Hüttendorfräumung
Feb 071995
 

(K)eine zündende Idee

Die Gruppe „Infoladen“ solidarisiert sich mit dem Brandanschlag auf Lonecke

(ub) Mit einem Brandanschlag auf die Mercedes-Benz-Niederlassung Lonecke in der Nacht vom 11. auf den 12.1.95 haben militante Gegner der geplanten Mercedes-Teststrecke in Papenburg auf die Räumung des Hüttendorfes „Anatopia“ reagiert. Die „Infoladengruppe“ ließ uns eine Erklärung zu dieser Aktion zukommen, die wir in Auszügen dokumentieren.

Der Protest der Teststreckengegner richtet sich gegen die Entscheidung der damaligen rot-grünen Landesregierung Niedersachsens, dem Auto- und Rüstungskonzern Mercedes Benz die Genehmigung für den Bau einer Autoteststrecke auf einem ca. 900 ha großen Gebiet mitten im Papenburger Hochmoor zu erteilen. Mercedes Benz braucht die Teststrecke angeblich, um ihre Fahrzeuge in puncto Sicherheit weiterentwickeln zu können. Für die Zerstörung der Natur im Moor sind mit der Landesregierung „Ausgleichsmaßnahmen“ vereinbart. Außerdem verspricht Mercedes Benz 300 Arbeitsplätze in dem von Arbeitslosigkeit besonders gebeutelten Ostfriesland. Die Region, in der die Teststrecke gebaut werden soll, gilt als ein aus ökologischer Sicht besonders schützenswerter Raum. Derzeit leben und wachsen dort fast 50 seltene und von der Ausrottung bedrohte Tier- und Pflanzenarten.

Der Widerstand gegen die Pläne von Mercedes hat eine langjährige Tradition. Neben den ökologischen Bedenken gibt es Befürchtungen, daß die Teststrecke in Krisensituationen militärisch, als Landebahn für Flugzeuge, genutzt werden soll. Als Mercedes Benz mit der niedersächsischen Landesregierung trotz des Protestes der Umweltschützer handelseinig wird, kommt es zur Besetzung des Geländes, und das Hüttendorf „Anatopia“ wird im Juli 1991 von Gegnern der Mercedes- Teststrecke im Papenburger Moor gegründet.

Im November 1994 – dreieinhalb Jahre nach der Errichtung des Hüttendorfes „Anatopia“ – werden die Besetzer mit einem Schreiben von der Bezirksregierung aufgefordert, das besetzte Gelände bis zum 11.11.94 zu verlassen. Am 7. Januar 1995 wird „Anatopia“ schließlich von der Polizei geräumt. Unmittelbar nach der Räumung kommt es im gesamten Bundesgebiet zu Protestaktionen schwerpunktmäßig gegen Mercedes-Niederlassungen. Teststreckengegner besetzen vorübergehend Mercedes-Filialen in Lübeck und Bielefeld. In Berlin, Hamburg, Bremen, Oldenburg und Wilhelmshaven zerstören Brandsätze einige Luxuslimousinen. Fünf Tage nach dem Brandanschlag auf die Mercedes- Lonecke-Filiale meldet die örtliche Presse, daß „drei Tatverdächtige“, die „nach Angaben der Ermittlungsbehörde der linksextremen autonomen Szene Wilhelmshaven“ angehören (WZ vom 17.1.95) unmittelbar nach dem Anschlag verhaftet wurden.

Anfang Februar 95 erhält der GEGENWIND ein Schreiben der Wilhelmshavener „Infoladengruppe“, in dem diese zum Brandanschlag Stellung bezieht.

„Am 07.01. 95 ist das Huttendorf Anatopia samt BewohnerInnen, die den Bauplatz für die Mercedes-Teststrecke im Papenburger Moor besetzt hatten, geräumt worden. Wir (Infoladengruppe) wollen hier die Möglichkeit nutzen und die BürgerInnen dieser Region über die Gründe und Motivationen der Besetzung des Geländes informieren. Es stellt sich in unserer Zeit immer öfter die Frage, wie wir auf diesen Wahnsinn überhaupt noch reagieren sollen. Die Zerstörung unserer Erde und die gleichzeitige Ökoheuchelei ist das; womit wir seit Kindesbeinen an aufwachsen. Begriffe wie Umweltzerstörung, Ausbeutung der Erde etc. sind längst AlltagsvokabeIn, die die meisten wohl kaum noch sonderlich bewegen. Selbst wenn sich noch ein letzter Rest Verzweiflung und Wut regt, erliegt frau/mann dann der drückenden Ohnmacht … Seit Juni 91 gab es im Papenburger Moor … das Hüttendorf Anatopia. Dabei ging es nicht nur um Widerstand und Protest, sondern auch um den Versuch, respektvoll mit Mensch, Tier und Natur umzugehen. Die BewohnerInnen des Hüttendorfes Anatopia wollten aber verhindern, daß das Papenburger Moor der Mercedes-Teststrecke geopfert wird … Aufgrund der Tatsache, daß das Kapital mal wieder sämtliche ökologischen Bedenken zuschütten kann …, haben Leute ihren Frust und ihre Wut über die bedenkenlose Umweltzerstörung … in einer beispielhaften Aktion zum Ausdruck gebracht: In der Nacht vom 11. auf den 12.01.95 wurde in der Wilhelmshavener Mercedes Verkaufsniederlassung Lonecke ein Mercedes in Brand gesteckt. Wir solidarisieren uns mit dieser Aktion und hoffen auf rege Beteiligung bei kommenden Solidaritätsveranstaltungen …

Infoladengruppe

Kommentar:

Mit einer Erklärung an „die BürgerInnen dieser Region“ wollen die Autonomen nicht nur über den Protest gegen die Mercedes-Teststrecke aufklären, sondern zugleich Verständnis für den Brandanschlag auf eine Mercedes-Niederlassung erwecken.
Diese ‚beispielhafte Aktion’ ist in der linken und in der autonomen Szene heftig umstritten. Blinder Aktionismus, wie jetzt der – dilettantisch durchgeführte -„Brandanschlag“ mag einigen helfen, „ihren Frust und ihre Wut“ loszuwerden. Wenn Militanz und martialisches Auftreten jedoch – wie zuletzt auch beim antifaschistischem Aktionstag, als einige der Autonomen meinten, selbst eine genehmigte Flugblattverteilung in kämpferischem Vermummungsoutfit durchführen zu müssen – zum Selbstzweck verkommt, quasi zum Ziel der Bewegung wird, schadet das der Widerstandsbewegung insgesamt und bringt einige, die meinen, in der jetzigen gesellschaftlichen Situation dem „Kapital“ durch das Abfackeln einer Luxuslimousine Schaden zufügen zu können, in den Knast. ….

Uwe Brams

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