Irak-Krieg 2
Mrz 052003
 

NO WAR!

32 Menschen aus unserer Region unternahmen eine Solidaritätsreise in den Irak

(noa) Vom 28. Januar bis 4. Februar reisten 32 Mitglieder der Weyher Initiative gegen den drohenden Krieg der USA gegen den Irak zur „Wiege der Menschheit“. Drei von ihnen, unter ihnen Nadine Belamon aus Wilhelmshaven, berichteten über diese Reise am 25.2. im Gemeindehaus Heppens.

Detlev Quintern gab einleitend einen kurzen Abriss der Geschichte Iraks, eines Landes, über das die meisten von uns wohl nicht viel mehr wissen, als dass George W. Bush entschlossen ist, es mit Krieg zu überziehen und dort anschließend eine US-amerikanische Verwaltung zu etablieren, um auf weitere Sicht eine Demokratie nach US-Vorbild einzurichten.
Irak wird zu Recht als die „Wiege der Menschheit“ bezeichnet, so Quintern. In dem Gebiet, das heute Irak heißt, fand etwa um 10000 vor unserer Zeitrechnung die Agrarrevolution statt, dort wurden damals Gerste und Hirse angebaut, was es den Menschen ermöglichte, dauerhaft sesshaft zu werden. Dort wurde die Schrift erfunden (es gibt Bildzeichen aus Ton aus dem 4. vorchristlichen Jahrtausend), die Töpferei, das Rad; und das Gebiet war schon sehr früh ein Ort der Gelehrsamkeit und Weisheit. Die Universität von Bagdad wurde 830 gegründet, besaß eine Sternwarte und lehrte schon damals Medizin, Jura, Philosophie. Der Rationalismus, der später ganz Europa beeinflusste, entstand dort.
Irak ist nicht nur der „Schurkenstaat“, sondern ein multikulturelles und multikonfessionelles Land. Vier der fünf Weltreligionen sind dort (unterschiedlich zahlreich) vertreten, und obwohl der Islam die Staatsreligion ist, sind auch alle anderen Glaubensgemeinschaften politisch repräsentiert. Kurden, Turkmenen, Araber, Perser und Schwarze leben im Irak. Unsere Medien betonen das Trennende zwischen den verschiedenen Volksgruppen, aber nach dem Eindruck der Solidaritätsreisenden ist innerhalb des Iraks das Verbindende wichtiger.
Es gab während der ganzen Jahrtausende immer Versuche, Fremdherrschaften zu etablieren, doch anders als im Gilgamesh-Epos, wo ein Ringkampf zweier Helden entschied, wer die Herrschaft übernahm, wird bei dem geplanten Krieg nur verbrannte Erde bleiben – er wird sich gegen die Menschen und gegen die Infrastruktur richten. Seit 1991 schon droht das Erbe der Menschheit zerstört zu werden. Nach dem Angriff Iraks auf Kuwait und dem Unternehmen „Desert Storm“ verhängte die UNO ein Handelsembargo gegen den Irak, das die Bevölkerung weit mehr trifft als Saddam Hussein, das zu einer totalen Verelendung der Menschen geführt hat und sie auszurotten droht.
250 Seiten lang ist die Liste der Güter, die nicht in den Irak geliefert werden dürfen, und die 32 Reisenden vom letzten Monat durften zahlreiche Spenden, die ihnen für den Irak zugegangen waren, deshalb nicht mitnehmen. Seit dem „Desert Storm“ sind Teile des Landes von uranhaltiger Munition verseucht (320 t davon wurden in dieser kurzen Zeit dort verschossen), die Krebsrate stieg um 600 bis 1.000 %, und Medikamente, die das Leid der Menschen ein wenig lindern könnten, dürfen nicht ins Land gebracht werden. Das Embargo, so schloss Quintern seinen Vortrag, zielt auf die Vernichtung einer ganzen Generation – so sind z.B. Brutkästen davon betroffen.
Die Dias, die Harm Dunkhase im Anschluss zeigte und erläuterte, dokumentieren dies eindrucksvoll: In den Kinderkrankenhäusern, die die Gruppe besucht hat, ersetzen Mütter das Pflegepersonal. Die wenigen vorhandenen medizinischen Geräte sind alt. Viele der Kinder in den Krankenhäusern, für die Spielzeug mitgebracht worden war, wirkten durch Krankheit und Schmerzen apathisch. Die Leukämierate bei Kindern hat sich seit 1991 verzehnfacht, aber wirksame medizinische Hilfe ist nicht möglich. Irak hat gegenwärtig die weltweit höchste Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren.
Dias aus Bagdad, aus Kerbala und aus Basra zeigen ein Land mit vielen Kulturschätzen. Prachtvolle Moscheen und andere Gebäude zeugen von damals wie heute großer Baukunst. An der Universität von Basra stehen 1.400 Lehrende für 20.000 Studierende zur Verfügung (ein Zahlenverhältnis, von dem deutsche Studierende nur träumen können); der Frauenanteil beträgt (selbst in den Naturwissenschaften) 50 % – aber die Fachliteratur ist auf dem Stand von 1991, und Geräte für Experimente sind, wenn überhaupt vorhanden, hoffnungslos veraltet.
Der Irak, so Dunkhase, war bis 1991 ein reiches Land, aber der persönliche Reichtum, über den Familien früher verfügten, z.B. Schmuck, der von Generation zu Generation weitergegeben worden war, ist mittlerweile aufgebraucht. Lebensmittel bekommt die Bevölkerung über ein staatliches Lebensmittelverteilungssystem; in den Geschäften ist vom ehemaligen Reichtum des Landes nichts mehr zu sehen. Trotz der großen Armut erlebten die ReiseteilnehmerInnen immer wieder die bekannte orientalische Gastfreundschaft und Großzügigkeit: In einer Bäckerei, die er besichtigte, schenkte man Dunkhase ein Brot, ein kleiner Junge schenkte ihm ein Bonbon, der Tee, den er auf dem Platz zwischen der Hassan- und der Hussein-Moschee bestellte, wurde ihm von einem Passanten bezahlt.
Das 1996 aufgelegte Programm „Oil for food“ ermöglicht den Tausch von irakischem Öl gegen Güter des täglichen Bedarfs. Geräte zur Reinigung von Trinkwasser können durch dieses Programm ins Land gebracht werden, doch da es kein Geld gibt, werden diese Geräte nicht gewartet und sind binnen kurzer Zeit kaputt. So gibt es im Irak jetzt wieder Krankheiten, die vor 1991 ausgerottet waren, und seither sind 1,7 Millionen Menschen, darunter 700.000 Kinder, ums Leben gekommen.
Die Solidaritätsreisenden hatten während ihres Aufenthalts im Irak die Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem stellvertretenden irakischen Ministerpräsidenten Tarik Aziz, der ihnen sagte, dass der Irak Ölreserven für 50 Jahre besitzt – Ölreserven, die gegenwärtig noch frei von US-amerikanischem Einfluss sind. Die Frage nach seiner Einschätzung der Friedensbewegung in den USA, die ja die größte seit dem Vietnam-Krieg ist, beantwortete Tarik Aziz mit dem Hinweis darauf, dass nicht die Friedensbewegung die USA aus Vietnam vertrieben hat, sondern die Vietnamesen.
Es blieb nach den Vorträgen der drei Irak-Reisenden nur wenig Zeit für eine Diskussion. Die meisten Redebeiträge zeugten von Betroffenheit, Mitgefühl mit dem irakischen Volk und dem Wunsch, den drohenden Krieg abwenden zu können. Doch auch eine andere Stimme erhob sich: Ein junger Iraker befürwortete einen US-amerikanischen Angriff auf Irak – wenn auch Menschen dabei sterben müssten, so würde es denen, die übrig bleiben, doch besser gehen. Pastor Warntjen, der den Raum für diese Veranstaltung besorgt hatte, schaffte es, den hitzigen Dialog, der sich zwischen diesem jungen Mann und einem anderen Herrn mit ebenso südländischem Temperament entspann, zu unterbrechen und die Veranstaltung zu einem ruhigen Abschluss zu führen.

Kommentar:Saddams System
Natürlich ist das Leid im Irak groß. Doch die Schuld dafür dem UN-Embargo zu geben, verdreht Ursache und Wirkung. Es waren keine Raketen der Vereinten Nationen, die in Israel einschlugen. Nicht die Vereinten Nationen beschlossen, dass am irakischen Wesen die arabischen Länder genesen sollten. Die Ursache für das Embargo ist im Verhalten des Herrn Saddam und seiner Gefolgsleute zu finden.
Wenn heute Friedensbewegte versuchen, die Politik dieser Leute zu verharmlosen, machen sie sich mitschuldig am Saddamschen Vernichtungskrieg gegen jegliche Opposition im Irak.
Der Anfal-Kampagne (1988) fielen nach kurdischen Angaben 182.000 Menschen zum Opfer. Zwischen 7.000 und 10.000 Mitglieder der Kommunistischen Partei (ICP) wurden in den siebziger Jahren hingerichtet, 1990 erlitten 1.000 Kuwaitis dieses Schicksal, 1988 wurden 1.000 ägyptische Arbeiter ermordet. Unter Saddam wurden 300.000 Kurden deportiert, 25.000 Yesiden und 30.000 Khanakin-Kurden wurden in den Iran vertrieben. Während des Iran-Irak-Krieges wurden 10.000 Assyrer getötet und deren Dörfer eingeebnet. Exekutionen von Gefangenen stehen auf der Tagesordnung – zwischen Mai 1997 und Ende 2000 sind mehr als 3.000 solcher Fälle bekannt geworden. (Alle Daten stammen von amnesty international, aus UN-Berichten und von Human Rights Watch). Diese Liste ließe sich noch über Seiten fortsetzen: Giftgasangriffe gegen Kurden, Massenvertreibungen, Hinrichtungen – das ist die Politik des Irak unter Saddam Hussein.
Es ist verständlich, dass die Irak-Reisenden beeindruckt von der Gastfreundschaft der irakischen Menschen waren, dass sie entsetzt über die Zustände in den Krankenhäusern waren, dass sie von der Schönheit des Landes und von der Kulturgeschichte beeindruckt waren – aber darf man sich dadurch von den Verbrechen des irakischen Regimes ablenken lassen?
Eines ist gewiss: Ohne Embargo hätte Saddam seine Aufrüstung mit biologischen und anderen Massenvernichtungswaffen vorangetrieben und der Staat Israel wäre wohl schon von der Landkarte verschwunden!
Das soll keineswegs eine Berechtigung für die amerikanischen Pläne zur Beseitigung des Regimes in Bagdad sein – nur darf man in seiner Ablehnung dieses Krieges nicht vergessen, was für Leute im Irak an der Macht sind. Dabei ist es müßig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob Saddam oder Bush der größere Schurke ist – wichtig ist nur, alles dafür zu tun, diesen Krieg zu verhindern, ohne sich dabei so zu verbiegen, dass man Saddam zum Opfer macht.
Geopfert werden, wie in allen Kriegen, nur Menschen. Beteiligte und Unbeteiligte, Schuldige und Unschuldige. Die Reisegruppe hat auf ihrer Reise durch den Irak die Menschen des Irak kennen gelernt und berichtet jetzt auf Veranstaltungen darüber, sie haben auch die Unausgegorenheit des Embargos kennen gelernt. Das ist gut – gut für die Menschen im Irak, weil sie merken, dass die Weltöffentlichkeit von ihren Problemen Kenntnis nimmt, und gut für uns, weil es unseren Blick dafür schärft, wie Politik gemacht werden muss.
Gut ist auch, dass die kriegstreibenden Staaten (USA, Großbritannien, Spanien…) durch die Anti-Irak-Krieg-Bewegungen in ihren eigenen Ländern immer weiter isoliert werden, dass sie international ins argumentative Nichts fallen. Die Versuche der USA, wirtschaftlich abhängige Länder unter Druck zu setzen, zeugen von der internationalen Isolierung der Achse des Krieges. Doch die War-Lords können sich auch sicher sein, dass nach einem Angriff auf den Irak die Achse der ‚Wiesel’ sich mit Vehemenz an der Aufteilung des Kuchens beteiligen wird.
Es gibt viel zu diskutieren und viel zu tun: Jeden Mittwoch ab 20.00 Uhr im Gewerkschaftshaus!

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