Die nächste Schulfahrt kommt bestimmt
Zwei Gerichtsurteile zum Thema Klassenfahrten
(noa) Bei all den wichtigen und brandaktuellen Streitpunkten zwischen dem Wilhelmshavener Job-Center und seinen Kunden mussten wir die Berichterstattung über zwei Urteile vom Juli und August 2007 bis heute hinausschieben. Doch die nächste Klassenfahrt auch für Kinder von Hartz IV-BezieherInnen wird sicher stattfinden.
Unsere LeserInnen wissen es: Der Hartz IV-Regelsatz für Kinder enthält keine Summen für Schulbedarf. Bücher, Hefte, Turnschuhe, Tornister usw. usf. sollen Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften sich offenbar vom Munde absparen. Und dann kommt dann noch beinahe unweigerlich einmal jährlich eine Klassenfahrt! Doch diese kann, sofern sie mehrtägig ist, als einmalige Beihilfe beantragt und sollte auch vom Job-Center bezahlt werden. Und das klappt nicht immer so, wie es das Gesetz vorsieht.
Ein Realschüler aus Speyer nahm im Mai 2006 an einer Klassenfahrt nach Cardiff in Wales teil und beantragte die Erstattung der Kosten. „Mit Bescheid vom 1. August 2006 lehnte die Beklagte den Antrag auf Übernahme der Kosten der Klassenfahrt ab, weil nicht mindestens 90 v.H. der Schüler hieran teilgenommen hätten.“ Der Widerspruch gegen diesen Bescheid wurde ebenfalls zurückgewiesen mit der Begründung: „Die Richtlinien des kommunalen Trägers stellten darauf ab, dass Kosten für eine mehrtägige Klassenfahrt nur übernommen werden könnten, wenn mindestens 90 v.H. der Klassenschüler daran teilnehmen würden. Dies sei vorliegend nicht der Fall.“ (Drei Schüler hatten krankheitsbedingt nicht mitfahren können.)
Das Sozialgericht Speyer stellte klar, dass es für die Frage der Erstattung der Kosten für eine Klassenfahrt nicht auf die vollzählige oder nahezu vollzählige Teilname der MitschülerInnen ankommt, sondern darauf, ob sie „im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen“ stattfindet, und urteilte: „Die pädagogische Gestaltung des Unterrichts und die Umsetzung des Lehrplanes obliegt allein den Schulen und nicht den Sozialleistungsträgern oder Gerichten. (…) Denn die Schulen haben den (…) Bildungs- und Erziehungsauftrag zu verwirklichen und den Schülern dabei ausschließlich unter Beachtung ihrer Begabung und folglich ohne Rücksicht auf ihre Herkunft oder wirtschaftliche Lage (Hervorhebung von noa) Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln. Hält sich daher eine Klassenfahrt im Rahmen dieser schulrechtlichen Bestimmungen, sind weitergehende Erwägungen über ihre Notwendigkeit oder Angemessenheit weder von Sozialleistungsträgern noch von Gerichten anzustellen.“
Allerdings lehnte das Gericht den Anspruch des jungen Mannes auf das Taschengeld für die Sprachreise ab: „Der Anspruch des Klägers (…) umfasst neben dem eigentlichen Preis für die Klassenfahrt keine weiteren Leistungen. Insoweit kämen nach Auffassung der erkennenden Kammer allenfalls gesondert zu erbringende Nebenkosten wie beispielsweise Eintrittsgelder für kulturelle Veranstaltungen in Betracht. Denn gerade das kulturelle Programm prägt in der Regel die pädagogische Zielsetzung und den Zweck von Klassenfahrten. (…) Demgegenüber ist ein – allgemeines – Taschengeld nicht von der Beklagten zu erbringen, weil es weder die pädagogische Zielsetzung noch den Zweck von Klassenfahrten prägt. Es ist daher nicht als Sonderbedarf im Sinne von § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 SGB II, sondern als bereits durch die Regelleistung abgedeckt anzusehen.“ (Alle Zitate aus dem Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 08.08.2007, Az.: S 3 AS 643/06)
Diesen Punkt sah das Verwaltungsgericht Bremen in seinem Beschluss vom 20.07.2007 (Az: S8 K 774/07) anders. Hier heißt es: „Die Kosten für eine Klassenfahrt sind in voller Höhe zu erstatten; die Beklagte kann den Kläger nicht auf ersparte Aufwendungen während der Abwesenheit des Klägers verweisen, denn derartigen ersparten Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt (insbesondere für Verpflegung) steht regelmäßig das Erfordernis eines angemessenen Taschengeldes in mindestens dieser Höhe für die Klassenfahrt gegenüber.“
Ganz vergleichbar sind diese beiden Fälle nicht. In diesem Rechtsstreit ging es um ein Taschengeld, das die Schule als „sonstige Kosten für (…) Busfahrten am Ort, Eintrittsgelder und Taschengeld“ angegeben hatte, also Geld, das nach dem Speyerer Urteil nur zum Teil zu erstatten wäre.
Der Fall: Die Behörde hatte einem Schüler die Kosten für eine Klassenfahrt nur teilweise zugestanden. Bezüglich des Taschengeldanteils von 30 Euro hatte sie ihn darauf verwiesen, „die Kosten für Busfahrten am Ort, Eintrittsgelder, Taschengeld etc. seien bereits Bestandteil der Regelleistung und seien daher selbst aufzubringen.“ Während seiner Abwesenheit von zu Hause entstünden für ihn ja keine Verpflegungskosten, „so dass eine Finanzierung aus diesen eingesparten Beträgen kompensiert werden könne.“ Und dazu befand das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss: „Der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Klassenfahrt seines Sohnes in tatsächlicher Höhe. Anspruchsgrundlage hierfür ist § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 des SGB II. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen nicht von der Regelleistung umfasst. Vielmehr werden sie gemäß Satz 2 der Vorschrift gesondert erbracht. Der Gesetzeswortlaut enthält keinen Hinweis darauf, dass die Beklagte (…) zu einer Begrenzung der Kosten berechtigt wäre.“
Soweit zwei unterschiedliche Gerichte zum gleichen Thema, soweit die gesetzlichen Gesichtspunkte. Unter sozialen Gesichtspunkten bleibt zu hoffen, dass in künftigen Fällen die Rechtsprechung im Tenor des Bremer Beschlusses und nicht des Speyerer Urteils erfolgen wird. Denn ob die pädagogische Zielsetzung einer Klassenreise erreicht wird, wenn ein armer Schüler zwar mitfahren darf, aber in der Freizeit nicht mit seinen MitschülerInnen ein Eis essen gehen kann, ist fraglich.
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