Jens Graul
Sep 032008
 

Superstar

Wieder einmal glänzt unser Stadtrat und Dezernent im Fernsehen – diesmal als „Wohltäter“

(noa) Also, letzten Sommer war er besser, in „Gequirlte Scheiße“ bei „extra 3“. Naja, das Thema lag ihm wohl mehr. Andererseits – wer ist schon immer gleich gut? Und so schlecht war er ja nun auch wieder nicht am 11. August in WISO. Diesmal ging’s um „Leiharbeiter – wenn es für gleiche Arbeit weniger Lohn gibt“, um die Wilhelmshavener Entsorgungsbetriebe und die Wilhelmshavener Entsorgungszentrum und Logistik GmbH, um Ausbeutung und Lohndrückerei.


„Noch geht’s uns gut. Viele Menschen haben Arbeit. Die Arbeitslosigkeit ist tief gesunken. Das ist erfreulich. Aber lassen Sie uns genauer hinschauen. Denn viele Menschen haben Arbeit, dennoch geht es ihnen nicht gut dabei. Denn noch nie war die Zahl der Zeitarbeiter oder Leiharbeiter so hoch wie jetzt.
GraulZugleich gründen viele Unternehmen Tochterfirmen, in denen die gleiche Arbeit geleistet wird für weniger Lohn. Es gibt die Arbeitnehmer erster Klasse und die zweiter Klasse. Die zweite Klasse wächst unaufhaltsam“, lautete die Anmoderation von Michael Opoczynski.
Und weiter, während wir eine Wilhelmshavener Straße mit einem WEB- und einem WEL-Wagen sehen: „Beispiel: Wilhelmshavener Entsorgungsbetriebe. Die einen Müllmänner sind in Gelb, die anderen in Orange unterwegs, und sie begegnen sich oft in einer Straße. Die Männer in Orange sind angestellt bei der WEB, den Wilhelmshavener Entsorgungsbetrieben, die Männer in Gelb beim Tochterunternehmen WEL, der Wilhelmshavener Entsorgungszentrum und Logistik GmbH. Beide haben den gleichen Job, nur dass die Arbeiter in Gelb knapp 3 Euro pro Stunde weniger verdienen und ein größeres Pensum zu verrichten haben.“
Im Film kommt Betriebsrat Detlef Schue zu Wort, der als WEBler selber zwar die besseren Bedingungen genießt, sich aber dennoch für seine gelb gewandeten Billig-Kollegen einsetzt und darauf hinweist: „Das ist absolut ungerecht. Gleiche Arbeit machen die Leute. Wir sitzen zusammen in einem Sozialraum, wir benutzen dieselben Duschen. Nur – die Kollegen der WEL werden entschieden schlechter bezahlt.“ Er vermutet, die Ersparnis bei den Männern auf der Straße wird durch „Geschäftsführergehalt, Aufsichtsrat, Nebentätigkeiten oder auch Bonuszahlungen für leitende Angestellte … wieder aufgefressen.“

Besser als TVÖD

Am Ende des Beitrages kommt endlich der Auftritt von Jens Graul. Zusammen mit Schue und Opoczynski steht er am Studiotisch und antwortet auf Opoczynskis Frage, wozu die Gründung eines Tochterunternehmens des städtischen Müllentsorgungsbetriebs gut sein soll: „Weil wir Dienstleistungen für Bürger erbringen. Bürger zahlen Müllgebühren – Stichwort 13. Jahresmiete – die Gebühren dürfen nicht unbegrenzt hoch sein. Mehr als die Hälfte der Müllgebühren sind Personalkosten. Deswegen ist die Frage, wie hoch diese Personalkosten sind, schon ein Kriterium für unsere … nicht Wettbewerbsfähigkeit – für die Art, wie wir unsere Arbeit erledigen. Und da hat sich zumindest in Wilhelmshaven 2005, als WEL gegründet wurde, erwiesen, dass ein gewerblicher Mitarbeiter der WEB etwa 45 Euro pro Stunde kostete… Davon hatte er 13 in der Tasche. Der Rest waren Nebenleistungen, Ausfall, Ersatzkosten. Und der WELler, der liegt bei 25. Das können Sie nicht ausgleichen.“
Zu Opoczynskis Nachfrage „Können Sie verstehen, dass man sagt, es gibt da Arbeiter erster Klasse – die sich auch engagieren für die anderen Kollegen – und es gibt Arbeiter zweiter Klasse – verstehen Sie das?“ steigert er sich schon: „Vor zwei Jahren hätte ich das noch gesagt. Aber inzwischen gibt es einen TVÖD, einen Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst, der ist dem WEL-Tarif näher als dem alten Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst. Und zweitens: Wir haben bei WEL inzwischen ein Prämiensystem eingeführt, d.h., zu den 10,50 Euro Grundlohn kommt noch etwa 1 Euro an Zusatzleistungen dazu, d.h. (…) wir sind besser als TVÖD.“
Noch besser wird er bei der Vorhaltung, dass „die da oben“ keine Einbußen haben:
„Die gesamte Verwaltung von WEL läuft über Leute, die das nebenher machen, Leute aus dem Mutterbetrieb. Das ist ja ein sehr eng geführter Betrieb. Der soll ja nicht irgendetwas machen, sondern das tun, was das Rathaus möchte. Es gibt Aufwandsentschädigungen, aber keine vollen Gehälter für diese Arbeit. Die einzigen, die voll verdienen bei WEL, sind die Gewerblichen.“

Vorweggenommene Zukunft

Fast schon so gut, wie wir ihn aus „Gequirlte Scheiße“ kennen, zeigt sich Graul bei der Frage nach dem Druck auf die WEB-Kollegen durch die Einrichtung einer billigen Variante von Müllentsorgungsbetrieb: „Das ist doch Quatsch! Jeder Orange-Mann hat eine Beschäftigungsgarantie bis ans Ende seiner Tage, solange er keine silbernen Löffel klaut – was gelegentlich vorkommt – d.h. BMTG, also der alte Tarifvertrag wird zu Ende geführt, die Leute gehen in Rente mit allem, was dazugehört.“ Und als es darum geht, wie es aussehen wird, wenn die „Orange-Männer“ ausgestorben sein werden: „Wenn wir den Betrieb heute neu gründen würden, ohne den alten BMTG, nach dem Tarifvertrag, den ver.di und die Arbeitgeber abgeschlossen haben, (…) dann würden wir zu den gleichen Bedingungen arbeiten wie heute bei WEL. D.h. wir sind die vorweggenommene Zukunft.“
Zu voller Form lief Graul im Schlussdialog mit Opozcynski auf:
Opoczynski : „Sie zahlen weniger, und die Leute müssen die Inflation von über 3 % ausgleichen. Können Sie verstehen, dass das schwer ist?“
Graul: „Das ist ein Einkommen, von dem man bei vollschichtiger Arbeit eine Familie ernähren kann.“
Opoczynski : „Aber: Weniger Geld als bisher und höhere Inflation, das muss man hinnehmen.“
Graul: „Dann würde ich als erstes die einige Hundert Landkreise und Kommunen in Deutschland, die ihre Müllabfuhr ausgeschrieben haben, bitten, nicht mehr solche Angebote zu werten, die nach dem Güterverkehrstarif bezahlt werden; da liegen wir nämlich noch 30 % unter dem, über das wir uns hier unterhalten!“
Opoczynski : „Ein Wohltäter!“

Kommentar:Milchmädchenrechnung
Opozcynskis letztes Wort im WISO-Beitrag über WEB und WEL saß. Wie wohltätig ist doch die Stadt, die ihre Beschäftigten im Lohn drückt, aber darauf hinweist, dass andere Städte es vielleicht noch ausgiebiger tun!
Da sagt Jens Graul, nachdem die Stadt Wilhelmshaven – durch die Gründung von Eigenbetrieben und von Töchtern der Eigenbetriebe am Rat vorbei – das Lohnniveau nicht nur bei den Müllmännern, sondern auch bei den Busfahrern, im Reinhard-Nieter-Krankenhaus und weiteren städtischen Diensten gesenkt hat, so etwas müsse sein, damit die Gebühren im Rahmen bleiben. Klar, wenn man einem Großteil der Bevölkerung das Einkommen schmälert, muss man verhindern, dass die Gebühren weiter steigen.
Der „Gelb-Mann“ der WEL soll mit seinem evtl. leicht aufgestockten Lohn bei vollschichtiger Arbeit eine Familie ernähren können? Viel mehr als eine „Sarrazin-Diät“ wird dabei aber nicht möglich sein! Und was Graul offensichtlich gar nicht im Blick hat: Der „Gelb-Mann“ wird spätestens nach seiner Verrentung verdammt teuer werden. Billig-Arbeitskräfte erwerben keine ausreichenden Rentenansprüche. Was „der Bürger“ heute an der Müllgebühr „spart“, zahlt er später in Form von Steuern für die aufstockende Grundsicherung des Geringverdieners.
So vorausschauend sollten Politiker rechnen. Dass Unternehmer anders rechnen, ist normal, in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem sogar legitim. Graul rechnet nicht wie ein Politiker, sondern wie ein Unternehmer: Worte sind verräterisch – was hat er gesagt, was er eigentlich nicht sagen wollte? Wettbewerbsfähigkeit … Die Stadt als Wirtschaftsunternehmen? Dann muss man natürlich Kosten senken auf Teufel komm raus. Dann wird das aber auch so weitergehen.
Anette Nowak
WEB und WEL und AWG
Neben der WEB und der WEL gibt es bekanntlich noch die AWG, die Abfallwirtschaftsgesellschaft. Sie kümmert sich um den Sperrmüll. Ganz, ganz früher mal, als alles rund um den Müll noch städtisch war, gab es regelmäßige Abfuhrtermine, und man stellte seinen ausgedienten Nachtschrank oder die durchgesessene Liege zum Termin einfach an die Straße. Jetzt gibt es die individuellen Abfuhrtermine: Wer die alte Wohnzimmereinrichtung loswerden will, füllt ein Kärtchen aus, schickt es an die AWG und bekommt einen Tag genannt, an dem er die Sachen frühmorgens an die Straße stellen muss. Und wer keine Möglichkeit hat, den ausgedienten Hausrat zu lagern, kann einen besonderen Service nutzen und bekommt gegen Zahlung von 15 € den Abfuhrtermin nach eigenem Wunsch. Und jetzt kommt der Haken: Diese 15 € kann man nicht überweisen und auch nicht den freundlichen AWG-Männern mitgeben, die muss man vorher hinbringen. Zum Entsorgungszentrum 1 ist die Adresse, erreichbar mit dem Auto, zu Fuß oder mit dem Fahrrad – einen Linienbus dorthin gibt es nicht. Irgendwie passt das nicht zusammen mit so schönen Worten wie „Express-Service“, aber, so die Erklärung: „Das ist ein extra Service. Den müssen Sie ja nicht in Anspruch nehmen.“ Naja…
Seit Anfang des Jahres nimmt AWG auch keinen Teppichboden mehr mit. „Den müssen Sie selber entsorgen“, sprich: zur Müllkippe bringen. Die höchst subjektive Wahrnehmung der Fragerin, die seit dieser Zeit schon an den seltsamsten Stellen alte Teppichböden gefunden hat (zuletzt beim Altglas- und Papiercontainerstellplatz an der Zedeliusstraße), dass so manch ein Mitmensch sich diesen Weg spart und sich ein eigenes kleines „Entsorgungszentrum“ schafft, kann man bei der AWG nicht bestätigen: „Das gab es doch schon immer. Das hat seither nicht zugenommen.“

 

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