Majestätsbeleidigung
(iz) Heute Mittag ermächtigte die Bundesregierung die deutschen Justizbehörden, gegen den Satiriker Jan Böhmermann ein Verfahren nach §103 StGB (Strafgesetzbuch) einzuleiten wegen Beleidigung des türkischen Staatschef Erdogan. Spontan entschieden sich Sven Ziegeler (Die PARTEI Kreisverband Wilhelmshaven) und Michael von den Berg (Ratsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen) für eine Protestaktion auf der Rambla am gleichen Abend. Eine offizielle Anmeldung beim Ordnungsamt war so kurzfristig nicht möglich, von den Berg informierte jedoch sicherheitshalber die Polizei und bekam grünes Licht. Immerhin 40 bis 50 Menschen gesellten sich während der halbstündigen Aktion dazu, angesichts einer Mobilisierungszeit von wenigen Stunden recht beachtlich.
Interviews mit den Anwesenden gestalteten sich schwierig, da sie sich symbolisch den Mund zugeklebt hatten. Am Ende hielt dann aber Satire-Experte Sven Ziegeler eine seiner viel beachteten Reden. Als Funktionär einer Satirepartei ist er prädestiniert, die Frage zu beantworten: „Was darf Satire? Satire kann, darf und muss alles!“ Gerade im Wahlkampf sei Satire sehr gefragt. Merkel habe mit ihrer Entscheidung die Satire- und Pressefreiheit „verraten und verkauft“.
Erfreulich: Auch eine Delegation der W’havener Jusos tauchte bei der Protestaktion auf. Ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass sie auch zukünftig mehr Mut und Flagge zeigen, sich eigenständig mit aktuellen Themen auseinanderzusetzen und nicht erst den Konsens der Altvorderen abwarten, die soeben die Beliebtheit der SPD unter 20 Prozent befördert haben. Wenn dem Nachwuchs nicht mehr Freiheit eingeräumt wird – oder dieser sich die Freiheit nimmt – können die Sozialdemokraten auch in Wilhelmshaven bald einpacken.
Der Protest und die (weltweite) Diskussion um die Böhmermann-Erdogan-Merkel-Affäre bewegen sich in einer komplexen Gemengelage. Hobby-Juristerei am Küchentisch bringt da nicht viel weiter. Je nach Blickwinkel haben viele Diskutanten, die zumindest versuchen, sich sachlich damit auseinanderzusetzen, recht und gleichzeitig unrecht.
Der Stein des Anstoßes, Böhmermanns Beitrag im ZDF- „Neo Magazin Royal“, wurde umgehend aus der Mediathek gelöscht. Eine für heute in Berlin angesetzte Demo, bei der Zitate aus dem Gedicht auf Schrifttafeln mitgeführt werden sollten, wurde vom zuständigen Verwaltungsgericht untersagt. Auf Spiegel online ist es immer noch nachzulesen – mitsamt dem Kontext, in den Böhmermann es eingebettet hat, und darauf kommt es an. Das Gedicht selbst ist ziemlich blöd und auch nicht witzig, nur im Zusammenhang mit dem Rahmen erschließt sich die Zielsetzung, nur aus diesem gerissen wird es zu einer – möglicherweise justiziablen – Schmähkritik.
Betrachtet man trocken und isoliert den deutschen Paragrafen, mag der Schluss richtig sein, dass Merkel im Sinne der Gewaltenteilung korrekt entschieden hat. Ein „Nein“ zur Strafverfolgung hätte ein mögliches Urteil präjudiziert, ihr „Ja“ macht den Weg frei für die Beurteilung durch die Legislative. Von der sich dann wiederum viele Diskutanten eine Klatsche für Erdogan erhoffen.
Aber die Frage (die Böhmermann möglicherweise auch im Sinn hatte, als er seinen Satire-Coup startete) lautet: Ist die zugrunde liegende Rechtsetzung überhaupt noch zeitgemäß?
Der §103 StGB stammt aus dem Jahr 1871, also noch aus dem Kaiserreich, und schützte das Recht monarchischer Oberhäupter.
Im Vergleich zum §185 StGB, der für alle Bundesbürger gilt, sieht der §103 ein unverhältnismäßig hohes Strafmaß vor. Für die Beleidigung einfacher Bürger kann eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe verhängt werden, im Falle der „Majestätsbeleidigung“ nach §103 eine Höchststrafe von drei bis fünf Jahren Haft. Ist das gerecht und zeitgemäß?
Tatsächlich steht nun, aus aktuellem Anlass, eine Anpassung des StGB auf der Agenda der Bundesregierung.
Tatsächlich geht es hier aber nicht um eine rein juristische, sondern eine diplomatische Frage – und um Menschenrechte. Während in Deutschland über Böhmermann und Merkel und Freiheit von Presse und Satire diskutiert wird, tritt Erdogan in der Türkei Pressefreiheit und Menschenrechte weiterhin lustig mit den Füßen. Hunderte Journalisten, Akademiker, Politiker, Demonstranten – darunter selbst Schüler – befinden sich in Haft bzw. stehen vor Gericht, weil sie die türkische Regierung kritisiert, den Präsidenten „beleidigt“ haben.
Noch im März erschossen türkische Grenzschützer Syrische Flüchtlinge, die illegal die Grenze überqueren wollten. Jetzt bekommt die Türkei von der EU sechs Milliarden Euro, um den Flüchtlingsstrom an der Schwelle nach Europa abzupuffern. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass viele Türkinnen und Türken, genau wie Griech/innen, Deutsche und andere Staatsangehörige mit Herz, sich mit großer Menschlichkeit um Flüchtlinge kümmern, unabhängig davon, was ihre Regierungen gerade so veranstalten.
Dass die deutsche Regierung den Umgang des türkischen Präsidenten mit der Meinungsfreiheit nicht offen kritisiert, ist eine Sache. Dass sie zeitgleich, auf sein Geheiß hin, den hierzulande liberalen Umgang damit in Frage stellt, ist gefährlich.
Die Ressentiments (wie Dönerfressen und Ziegen ficken), die Böhmermann in seinem Gedicht pointiert, sind mitnichten, wie in der öffentlichen Diskussion unterstellt wird, eine Schmähkritik gegen sämtliche Türken. (Gute Güte, wer sich mit Böhmermann beschäftigt, weiß, der Mann hat was in der Birne und vertritt das Gegenteil von Rassismus!) Diskussionsforen der Anhänger von AfD, Pegida, „Bürgerwehren“ und Co. sind voll von solchen Ressentiments – allerdings nicht satirisch, sondern ernst gemeint. Diese digitale, pauschale Schmähkritik gegenüber Migranten, Andersgläubigen, Andersfarbigen wird weder von Facebook noch von der Strafjustiz konsequent geahndet. Ist das Vorgehen gegen Böhmermann vor diesem Hintergrund glaubhaft und verhältnismäßig?
Wir haben hier nur einen Bruchteil der Causa Böhmermann-Aspekte beleuchtet. Man sollte sich immer die Mühe machen, wenn ein Thema gerade hochkocht, das Umfeld zu betrachten und das große Ganze. Kritisch bleiben, überlegen, ob hinter einem scheinbar prioritären Problem nicht die eigentlichen Ursachen verschleiert werden.
Eine Zusammenkunft, auf der man persönlich miteinander redet, Argumente austauscht und gemeinsam die Vielschichtigkeit einer aktuellen Debatte ergründet, bleibt immer noch die beste Form des gesellschaftlichen Diskurses.
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