Hartz IV und Recht
Dez 172008
 

Kosten der Unterkunft

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Es gibt eine neue Entwicklung in Sachen Kosten der Unterkunft

(noa) Am 11. Dezember fand endlich die Berufungsverhandlung vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen statt, in der es um die Kosten der Unterkunft für Arbeitslosengeld II-EmpfängerInnen in Wilhelmshaven ging

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Was bisher geschah

Seit Ende 2004 ist das Thema KdU Dauerbrenner im Gegenwind. Schon vor dem Inkrafttreten von Hartz IV berichteten wir von Briefen der Arbeits-Agentur an Arbeitslosenhilfe-EmpfängerInnen, in denen diese zum Umziehen aufgefordert wurden, und meldeten, dass WZ die Stadt die „angemessenen“ KdU nach ihrer „bewährten“ Methode aus Vor-Hartz-Zeiten festgelegt hatte. Seit dem 1. April 2005 bekamen viele Alg II-EmpfängerInnen, die nicht umgezogen waren, ihre volle Miete schon nicht mehr erstattet – zu Unrecht, wie sich aus einigen Gerichtsurteilen ergab. Das Sozialgericht Oldenburg bestätigte die Rechtsauffassung, dass die volle Miete sechs Monate lang zu tragen war. Danach sollten nicht die von der Stadt Wilhelmshaven festgelegten Obergrenzen, sondern die Mieten nach der Wohngeldtabelle gelten.
Im Frühling 2006 fragte die ALI den Rat der Stadt, wie die Mietobergrenzen ermittelt worden seien, und bekam darauf eine höchst unbefriedigende Antwort von Dezernent Stoffers.
Nachdem es einige Beschlüsse und Urteile des Sozialgerichts Oldenburg und des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen gegeben hatte, nach denen in Wilhelmshaven Mieten entsprechend der Werte aus der Wohngeldtabelle (rechte Spalte) erstattet werden mussten, begann das Job-Center, in Widerspruchsbescheiden seine KundInnen fehlerhaft zu informieren: Es behauptete, die Wilhelmshavener Mietobergrenzen seien nach Urteilen des Landessozialgerichts rechtens. Das Job-Center gab Alg II-EmpfängerInnen Listen mit Wohnungen, die „Hartz IV-tauglich“, also billig genug waren, doch die ALI hatte herausgefunden, dass es Wohnungen zu den von der Stadt höchstens erstatteten Kosten nicht in ausreichender Zahl für alle Betroffenen gibt. Und weiterhin gab es 2006 Beschlüsse und Urteile des Sozialgerichts Oldenburg und des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, nach denen in Wilhelmshaven Mieten bis zur Höhe der Werte der Wohngeldtabelle erstattet werden mussten. Im Frühjahr 2007 sprach das Sozialgericht Oldenburg einem Kläger die tatsächliche Miete zu, die sogar höher lag als der Wert aus der Wohngeldtabelle, und bezog sich dabei auf ein Urteil des Bundessozialgerichts aus November 2006. Trotz alledem hat die Stadt Wilhelmshaven während der ganzen Zeit an ihren Obergrenzen festgehalten, und es blieb der ALI nichts anderes übrig, als immer wieder dazu aufzurufen, gegen die Bewilligungsbescheide Widerspruch einzulegen und nach abschlägigem Widerspruchsbescheid zu klagen.
Im Juni 2007 berichtete Alfred Kroll, Anwalt aus Oldenburg, dass das Sozialgericht Oldenburg mittlerweile Mieten nach Wohngeldtabelle plus 10 % für rechtens erklärte. In diesem Sommer unternahm die ALI ihre eigene Erhebung der Wilhelmshavener Mieten und kam zu anderen Ergebnissen als die Stadt, obwohl sie vergleichbare Erhebungsmethoden anwandte.
Man sollte meinen, dass nach all den Gerichtsentscheidungen und nach den Ergebnissen der ALI die Stadt endlich einlenken und den Alg II-EmpfängerInnen die tatsächliche Miete erstatten würde, doch sie blieb bei ihren Höchstgrenzen; ja, es wurden sogar Fälle bekannt, in denen nicht einmal Mieten voll getragen wurden, die deutlich unter diesen Grenzen lagen! Es ging so weit, dass im Frühjahr 2008 ein Oldenburger Richter – deutlich genervt – dem Vertreter des Job-Centers sagte: „Sie kennen unsere Marge: Wohngeldtabelle plus 10 %!“ Die Erhöhung der städtischen Mietobergrenzen im Sommer 2008 betrug jedoch nur wenige Euro; sie blieben weit unter der Marge des Sozialgerichts.
Da unternahm die LAW – linke alternative wilhelmshaven – einen Versuch, Bewegung in die Angelegenheit zu bringen. LAW-Ratsherr Johann Janssen formulierte einen Antrag auf Erhöhung der städtischen Mietobergrenzen auf „rechte Spalte Wohngeldtabelle plus 10 %“. Dieser wurde im Sozialausschuss behandelt – und abgeschmettert. Nach dem Hinweis von Herrn Stoffers auf ein in Herbst zu erwartendes Gerichtsurteil beschloss der Sozialausschuss, erst einmal zu warten, wie die WZ, die das Thema KdU bislang nie behandelt hatte, berichtete.
Da ein weiteres Warten die betroffenen Menschen immer weiter finanziell belasten würde, ließ die LAW aber nicht locker. Johann Janssen brachte einen neuen Antrag in den Rat ein, diesmal auf Zahlung der vollen Mieten der Hartz IV-Betroffenen. Schön war es nicht, wie man in dieser Ratssitzung mit ihm umging (nachzulesen in den Ratssplittern in GW 239) – und das Thema wurde wieder in den Sozialausschuss verwiesen, wieder mit Hinweis auf das im Herbst erwartete Urteil des Landessozialgerichts.

Die neueste Entwicklung

Dieses ließ nun aber doch länger auf sich warten. Das Job-Center hatte bergeweise „Belege“ für die „Angemessenheit“ der städtischen Mietobergrenzen beim LSG abgeliefert, und das Durcharbeiten der 14 oder 15 Aktenordner nahm weit mehr Zeit in Anspruch, als das LSG zunächst veranschlagt hatte. Und es warf einige Fragen auf, die das Job-Center bis zum 1. November beantworten sollte. Diese Fragen und die Nachfragen des Gerichts nach den Antworten ließen die ALI nach langem bangem Warten wieder hoffen (vgl. GW 239 und 240). Auch nach diesen Zusatzfragen hatte es weitere Fragen gegeben: Das LSG wollte nun noch wissen, wie viele Bedarfsgemeinschaften mit wie vielen Hilfebedürftigen es in Wilhelmshaven gibt, wie viele von ihnen zur Miete wohnen, wie viele davon die von der Stadt Wilhelmshaven festgelegten Höchstgrenzen überschreiten, wie viele preislich unterhalb dieser Höchstgrenze liegende Wohnungen in den Quartalen 1/05 bis 4/07 tatsächlich verfügbar waren und schließlich, wie viele Bedarfsgemeinschaften Mieten über der rechten Spalte Wohngeldtabelle zuzüglich 10 % zahlen müssen.
Und am 11. Dezember endlich fand der Gerichtstermin statt. Acht Amtspersonen aus Wilhelmshaven, teils von der Stadt, teils vom Job-Center, waren zur Verteidigung der Wilhelmshavener Mietobergrenzen angereist, u.a. der Leiter der Wohngeldstelle Wilhelmshaven, Herr Hein. Nach Kräften haben sie sich bemüht, dem Gericht ihre Mietberechnungen nahezubringen. Genaues Nachfragen und Nachrechnen ergab schließlich, wie es zu den seltsamen Zahlen von der Stadtverwaltung kam: Statt bis zu 50 Quadratmeter, die einer Einzelperson als Wohnraum zustehen, legten die Wilhelmshavener Berechnungen grundsätzlich nur 40 Quadratmeter zugrunde.
Das erklärt fast alles! Wenn man die tatsächlichen Mieten angemessener Wohnungen (bis 50 Quadratmeter für eine Person, 60 Quadratmeter für zwei Personen, 75 für drei usw.) durch die Quadratmeterzahl teilt und dann mit einer geringeren Quadratmeterzahl malnimmt, kommt man natürlich auf geringere Mieten, als die Menschen, die in diesen Wohnungen leben, zahlen müssen.
Nun ist zwar am 11. Dezember ein Urteil gesprochen worden, doch wir können noch nichts darüber schreiben. Es muss nämlich erst einmal mit Zahlen angereichert werden, und zu diesem Zweck muss erst einmal gerechnet werden. Klar ist aber auf jeden Fall: Die Wilhelmshavener Miethöchstgrenzen haben keinen Bestand! „Die Wolken sind weggezogen“, sagt Werner Ahrens von der ALI, der seit langem immer gesagt hatte, dass diese Höchstwerte „aus den Wolken abgelesen“ seien.
Nun könnte man ja ein bisschen rechnen und schätzen, welche Mietrichtwerte das LSG demnächst für Wilhelmshaven für rechtens erklären wird. Doch das lassen wir aus zwei Gründen bleiben: Zum einen wären es ja nur spekulative Werte. Zum anderen wollen wir niemanden in verfrühte Vorfreude versetzen, die dann wahrscheinlich wieder enttäuscht würde. Nachdem die Stadt Wilhelmshaven seit fast vier Jahren darauf beharrt, die ohnehin schon prekäre finanzielle Situation von 10.000 ihrer Mitmenschen noch prekärer zu machen, indem sie diese zwingt, von einem ohnehin zu niedrigen Regelsatz Monat für Monat einen Teil für die Miete abzuzweigen, muss man befürchten, dass sie die Möglichkeit der Revision nutzen und diese Streitfrage zum Bundessozialgericht tragen wird.
Allen Alg II-BezieherInnen, die bislang nicht die volle Miete erstattet bekommen, ist nun aber anzuraten, ihre sämtlichen bisherigen Bescheide vom Job-Center nach § 44 SGB X überprüfen zu lassen. Auch wenn es noch einige Zeit dauern kann – sie werden ihr Geld bekommen.

Schade,

dass diese frohe Botschaft nicht schon ein paar Tage früher erging. Die Monatsversammlung der ALI am 9. Dezember – bei Kinderpunsch und Gebäck, das vom DGB, vom SoVD und der Firma Bahlsen gespendet worden war – war besinnlich und heiter. Mit dieser Nachricht wäre sie ausgelassen gewesen!

 

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