JadeWeserPort
Jan 252006
 

Rohrdommel rehabilitiert

Parole „Naturschutz verhindert Hafenbau“ entbehrt jeder Realität

(iz) Selten wurden Gerüchte und Halbwissen so penetrant zu Unwahrheiten verdichtet, wie es in den vergangenen Wochen zum Thema „Naturschutz im Voslapper Groden“ der Fall war. Im Interesse verunsicherter, zum Teil schon hysterischer BürgerInnen bringen wir Licht ins Dickicht westlich des geplanten Containerhafens.

Alles begann ganz harmlos: Während eines informellen Pressefrühstücks in Hannover sinnierte der niedersächsische Umweltminister, man könne Konflikte zwischen Naturschutz und Hafenwirtschaft möglicherweise durch eine Lärmschutzwand umgehen. Sein Nachsatz: „Ob das notwendig ist, weiß der Teufel“ (WZ 25.11.2005) und dass er nicht wisse, ob die seltenen Vögel „überhaupt lärmempfindlich sind“, verpuffte schon im Kondensstreifen, den die Nachricht auf ihrem Weg nach Wilhelmshaven hinterließ.
Auf ihrem weiteren Weg durch die Medien sowie Ohren und Münder von Politik und Hafenlobby der Region erlebte die Botschaft – nach den Gesetzmäßigkeiten des Spiels „Stille Post“ – eine bemerkenswerte Transformation. Ganz oben auf der Hitliste stehen z. B. für 8 Rohrdommeln muss eine 8 Millionen Euro teure Lärmschutzwand gebaut werden
Sander BürgerInnen müssen den Krach der Containerzüge ertragen, weil der Lärmschutz für Vögel Vorrang hat.
Wie das „unten“ ankommt, zeigt eine erkleckliche Zahl von Leserbriefen an die WZ. Wahre Hasstiraden muss die Rohrdommel über sich ergehen lassen, vor allem von Leuten, die erkennbar nicht den leisesten Schimmer davon haben, um was für einen Vogel es sich überhaupt handelt.
Einen Protestbrief schrieb der Sander Bürgermeister an den Umweltminister, in dem er ihn bittet, „den vier Kilometer langen und mehrere Millionen Euro teuren Wall nicht zu bauen und statt dessen ‚vernünftige Maßnahmen‘ zum Schutz der Vögel zu ergreifen.“.
Die Sander CDU-Ratsfrau Christel Bohlen kündigt Protestmärsche der Sander Bürger an. „Dann steht die Bevölkerung auf den Schienen. Man zwingt uns ja dazu.“
Prima Sache, dass die SanderInnen ihren Schutz vorm Lärm der Containerzüge erkämpfen wollen. Ob sie den kriegen oder nicht, hat allerdings mit dem Vogelschutz direkt neben dem Containerhafen nix zu tun. So wie gravierende Verzögerungen bei der Planung des JWP nichts damit zu tun haben, dass der Voslapper Groden als Naturschutzgebiet ausgewiesen wird. Dass dieser formale Schritt erforderlich ist, wusste man schon vor 5 Jahren. Aktuell mussten neue Planungsunterlagen vorgelegt werden, weil man sich bei der Berechnung der Baumassen für das Terminal ordentlich verhauen hat. Aber wer hängt so was schon gern an die große Glocke?

„Die da oben“

Die Unterschutzstellung ist keine fixe Idee von Vogelliebhabern, sondern folgt geltendem EU-Recht. Seit Jahren mahnt Brüssel die Bundesrepublik, ihre Beiträge zum Schutzgebietsnetz „Natura 2000“ zu leisten. Eine weitere Nichtbeachtung hätte ab 2006 tägliche Strafzahlungen in Millionenhöhe nach sich gezogen.
Gern richtet sich in solchen Fällen der lokale Zorn gegen „die Bürokraten“ in Brüssel. Als säßen dort fiese Wesen vom anderen Stern und nicht auch gewählte Vertreter aus Bund und Land, die das Europarecht mitgestalten. Geht’s darum, die Hand nach Fördertöpfen auszustrecken, wendet man sich gern nach Brüssel. Kommt jedoch die Sprache darauf, etwas für die gemeinschaftlichen Ziele Europas zu geben – sei es Geld, seien es ideelle Leistungen wie z. B. Naturschutzflächen – ist das Geschrei groß.
Ähnlich ist das Verhältnis von hier zu Hannover. Mehrere hundert Millionen Euro sollen aus dem wackeligen Landeshaushalt in den JadeWeserPort fließen: Immer her damit! Jetzt stellt das Land seinerseits Forderungen, will sogar im Raumordnungsprogramm einer (seit über 30 Jahren brachliegenden!) Industriefläche Vorrang für Naturschutz einräumen: Pfui Teufel!
Um so erfreulicher, dass die Lokalpresse sich endlich diesem schrägen Chor entzieht. „Menzel wettert gegen das Land“, titelte die WZ distanzierter als gewohnt am 16. Januar, unterfüttert durch einen Kommentar des Chefredakteurs: „… Es stellt sich allerdings die Frage, ob es sinnvoll ist, die Landesregierung … ständig vor die Schienbeine zu treten. Außerdem macht es nicht gerade einen guten Eindruck, wenn die Spitze der Stadtverwaltung den Eindruck erweckt, als seien gesetzliche Bestimmungen zum Naturschutz nur ein ärgerlicher Bremsklotz … Es gibt Bestimmungen und Gesetze, die einzuhalten sind, und die dennoch den JadeWeserPort überhaupt nicht gefährden. In dieser Haltung sind sich Hafenplaner, Naturschützer und Landesregierung offensichtlich einig – und damit gedanklich weiter als so mancher Politiker in Wilhelmshaven …“ Damit hat Klaas Hartmann gleich mehrere längst fällige Gesichtspunkte aufgezeigt, welche die bislang sich ins Unsägliche zuspitzende Form der Auseinandersetzung aus der Sackgasse führen könnten.

Böser, böser Vogel

Die Sammlung dieser Unsäglichkeiten würde mittlerweile ganze Ordner bzw. ein GEGENWIND¬Sonderheft füllen. Einige Auszüge sollten hier genügen. „Es kann doch einfach nicht wahr sein, dass acht Vögel den JadeWeserPort blockieren“, käut Ulrich Czelinski aus Sande die Fehlinformationen seiner Tageszeitung wieder (WZ-Leserbrief vom 9.12.2005). „‘Entweder ihr verschwindet … oder aber ihr baut uns eine acht Millionen teure Schutzwand‘. So oder ähnlich könnte sich das hämische Gezwitscher der Rohrdommeln anhören.“ Zur Information: Rohrdommeln zwitschern nicht, sie gehören nämlich nicht zu den Singvögeln, sondern zu den Reihern. Nicht nur deshalb ist diese Äußerung repräsentativ für die Diskussion um Vögel und Hafenbau: geprägt von Halbwissen, Desinformation, Gerüchten, Polemik, Vermutungen und falschen Schlussfolgerungen.
Das Stadtoberhaupt schämte sich nicht, selbst eine Feierstunde zum 60. Gründungstag der Freien Gewerkschaften für die Anti-Naturschutz-Kampagne zu missbrauchen: „Eingangs hatte IG-Metall-Bevollmächtigter Hartmut Tammen-Henke die Wurzeln der Freien Gewerkschaften aus der Antifaschistischen Bewegung freigelegt, bevor Oberbürgermeister Eberhard Menzel den Bogen zum Jahr 2005 zog mit der Warnung, dass vier Rohrdommel-Paare nicht zerstören dürften, was mit der Schaffung von Industrieflächen geplant gewesen sei“. (WZ v. 17.12.2005) Hier wurde der Bogen nicht ge-, sondern deutlich überspannt, nicht allein vom OB, sondern auch von Redakteur Norbert Czyz.
Zwischendrin gab es auch mal Lichtblicke wie den Leserbrief (WZ v. 12.12.05) des städtischen Naturschutzbeauftragten Klaus Börgmann: „…Minister Sander und in seinem Gefolge MdB Kammer und Sander Politiker verknüpften in der Sache unzulässig den erforderlichen Schutz der Menschen an der Bahnlinie mit dem erforderlichen Schutz der Vogelwelt im Voslapper Groden … Es sollte gelten, sinnvolle Maßnahmen für den Schutz einer vom Aussterben bedrohten Art durchzuführen, anstatt Steuergelder allein zu dem Zwecke zu verschwenden, den Naturschutz in den Augen der Öffentlichkeit zu diskreditieren.“ Und: „Die Benennung erforderlicher Schutzmaßnahmen muss ab sofort den Fachleuten überlassen bleiben, damit Sinnhaftigkeit und Durchführbarkeit gewährleistet sind …“
Nun gibt es im Naturschutz viele selbsternannte Fachleute, wie Wolfgang Kobbe aus Jever (WZ-Leserbrief v. 12.12.2005): „Wir wissen doch alle, dass sich die Natur nach einiger Zeit selbst regeneriert.“ Schön wär’s.
Als echter Fachmann kam dann Prof. Bairlein vom Institut für Vogelforschung bei einer vom Nordwestradio live ausgestrahlten Podiumsdiskussion in der Nordseepassage zu Gehör. Er machte deutlich, dass eine Lärmschutzwand keinen Effekt hätte – außer, dem Ansehen des Naturschutzes zu schaden. Womit er vermutlich den Kern der Sache traf: Die Zuspitzung der öffentlichen Diskussion, vom Ministerfrühstück bis hin zu Sander BürgerInnen, die auf den Gleisen mit Transparenten gegen Rohrdommeln kämpfen, war kein Selbstläufer, sondern seitens bestimmter Vertreter der Hafenlobby durchaus geplant und gesteuert. Klingt nach Verschwörungstheorie, hat aber schon mehr als einmal funktioniert. Vor 10 Jahren hatte sich der BUND dafür stark gemacht, das Material für die Deichverstärkung am westlichen Jadebusen nicht aus den empfindlichen Salzwiesen im Nationalpark, sondern binnendeichs zu entnehmen. Verbreitet wurde aber die Parole „Naturschützer wollen Küstenschutz verhindern“, unterfüttert durch Horrorszenarien über den „Blanken Hans“. Am Ende standen Hunderte mit Fackeln auf dem Deich, um gegen den Naturschutz zu protestieren.
Jens Fries (WZ-Leserbrief v. 20.12.2005) hat das Ablenkungsmanöver durchschaut: „Der CDU-Bundestagsabgeordnete Kammer empört sich über die … Bürokratie hinsichtlich des geforderten Baus einer Lärmschutzwand zum Schutz der Rohrdommel im Voslapper Groden. Er mahnt an, dass doch wohl der Mensch im Vordergrund stehen müsse. Leider hat er dabei wohl nicht an die Menschen gedacht, die direkt am Alten Seedeich in Voslapp … leben. Denen droht als Eigentümer einer Siedlung bis an ihr Lebensende die Lärmbelästigung beim Bau und beim Betrieb des JadeWeserPorts …“
Auch wenn sich der künstlich erzeugte Nebel über dem Röhricht im Voslapper Groden allmählich lichtet: Es ist erschütternd, dass es immer noch und immer wieder funktioniert, die Öffentlichkeit mit einseitigen und falschen Informationen derart zu manipulieren und gegen irrationale Feindbilder aufzuhetzen.

Fakten, Fakten, Fakten
1. Nicht der Schutz des Voslapper Grodens, sondern dessen – wider besseres Wissen – viel zu spät erfolgte Meldung an die EU erschwert die Planung für das Hafenprojekt.
2. Nicht Naturschutzauflagen, sondern Planungsfehler tragen maßgeblich zur Verzögerung des Hafenprojektes bei.
3. Zu keiner Zeit haben haupt- oder ehrenamtliche Mitarbeiter des Naturschutzes konkrete Forderungen nach einer Lärmschutzwand für Rohrdommeln gestellt. Anders lautende Behauptungen bis hin zu daraus resultierenden Protestaktionen sind diskriminierend.
4. Die Forderungen der Gemeinde Sande nach Lärmschutz sind berechtigt. Sie stehen jedoch in keinem sachlichen oder finanziellen Zusammenhang zu Naturschutzmaßnahmen im Voslapper Groden.
5. Nicht allein acht Vögel einer Art, sondern insgesamt 54 Brutvogelarten mit über 1500 Brutpaaren, darunter sechs europaweit bedeutsame Vogelarten bzw. zahlreiche bestandsgefährdete Arten sowie deren Lebensräume mit zum Teil ebenfalls seltenen bzw. gefährdeten Pflanzenarten machen die Schutzwürdigkeit des Voslapper Grodens aus.
6. Die Unterschutzstellung ist keine fixe Idee von Vogelliebhabern, sondern folgt geltendem EU-Recht.
7. Das Projekt JadeWeserPort wird durch ein Naturschutzgebiet im südlichen Voslapper Groden keineswegs in Frage gestellt.

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