Kommentar: Augen zu und durch
Bloß nicht zuhören, wenn andere eine andere Meinung vertreten!
(noa) Die Stadt Wilhelmshaven ist eigentlich nicht gerade für großes Tempo bekannt, wenn es um Entscheidungen geht. Einige Betriebe haben in den letzten Jahren ihren Standort und ihre Arbeitsplätze in den benachbarten Landkreis Friesland verlegt, weil ihnen die Genehmigungsverfahren zu lang dauerten (Bio-Pin, Reichelt). Aber wir können auch anders.
Der Beschluss zur Schließung der Helene-Lange-Schule wurde mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit gefasst.
- 6. April: Die Verwaltung teilt mit, dass sie die Helene-Lange-Schule schließen will.
- 13. April: Die Verwaltung benachrichtigt per Fax den Stadtelternrat über die beabsichtigte Schließung und fordert eine Stellungnahme bis zum 8. Mai an. (In dieser Zeitspanne liegen zwei Wochen Osterferien!)
- 4. Mai: Der Stadtelternrat spricht sich gegen die Schließung der Schule aus.
- 11. Mai: Der Schulausschuss tagt – bezeichnenderweise in der Freiherr-vom-Stein-Schule, die die Helene-Lange-SchülerInnen aufnehmen wird – und votiert gegen die Auflösung der HLS.
- 17. Mai: Der Rat beschließt die Auflösung der 125 Jahre alten Schule und ist zuversichtlich, dass die Bezirksregierung zu- stimmen wird.
Die Vorgänge sind in der „WZ“ ausführlich berichtet und kommentiert worden. Auch die beiden entgegengesetzten Positionen wurden genau dargelegt und sollen hier nur noch einmal kurz zusammengefasst werden.
Die Rats-Mehrheitsgruppe, die sich nun durchgesetzt hat, bezieht sich auf die sinkenden Einwohnerzahlen, die die Mehrzügigkeit der HLS gefährden. Wenn es nur noch eine Klasse jeder Jahrgangsstufe gibt, können bestimmte Unterrichtsangebote nicht mehr vorgehalten werden; insofern wäre eine „Instandsetzung der Helene-Lange-Schule…nicht vertretbar“, wie SPD-Unterbezirksvorsitzender Norbert Schmidt vor der Arbeitsgemeinschaft sozial- demokratischer Frauen sagte („WZ“ vom 10. Mai).
Die SchülerInnen und Eltern der HLS wurden in der kurzen Auseinandersetzung unterstützt von der CDU. Diese Seite argumentierte mit dem pädagogischen Sinn kleiner Schulen, mit der guten Integration von SchülerInnen unterschiedlicher Nationalität (so betonte in der „WZ“ vom 5. Mai der Schülersprecher den „multikulturellen Charakter der Schule“) und der Erwartung, dass die Schülerzahlen nicht sinken werden, da dem Wegzug vieler Familien aus der Südstadt die Neubaugebiete im Einzugsbereich der HLS gegenüberstehen.
In diesen wenigen Wochen, in denen in großer Eile eine weitreichende Entscheidung gegen großen Widerstand durchgesetzt wurde, ist wieder einmal deutlich geworden, wie in dieser Stadt Politik gemacht wird. Man beschließt etwas, wappnet sich moralisch gegen jedes Argument, veranstaltet im Ausschuss und im Rat einen rituellen Schlagabtausch – und macht.
Es stand von Anfang an fest, dass die Entscheidung so ausfallen würde, wie die Verwaltung es wünschte. Die Mehrheitsgruppe (SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Focke Hofmann) hatte die entsprechenden Argumente zusammengetragen und vertrat unbeirrbar ihre Position. Die „Gegenseite“ hatte keine Chance, mit ihren Argumenten die Köpfe der Schließungs-Befürworter zu erreichen.
Dabei störte es die Mehrheitsgruppe auch nicht, in diesem Zusammenhang Entwicklungen zu behaupten, denen die Stadt in anderen Zusammenhängen heftig widerspricht. Die Helene-Lange-Schule ist, so hieß es, sowieso von Schließung bedroht, denn die Einwohnerzahl ist rückläufig. Aber: Die Prognose des Niedersächsischen Landesamtes für Statistik, derzufolge Wilhelmshaven bis 2016 auf ca. 70.000 Einwohner schrumpfen wird, „bezweifelt“ die Stadt (vgl. Artikel „Down Town“ in dieser GEGENWIND-Ausgabe).
Die „Schließer“ argumentierten „pädagogisch“ („Als Folge davon könnten pädagogische Konzepte, Gruppen- und Arbeitsgemeinschaften nicht mehr durchgeführt werden“, Schmidt laut „WZ“ vom 10. Mai). Die pädagogischen Argumente der Gegenseite blieben unberücksichtigt. Dass in einer kleineren Schule wichtige Erfahrungen gesammelt werden können, die ein großes System oft verhindert, dass das vielleicht wichtiger sein könnte als eine Wahlmöglichkeit zwischen zwei Fächern, dass zum pädagogischen Konzept einer Schule auch ihre Tradition und ihre Verwurzelung in einem alten Stadtteil gehören kann, diese Gedanken ließen die Mehrheitler gar nicht in ihre Köpfe hinein.
Die Position der Stadtverwaltung plus Mehrheitsgruppe stand unverrückbar fest – aus finanziellen Gründen. Das alte HLS-Gebäude muss dringend renoviert werden, egal ob es künftig zu Unterrichts- oder zu anderen Zwecken genutzt wird. Nun löst man erst mal schnell die Schule auf und entgeht so der unmittelbaren Notwendigkeit, das Gebäude herzurichten. Dann soll es verkauft werden.
Mit dem „Salpetermuseum“ in der Weserstraße hatten wir Glück. Eine Bundesbehörde übernahm den Bau, sanierte ihn und rettete so ein schönes altes Gebäude vor der Abrissbirne. Ob wir bei der Helene-Lange-Schule wieder Glück haben werden, wird sich zeigen.
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