ihre Rente für sich allein behalten. Und schon gar keine Verpflichtung besteht für einen Stiefvater, dem Amt das Sozialgeld für die minderjährigen Kinder seiner Frau zu sparen. Die Dienstanweisung der Arbeits-Agentur, die Bestimmungen über die unterschiedlichen Arten des Zusammenwohnens zu unterlaufen und Menschen in Haushaltsgemeinschaften und Wohngemeinschaften dazu zu zwingen, füreinander finanziell aufzukommen, ist ganz eindeutiger Rechtsbruch.
Und so ist auch in diesen Fällen Krolls fast schon stereotype Antwort auf die geschilderten Probleme der Versammlungsteilnehmer: „Rechtsmittel einlegen!“

Rechtsmittel einlegen

Wie funktioniert das nun, wenn man einen Bescheid vom Amt bekommt, mit dem man nicht einverstanden ist? Zunächst einmal muss man Widerspruch einlegen. Der sollte innerhalb von drei Monaten bearbeitet werden. Wenn die Behörde nicht reagiert, kann man eine „Untätigkeitsklage“ anstrengen.
Dem Widerspruch wird abgeholfen oder aber nicht. Im letzteren Fall ist der nächste Schritt die Klage bei Sozialgericht, die man besser nicht auf eigene Faust einlegt, sondern vom Anwalt anstrengen lässt.
EmpfängerInnen von Alg II bekommen natürlich Prozesskostenhilfe.

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