Vorwärts nach gestern
Eine Binnenwasserstraße über das Hohe-Weg-Watt kann nicht akzeptiert werden
(hk) Um die Zukunft des Naturschutzes in Niedersachsen ist es nicht besonders gut bestellt. Die drei Schlagworte Europipe, Emsvertiefung und Mercedes-Teststrecke zeigen, wohin der Naturschutz in Niedersachsen driftet. Ein neues Schlagwort wird sich wohl bald dazugesellen: Hohe-Weg-Watt.
Die CDU-Landtagskandidatin Inse-Marie Ortgies plapperte aus, was nach dem Willen von Hafenwirtschaft und Politik noch nicht ausgeplappert werden sollte: Die geplante Anbindung der Jade über das Hohe-Weg-Watt an die Weser und damit ans Binnenwasserstraßennetz. Diese quer durch die Ruhezone des Nationalparks Wattenmeer geplante Anbindung bedeutet einen riesigen Schritt zurück, zurück in eine Zeit, in der Natur und Umwelt als industriefeindlicher Luxus angesehen wurden.
Hauptmotor und -nutznießer dieser Jade-/Weser-Anbindung wäre die Beta-Raffinerie. Das Vorhaben von Beta, ihre Produkte durch eine Pipeline Richtung Sachsen/ Sachsen-Anhalt zu pumpen, hat sich offenbar zerschlagen. Das vom Beta-Boß van Weelden propagierte Shuttle-Projekt (ein Schiff, auf dem 8 Binnenschiffe Platz finden, die dann auf dem Shuttle z.B. Richtung Weser transportiert werden) ist sehr teuer und kurzfristig nicht realisierbar. Von den jährlich 8 Millionen Tonnen Raffinerieprodukten der Beta bleibt nur eine Million im Binnenland – der Rest wird exportiert. Um auf dem Binnenmarkt den Absatz zu erhöhen, sucht Beta weiter nach einem kostengünstigen Transportweg. Der scheint jetzt gefunden: Die Seegrenze für die Binnenschiffahrt im Jade/Wesermündungsbereich wird nach Norden verschoben; das Wattfahrwasser über das Hohe-Weg-Watt wird zur Binnenwasserstraße umgewidmet (Siehe Karte).
Zielprojektion: das Prielsystem wird schrittweise den Schiffsgrößen der Binnenschiffahrt angepaßt – bis hin zum zukünftigen europäischen Standardbinnenschiff mit 3 Meter Tiefgang. Nach erfolgter Umwidmung des besagten Wattfahrwassers (ohne Ausbaggerungen) können Binnenschiffe bis maximal 1,4 m Tauchtiefe nur während der kurzen Hochwasserphase das Hohe-Weg-Watt überqueren, denn die ca. 4 Kilometer breite Wasserscheide zwischen Jade und Weser wird nur zeitweise mit Wasser überspült und fällt bei Ebbe völlig trocken.
Für Beta wäre das trotzdem ein gelungener Einstieg: An einigen Stunden des Tages könnten Binnenschiffe – mit ca. 500 Tonnen Raffinerieprodukten beladen -quer durch den Nationalpark Wattenmeer schippern und über Flüsse und Kanäle einen Hafen im Binnenland ansteuern. Mit zunehmendem Binnenschiffsverkehr zwischen Jade und Weser steigt natürlich auch die Gefahr eines Unfalls. Angesichts der internationalen Bedeutung des Hohe-Weg-Watts (siehe Kasten) für den Naturschutz ein nicht zu akzeptierendes Risiko! Schon vor der Ausbaggerung, als logischem zweiten Schritt nach der Einrichtung einer Binnenwasserstraße, wird es zu einschneidenden Veränderungen des Gebietes durch die Spülkraft des Schraubenwassers der das Watt durchquerenden Binnenschiffe kommen. Diese fräsen eine tiefere Fahrrinne in den Wattenboden, durch die dann schon bald mit 700 Tonnen Benzin oder Diesel beladene Schiffe ihren Weg zur Weser finden können. Die ökologischen Folgen sind absehbar, ist das Hohe-Weg-Watt doch gerade wegen seiner Ungestörtheit zu einem so wichtigen Bereich für die Seehunde und -vögel geworden. Allein mit der Umwidmung des Gebietes kann sich die Beta-Raffinerie nicht sehr lange zufrieden geben. Aus wirtschaftlichen Gründen wird Beta mittelfristig bestrebt sein, größere Schiffe durch die Ruhezone des Nationalparks zu schicken. Mit welcher Taktik Beta dann die „unumgängliche“ Ausbaggerung des Wattfahrwassers durchsetzen wird, hat die Meyer-Werft in Papenburg vorexerziert, als es um die Vertiefung der Ems ging. Beta-Boß van Weelden spricht bereits jetzt von der Ausbaggerung der Fahrrinne – sein Ziel dürfte sein, die Fahrrinne so einzurichten, daß das bereits oben erwähnte Euro-Schiff die Raffinerieprodukte via Weser ins Binnenland transportieren kann.
Man darf gespannt sein, wie diese Auseinandersetzung weitergeht. Wenn es dazu kommt, daß Binnenschiffe mit ihrer für das Ökosystem Wattenmeer todbringenden Fracht quer durch die Ruhezone des Nationalparks schippern dürfen, wer will dann noch glaubwürdig das Eindringen der Sportschiffahrt in die letzten Winkel der Ruhezonen des Nationalparks verhindern?
Das Hohe-Weg-Watt
Das ausgedehnte Wattgebiet des Hohen Weges erstreckt sich zwischen Jade und Wesermündung nördlich der Butjadinger Küste bis zur Vogelinsel Mellum. Das Watt ist durch weitverzweigte Priele und tiefere Rinnen stark zergliedert. Überwiegend besteht der Hohe Weg aus Sandwatt mit nur klein flächig eingestreuten Schlick- und Mischwatten. Das Hohe-Weg-Watt ist reich an Bodenlebewesen wie z.B. Pierwurm, Wattringelwurm und auch Herzmuschel.
Sie bilden eine breite Nahrungsgrundlage für Vögel und Fische. Fische wiederum stellen die Hauptnahrung der Seehunde dar. Der Hohe Weg ist für die Seehunde ein sehr wichtiger Bereich zur Aufzucht ihrer Jungen. Sie suchen bevorzugt die hochliegenden Ränder von Prielen und Rinnen als Ruhebänke, Wurf- und Säugeplätze auf. Weiterhin ist dieses Wattgebiet Lebensraum für verschiedene Krebsarten und Kinderstube für Plattfische (Scholle, Seezunge). Das Hohe-Weg-Watt besitzt hohe Bedeutung als Nahrungsgebiet u.a. für Seeschwalben, Kormorane, Knutts, Große Brachvögel sowie verschiedene Möwenarten. Im Sommer wechseln hier u.a. Tausende von Eiderenten und Brandgänsen ihr Federkleid. Wegen des außergewöhnlichen Nahrungsreichtums und seiner Ungestörtheit ist dieser Bereich des Wattenmeeres als Mauserplatz besonders gut geeignet. Zusammen mit der Insel Mellum, dem Solthörner Watt, Jadebusen und Langlütjensand gehört das Hohe-Weg-Watt zu den Feuchtgebieten internationaler Bedeutung, die entsprechend der Ramsar-Konvention (1971) festgelegt wurden. Da hier die strengsten Schutzbestimmungen des Nationalparks (Ruhezone) gelten, ist das Betreten ganzjährig untersagt.
Quelle: Informationsblatt der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer
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