Hartz IV und Recht
Mrz 052008
 

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Job-Center darf kein Geld anrechnen, das der Antragsteller nicht hat

(noa) Im Januar 2008 ergingen zwei interessante Beschlüsse von Sozialgerichten zum Thema Regelsatzkürzung. Ein Wilhelmshavener Hartz IV-Berechtigter hatte im September eine Steuerrückzahlung in Höhe von 3014,52 Euro erhalten. Da er aber ein beträchtliches Soll auf seinem Konto hatte, blieb von diesem schönen Sümmchen nichts übrig: Zu Mitte September hatte er immer noch Miese, wenn auch nur noch 61,83 Euro.


Das Job-Center Wilhelmshaven erwartete nun aber von ihm, dass er die Steuerrückzahlung in seinen laufenden Konsum einfließen lassen sollte. 300 Euro monatlich wollte es ihm vom Alg II einbehalten. Die Begründung klang durchaus schlüssig: Die Sozialleistungen seien nicht zur Tilgung der Schulden von Bedürftigen da.
Da der Erwerbslose nun aber von der Steuerrückzahlung außer mal ganz kurz den Anblick einer schönen Zahl auf dem Kontoauszug nichts hatte, gab es nichts, was er für den Lebensunterhalt ausgeben konnte. Am 20. Dezember 2007 beantragte er deshalb beim Sozialgericht Oldenburg eine einstweilige Anordnung auf Zahlung des Alg II in der vorher gewährten Höhe, also ohne Abzug. „Er ist der Ansicht, eine Anrechnung für die Monate November 2007 bis April 2008 sei rechtswidrig, da ihm in dieser Zeit keine bereiten Mittel zur Verfügung stünden“, heißt es im Text des Beschlusses. Und so sah es auch das Gericht.
„Der angefochtene Bescheid vom 30. Oktober 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung weiterer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Gemäß § 19 Satz 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfsbedürftige Alg II in Form von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Von den Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II ist hier allein der Umfang der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers insoweit problematisch, als der Antragsgegner die Steuerrückerstattung im September 2007 mit einem monatlichen Teilbetrag von 300,00 Euro als Einkommen ansetzt. Steuerrückerstattungen sind Einkommen nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II, weil es sich um Einnahmen in Geld handelt. Die Steuerrückerstattung in Höhe von 3.014,52 Euro floss dem Antragsteller im September 2007 zu und durfte in diesem Monat als Einkommen berücksichtigt werden. Eine darüber hinausgehende Ansetzung für die Folgemonate (…) durch Aufteilung in Raten von jeweils 300,00 Euro und entsprechender Ansetzung als monatliches Einkommen ist nicht rechtmäßig. Die Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 und § 9 SGB II ist grundsätzlich gegenwartsbezogen und unabhängig von den Gründen ihres Entstehens zu beurteilen. Auch schuldhaft herbeigeführte Hilfebedürftigkeit schließt den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nicht aus (…). Um sozialwidrige Ergebnisse zu vermeiden, bestimmt allerdings § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II, dass eine Pflicht zum nachträglichen Ersatz der gewährten Leistungen für denjenigen besteht, der die Voraussetzungen für seine Hilfebedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat.“ (Az.: S 42 AS 2290/07 ER, 18. Januar 2008) Nun, ob das der Fall war und der Erwerbslose irgendwann einmal die Sozialleistungen zurückzahlen muss, wird sich dann im Hauptverfahren zeigen.

Regelsatzkürzung bei stationärem Aufenthalt?

Im Beschluss des Sozialgerichts Aurich vom 16. Januar 2008 (S 25 AS 771/07 ER) geht es um das Thema Regelsatzkürzung wegen Krankenhausaufenthaltes. Und sehr interessant ist dieser Beschluss angesichts einer neuen Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit, nach der ein Betrag von 121,45 Euro im Monat bei stationärem Aufenthalt mit Vollverpflegung abgezogen werden darf. Dieser Verordnung widerspricht der Beschluss des Sozialgerichts Aurich mit Begründungen aus dem Gesetz selbst.
Der Fall: Eine Hartz IV-Berechtigte hatte gemeldet, dass sie sich im Krankenhaus befinde, und noch am selben Tag erließ die Gemeinde Westoverledingen einen „Änderungsbescheid“ mit einer Kürzung ihres Regelsatzes um 35 % wegen stationären Aufenthalts. Die Klägerin fand die anteilige Leistungskürzung rechtswidrig, weil die in einer stationären Einrichtung zur Verfügung gestellte Ernährung weder zu einer Reduzierung des Bedarfs führen könne noch als Einkommen anzusehen sei. Dem folgte das Gericht , „denn die während des vollstationären Krankenhausaufenthalts zur Verfügung gestellte Verpflegung rechtfertigt weder (auf der Bedarfsseite) die Kürzung der (…) Regelleistung, noch ist die Krankenhausverpflegung bei der Leistungsberechnung als Einkommen i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigen, … Das „Bedarfsdeckungsprinzip“, das die beklagte Behörde in ihrem Vorbringen als Grund für die Regelsatzkürzung nannte, könne nicht zur Geltung kommen, da das SGB II dafür keine rechtliche Grundlage bietet, denn: „Die in § 20 SGB II normierte Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes wird – anders als die bis zum 31.12.2004 nach dem Bundessozialhilfegesetz gewährte Sozialhilfe – in pauschalierter Form erbracht und umfasst nach dem gesetzgeberischen Willen den gesamten notwendigen Lebensunterhalt des Hilfebedürftigen.“ Wie der Empfänger sich das Geld einteilt, bleibt ihm selber überlassen. – „Im Unterscheid dazu sieht das im Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) geregelte staatliche Sozialleistungssystem eine abweichende Festlegung der Bedarfe vor, wenn im Einzelfall sein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. (…) Eine solche abweichende Festlegung der pauschalierten Bedarfe sieht das SGB II jedoch nicht vor.“
Die Regelsatzkürzung wegen der Vollverpflegung im Krankenhaus ist also gesetzwidrig. Ansonsten „müsste auch in anderen Fällen (etwa beim geringeren Bedarf an Kleidung, Körperpflege, Hausrat oder Haushaltsenergie) eine entsprechende Reduzierung des hierauf entfallenden Regelsatzanteils vorgenommen werden. Umgekehrt müssten dann aber auch durch den stationären Krankenhausaufenthalt verursachte zusätzliche Kosten (wie z.B. Zuzahlungen, Kosten für Besuchsfahrten, Gebühren für Rundfunk und Telefon, Kosten für einen Bademantel, Aufwendungen für Genussmittel beim Kauf auf dem Klinikgelände) abweichend von der Regelleistung pauschal zugunsten des Hilfebedürftigen übernommen werden. Dies wäre aber ebenfalls systemwidrig.“ Also: Das Alg II ist eine pauschalierte Leistung und darf nicht wegen zeitweise höheren oder niedrigeren Bedarfs erhöht oder gesenkt werden.
Der Landkreis Leer als beklagte Behörde hatte hilfsweise angeführt, dass die Verpflegung im Rahmen eines stationären Aufenthalts „Einkommen“ sei, das angerechnet werden müsse. Auch diesem Gedanken widerspricht das Sozialgericht Aurich. „Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V umfasst die Krankenhausbehandlung im Rahmen des Versorgungsauftrages des Krankenhauses sämtliche Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind. Hierzu gehört insbesondere auch die Verpflegung.“ Das Essen im Krankenhaus zielt „zuvörderst auf die Genesung des Patienten ab“ und kann deshalb „nicht als Einkommen im Sinne einer Einnahme in Geldeswert (…) qualifiziert werden.“ Und überdies kann das Krankenhausessen deshalb kein Einkommen sein, weil der Patient nicht die Möglichkeit hätte, es zu verkaufen und das Geld nach seinem Gutdünken anderweitig auszugeben; es fehlt dem Klinikessen ein „Marktwert“ wie auch ein entsprechender Markt.
Es sieht also ganz so aus, als hätten Widerspruch und Klage auch nach der neuen Verordnung Sinn, denn der sehr ausführliche (hier nur auszugsweise zitierte) Beschluss des Sozialgerichts Aurich weist nach, dass die genannte Verordnung dem Gesetz, auf das sie sich bezieht, widerspricht.

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