Igelrettung vor dem Aus?
Aug 112020
 

Ein Klient der Igelstation Voslapp. Foto: Imke Sindern

Ein Klient der Igelstation Voslapp. Foto: Imke Sindern

Seit 10 Jahren gibt es in Voslapp und in Accum zwei ehrenamtlich tätige Igelstationen. Jedes Jahr werden dort bis zu 800 hilfebedürftige Igel und auch weitere Wildtiere aus der ganzen Region aufgenommen und aufgepäppelt. Am Samstag wurde bekannt, dass die Zukunft der Igelstationen infrage steht, weil der Tierschutzverein Wilhelmshaven und Umgebung die Zusammenarbeit aufgekündigt habe.

„Die seit Anfang August amtierende Leiterin des Tierheims Wilhelmshaven hat erklärt, dass Igel nicht durch das Tierheim Wilhelmshaven aufgenommen werden und eine ggf. notwendige tiermedizinische Versorgung, anders als bisher, nicht durch den Tierschutzverein Wilhelmshaven und Umgebung getragen wird“, gab Imke Sindern (Igelstation Voslapp) auf Facebook bekannt. Die Resonanz war groß – von empörten Ankündigungen, aus dem Tierschutzverein auszutreten, bis hin zu Vorschlägen, die Igelrettung durch Spenden oder eine Stiftung finanziell abzusichern.

Das zeigt, wie groß die Empathie für Igel und ihre Retterinnen ist, trifft aber nicht den Kern des Problems. Der Tierschutzverein bzw. der neuen Tierärztin ging es nicht um die Kosten, sondern um rechtliche Fragen, die bislang in der Kooperation mit den Igelstationen kein Thema waren: Dürfen solche ehrenamtlichen Tierschützer:innen überhaupt Tiere aufnehmen, die dem Naturschutz- bzw. Jagdrecht unterliegen? Daraus ergibt sich die Frage: Warum haben sie sich bis jetzt überhaupt dieser Aufgabe angenommen?

Bis zum Jahr 2010 landeten hilflos aufgefundene Igel im Tierheim Wilhelmshaven. Die Praxis zeigte jedoch, dass das Personal sich neben der arbeitsintensiven Betreuung von Hunden, Katzen und Klein-Haustieren der fachlich besonders anspruchsvollen Igelpflege nicht ausreichend widmen konnte. So wurde Imke Sindern angesprochen, die bis dahin schon regelmäßig eine Handvoll Igel aufgepäppelt hatte. Sie stellte sich der Aufgabe, mit tatkräftiger Unterstützung von Familie und Freunden wurde ihr Voslapper Garten inklusive Nebengebäuden zu einer artgerecht gestalteten Igel-Reha umgestaltet. Tausende von Igeln sind seitdem, ohne stressigen Umweg übers Tierheim, direkt bei ihr in guten Händen gelandet. Parallel dazu entstand die Igelstation der Familie Karolyi in Accum. Beide werden durch ein großes ehrenamtliches Netzwerk unterstützt. Die Wildtiere bleiben nur so lang wie nötig in direkter menschlicher Obhut, danach werden sie möglichst am Fundort wieder ausgewildert und dort oftmals von ihren Findern „nachbetreut“. Laut Bundesnaturschutzgesetz entspricht dies den Bedingungen, unter denen ein hilfebedürftiger Igel (streng geschützte Art) in Obhut genommen werden darf.

Die meisten typischen Erkrankungen, wie Parasitenbefall oder Durchfall, können die fachlich versierten Igelpflegerinnen selbst behandeln. Nur bei bösen Verletzungen, für deren Diagnose und Behandlung die Tiere sediert bzw. geröntgt werden müssen, wird tierärztliche Unterstützung beansprucht. Das lief all die Jahre Hand in Hand mit einer Wilhelmshavener Tierarztpraxis. Die Igel konnten schnellstmöglich dort „eingeliefert“ werden und neben dem sonstigen Praxisbetrieb fand sich immer Zeit für die stachligen Patienten.

Auf dem Weg in den Ruhestand hat die betreuende Tierärztin sich nun aus der Sonderaufgabe „Igel“ zurückgezogen. Die neue Leiterin des Tierheimes, selbst Tierärztin, hat für das zukünftige Procedere zunächst einmal die rechtlichen Rahmenbedingungen hinterfragt. Das führte dazu, dass sich bei den Igelstationen in den letzten Tagen mehrere Igel „stauten“, die dringend tierärztlicher Behandlung bedurften. Angesichts der Notlage sprang ausnahmsweise die Tierklinik Oldenburg ein, trotzdem eskalierte die Situation so, dass die Igelstationen sich nicht anders zu helfen wussten, als ihr Problem auf facebook öffentlich zu machen. Was den eingangs beschriebenen Sturm von Entrüstung, Spekulationen und übermotivierten Hilfsangeboten nach sich zog. Vorstand und Leitung des Tierschutzvereins waren not amused.

Im Laufe des Sonntags und Montags wurde die Auseinandersetzung schon lösungsorienter. Die zweite Vorsitzende des Vereins (das ist die frühere betreuende Tierärztin) schlug vor, alle Beteiligten an einen Tisch zu holen. Das gab Imke Sindern auch auf Facebook bekannt, trotzdem gelang es nur teilweise, den shitstorm der Igelfans wieder einzufangen.

Im Interesse der Igel und anderer Wildtiere, denen im Notfall geholfen werden muss, wäre es wünschenswert, wenn die Gemüter sich erstmal beruhigen und das Ergebnis eines Gespräches abwarten, das schon viel früher hätte geführt werden müssen, aber besser spät als nie. Nach den uns vorliegenden Informationen klingt es eher nach einem Kommunikationsproblem und weniger nach einem unlösbaren fachlichen Dissenz. Also warten wir das Gespräch mal ab und berichten dann weiter.

 

 

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