JadeKost
Nov 021992
 

Hart an der Grenze

Wilhelmshavens letzter Ansiedlungserfolg setzt schlimme Zeichen

(hk) Noch ist der Jubel der JadeKost-Richtfestgäste nicht verhallt, da drängen schon die ersten übelriechenden Gerüche aus den Hallen der Fisch- und Fleischbulettenfabrik des Horst Bartels. Gerüche, die für die Zukunft noch Schlimmes befürchten lassen.

In Wilhelmshaven herrscht seit der Vertragsunterzeichnung kurz vor Weihnachten 1991 „allseits Freude“ (WZ v. 21.12.91). Man freut sich nicht nur über die Ansiedlung, sondern auch über das Lob aus Unternehmermund für die unbürokratische Schnelligkeit der Verwaltung, die in nur 2 Monaten die Voraussetzungen für den Baubeginn geschaffen hatte. Bartels laut WZ vom 9.1.92.: „Etwas Vergleichbares hat es meines Wissens in der Bundesrepublik noch nicht gegeben.“ Natürlich freuten sich auch der niedersächsische Wirtschaftsminister Dr. Peter Fischer und sein Kollege Finanzminister Swieter.
Nicht zuletzt freute sich auch Horst Bartels, der immerhin die hübsche Summe von 15 Millionen an Fördermitteln aus dem Steuersäckl auf seinem Konto verbuchen kann. Wieviele Arbeitnehmer zukünftig in den Hallen der JadeKost Fisch- und Fleischgerichte herstellen und mund- und mikrowellengerecht verpacken werden, ist nicht so ganz klar. Mal sind es 200, mal 250; bei offiziellen Anlässen schaukelt man sich auch schon mal auf 400, 500 oder gar 1.000 (WZ 15.7.92) Arbeitsplätze hoch. Doch bevor jemand einen solchen Arbeitsplatz bekommt, muß er/sie logischerweise eine Bewerbung schreiben.

Der Bewerbungsbogen

Für Jadekost hat, dem Vernehmen nach, ein recht bekanntes Rechtsanwaltsbüro aus Wilhelmshavens südlichster Südstadt einen Bewerbungsbogen erarbeitet. Der Pressedienst der NGG dazu: „Die hohe Arbeitslosigkeit und die soziale Armut vieler Menschen in Wilhelmshaven ausnutzend, werden im Bewerbungsbogen Fragen gestellt, die hart an der Grenze der Sittenwidrigkeit bzw. rechtlich erst gar nicht zulässig sind. “
Helmut Klöpping von der Gewerkschaft Nahrung – Genuß – Gaststätten (NGG): „Der Anwalt sollte sein Lehrgeld zurückzahlen, weil er nicht die geringste Ahnung vom Arbeitsrecht und keine Kenntnis über die Rechtsprechung hat.“
Der Bogen beginnt mit der Erforschung der Familienverhältnisse: Ledig? Verheiratet? Verwitwet? Geschieden? Hat die Frau Arbeit – und wo arbeitet sie. Wie sieht’s mit Kindern aus? Sind die auch alle ehelich? Gibt es Stief- oder Adoptivkinder?
Weiter geht es mit den Maßen der BewerberInnen: Körpergröße? Gewicht? Schuhgröße? Konfektionsgröße? Alles Angaben, die Bartels wohl braucht, um schon mal die Arbeitskleidung in den Spind hängen zu können.
Der Gesundheitszustand ist natürlich für einen solchen Betrieb der Lebensmittelindustrie von großem Interesse: Sind Sie schwerbehindert oder haben Sie einen entsprechenden Antrag gestellt? Haben Sie eine Kur beantragt oder gar bewilligt bekommen?
Wann war die letzte Kur?

Nun geht’s auf Seite 2 des Bogens an die Abklärung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse:
  • a) Geld: Wieviel haben Sie zuletzt verdient? Leben Sie in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen, haben Sie außergewöhnliche finanzielle Verpflichtungen oder „Haben Sie Lohn-/Gehaltspfändungen bzw. haben Sie damit zu rechnen?“
  • b) Aktivitäten: Bekleiden Sie ein öffentliches Ehrenamt, dessen Ausübung während der Arbeitszeit in Frage kommt? Sind Sie Mitglied einer politischen Partei oder Gewerkschaft? Die Antwort auf die Frage, welcher politischen Richtung man nahesteht, wird natürlich auch gestellt – allerdings ist die Beantwortung freiwillig!
Haben Sie gedient?

Welchen Bereich bevorzugen Sie? Fisch oder Fleisch? Auch die Frage „Haben Sie gedient?“ wird nicht ausgelassen und muß beantwortet werden. Klar, daß in einer Bewerbung auch die Frage nach Vorstrafen und deren Art und nach schwebenden „Disziplinar-, Ermittlungs- oder Strafverfahren“ beantwortet werden muß.

Abschließend müssen die BewerberInnen vollends die Hosen/Röcke runterlassen:

Hiermit erlaube ich der Fa. JadeKost GmbH & Co. KG, über mich bei meinen letzten Arbeitgebern sowie bei den Krankenkassen, wo ich die letzten 3 Jahre versichert war, Auskunft einzuholen.
Gleichzeitig beauftrage ich die letzten 3 Arbeitgeber sowie die Krankenkassen, wahrheitsgetreu Auskunft zu erteilen, insbesondere auch Fehltage betreffend, und entbinde diese hiermit von ihrer Schweigepflicht.

Die Firma JadeKost hat sich mit diesem Fragebogen („falsche oder mangelhafte Angaben berechtigen zur sofortigen Entlassung“) die Möglichkeit in die Hand gegeben, sich einen speziell auf die Bartels’schen Vorstellungen zugeschnittenen Mitarbeiterstamm zu schaffen.
Die Kritik an diesem Bewerbungsbogen genannten Machwerk hat schon erste Wirkungen gezeigt: „Dann brauchen die BewerberInnen eben diese Fragen nicht zu beantworten“, hieß es aus JadeKost-Kreisen. Doch ist eine nicht beantwortete Frage nicht oftmals aufschlußreicher als eine beantwortete?

Der Vorsitzende des DGB Kreises, Manfred Klöpper, fordert alle betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf, in dieser Angelegenheit beim DGB in Wilhelmshaven, oder bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten, Verwaltungsstelle Oldenburg/ Ostfriesland, Namen und Adresse zu hinterlassen, damit entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen werden können.

gw111_jadeMannWie könnte er aussehen – der Bartels’sche Ideal-Arbeitnehmer?
178 cm groß, 82 kg , Schuhgöße 43, Konfektionsgöße 52 oder 94. Sein Körper und Geist ist von keinerlei Gebrechen gekennzeichnet – den Aufenthalt in Kurheimen kennt er nur vom Hörensagen. Er lebt in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen, hat nur noch 2.000,- DM für den letzten Wagen abzuzahlen. Der Bruttolohn beim letzten Arbeitgeber: 18.-DM pro Stunde.
Mit Politik und Gewerkschaften hat er absolut nichts am Hut. Die Ableistung seines Wehrdienstes liegt so weit zurück, daß kaum noch damit gerechnet werden muß, daß er zu Wehrübungen eingezogen wird. Er ist natürlich nicht vorbestraft.
Das Ergebnis der Prüfung bei den letzten Arbeitgebern und der Krankenkasse ergab, daß er in den letzten 5 Jahren insgesamt nur 2 Wochen gefehlt hat: Ein Arbeitsunfall (1 Woche) und eine Blinddarmentzündung (ebenfalls 1 Woche).

 

 

Kommentar:

Unternehmerdiktatur
Bartels Aktivitäten als Unternehmer unterscheiden sich in vielen Punkten von denen des „normalen“ Unternehmers. Als er Ende März 1990 den Wilhelmshavener Schlachthof übernahm, kündigte er erst einmal den Schlachtern, bzw. gab der im Schlachthof arbeitenden „Versand- und Lohnschlachter GmbH“ keine Aufträge mehr. Bartels Ziel: Jeder Schlachter ist sein eigener Unternehmer. Nach dieser Devise wird übrigens auch im Zerlegebetrieb Schortens gearbeitet. Vorteil für Bartels: Er spart den Arbeitgeberanteil der Sozialversicherung, braucht sich um die Abführung der Lohnsteuer keine Gedanken zu machen, nichts geht ans Arbeitsamt, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall? Urlaubsgeld? Weihnachtsgeld? Alles Fehlanzeige!
Die LagerarbeiterInnen sitzen abrufbereit vorm Fernseher und warten auf den Anruf, daß ihre Arbeitskraft für ein paar Stunden oder einige Tage benötigt wird. Bei der Schiffsentladung arbeiten die Leute so lange, bis sie 480.- DM verdient haben – dann ist es für den Monat erst einmal vorbei!? Ein solcher Hilfsarbeiter zum GEGENWIND: „Danach arbeite ich einfach unter einen anderen Namen weiter.“ Da es sich bei diesen Arbeitern zumeist um ausländische Kollegen handelt, kann man auch der Bartels-Gruppe keinen Vorwurf machen: Wer kann sich schon diese Namen und Gesichter merken?
Beinahe selbstverständlich ist es daß es in den Bartels’schen Unternehmungen keine Gewerkschaftsmitglieder und erst recht keinen Betriebsrat gibt. Alle Versuche der Gewerkschaften, in diesen Betrieben Fuß zu fassen, schlugen bisher fehl.
Der Bewerbungsbogen läßt vermuten, daß Bartels auch in Wilhelmshaven alles daran setzen wird, Gewerkschaften und Betriebsrat aus seinem Betrieb fernzuhalten.
Es bleibt zu hoffen, daß die Mitfinanzierer aus Hannover und die Stadtoberen mit der gleichen Energie, die sie in die Ansiedlung investierten, auch dafür streiten werden, daß solcherart Unternehmertum des vorigen Jahrhunderts hier keine Chance hat.

Hannes Klöpper

PS: Den BewerberInnen sei geraten, den Bogen so auszufüllen, daß ihnen daraus keine Nachteile für ihre Bewerbung entstehen – es ist mehr als unwahrscheinlich, daß sich die Krankenkassen und die örtlichen Unternehmen, für die Bartels auch ein „Exot“ ist, bereit erklären, mögliche Anfragen des Betriebes zu beantworten.
Desweiteren sollten sie zusehen, daß sie schnell Mitglied der Gewerkschaft werden – denn von außen kann keine Gewerkschaft die Interessen der ArbeiterInnen vertreten. Antwort auf die Frage im Bewerbungsbogen „Sind Sie Mitglied einer Partei oder Gewerkschaft?“: Nein!

 

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