hartz IV + recht
Nov 042009
 

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Zwei Monatsversammlungen der ALI und sonst noch einiges Wissenswertes

(noa) So lange ist die letzte Gegenwind-Ausgabe her, dass es zwischenzeitlich zwei ALI-Versammlungen gab, über die es zu berichten gilt.

Am 8. September
stellte sich der Wilhelmshavener Rechtsanwalt Hartwig Karasch vor. In Wilhelmshavenen geboren und zur Schule gegangen, arbeitete er nach dem Studium der Rechtswissenschaft zunächst in einem Hamburger Wirtschaftsunternehmen, bevor er sich 2002 in Wilhelmshaven niederließ. Einer seiner Schwerpunkte ist das SGB II, „ein weitläufiges Rechtsgebiet“, wie er sagt. Natürlich galt die erste Frage an ihn dem 22. September, dem Tag, an dem beim Bundessozialgericht angeblich die Revisionsverhandlung in Sachen KdU-Praxis der Stadt Wilhelmshaven stattfinden sollte (vgl. GEGENWIND 247). Nein, DIE Verhandlung würde es am 22. September nicht geben, und die allgemeine Vermutung der Versammelten war, dass die entsprechende Ankündigung im Sozialausschuss und in der WZ „eines der üblichen Vernebelungsmanöver von Jens Stoffers“ gewesen sei. Doch dazu weiter unten.

„Begrüßenswert ausführlich“
findet Herr Karasch das Urteil des Landessozialgerichts vom 11.12.08 bezüglich der Kosten der Unterkunft, über das wir seither wiederholt berichtet haben, und wie die ALI sieht er die seit Juli geltenden neuen „Mietobergrenzen“ Wilhelmshavens als „neuen Clou“: Zahlreiche Betroffene, die jetzt etwas mehr von ihren Mietkosten durch das Job-Center erstattet bekommen, werden nun erleichtert aufatmen, doch wenn ihre Miete darüber liegt und sie eigentlich mehr zu bekommen hätten (was immer noch nicht feststeht), werden die meisten gar nicht erst auf die Idee kommen, zu beanspruchen, was ihnen zusteht, denn das Job-Center hat hier keine Bringeschuld.

Was bedeutet das?
Ein Fall, von dem wir unabhängig von der Arbeitsloseninitiative erfahren haben, dokumentiert das überdeutlich: Eine Wilhelmshavener Hartz IV-Betroffene stellte im Juni einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X und erhielt im Oktober den Überprüfungsbescheid. Darin steht: „Die Leistungen für Unterkunft und Heizung werden nach dem SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Bei der Beurteilung der Frage nach der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft hat die Stadt Wilhelmshaven als Träger der kommunalen Leistungen nach § 22 SGB II Miethöchstbeträge festgelegt. Die Miethöchstbeträge wurden jeweils zum 01.10.2005, 01.10.2006, 01.05.2008 und 01.07.2009 neu festgesetzt. Da die Berücksichtigung der jeweils aktuellen Miethöchstbeträge nicht immer zum jeweiligen Stichtag erfolgte, kann ich ihnen für den Zeitraum vom 01.03.2006 bis 30.06.2007 und vom 01.10.2007 bis 31.03.2009 insgesamt 978,48 Euro nachbewilligen.“ 978,48 Euro!!! 978,48 Euro, die die Frau im Lauf der genannten Zeiträume vom Regelsatz abzwacken musste, die ihr an anderen Dingen fehlten! Die sie ohne ihren Überprüfungsantrag nicht bekommen hätte!

Man muss es ausfechten
„Was nützt mir die neue – höhere – Mietobergrenze, wenn ich nicht umziehen darf?“, wollte ein Versammlungsteilnehmer wissen. Hintergrund dieser Frage ist die Tatsache, dass das SGB II die Freizügigkeit der Hilfeempfänger einschränkt: Ein Hartz IV-Betroffener muss sich einen Umzug vom Job-Center genehmigen lassen. „Der Umzug muss erforderlich sein“, erläuterte Herr Karasch. Aber die Erfahrungen vieler Wilhelmshavener HilfeempfängerInnen zeigt, dass das Job-Center die Notwendigkeit eines Umzuges normalerweise nicht anerkennt, wenn z.B. die alte Wohnung feucht und damit gesundheitsschädlich, die neue trocken, aber teurer als die alte ist. Da hilft kein Argumentieren mit dem Sachbearbeiter. Die Reaktion des Job-Centers in so einer Situation entspringt der Haltung „Wir sitzen am längeren Hebel“. Da hilft nur eines: Umziehen und die Verfahren, die notwendigerweise folgen, in Kauf nehmen. „Man muss es im Einzelfall ausfechten“, ist Karaschs Erfahrung. Und das heißt: 1. Widerspruch einlegen. Der Widerspruch ist kostenlos. 2. Wenn dem Widerspruch nicht abgeholfen wird: Klagen.

Klagen kostet (fast) nichts
Neue Rechtspfleger, frisch von der Fachhochschule gekommen und etwas übereifrig, lehnen gerne mal die Herausgabe von Beratungshilfescheinen ab. Doch das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Beratungshilfe auch im Sozialrecht zu gewähren ist, und notfalls (wenn man den Schein beim Amtsgericht nicht bekommt) geht man einfach zum Anwalt – der sorgt schon dafür, dass man sein Recht bekommt. Nach Karaschs Erfahrung bewilligen die Sozialgerichte fast grundsätzlich Prozesskostenhilfe, so dass SGB II-Betroffene eigentlich kein Risiko eingehen, wenn sie einen Anwalt konsultieren. 10 Euro Eigenanteil müssen sie auf jeden Fall entrichten, und wahrscheinlich wird jeder Anwalt, der auf den ersten Blick sieht, dass eine Klage keine Aussicht auf Erfolg haben wird, für diese 10 Euro genau diese Auskunft geben, so dass niemand sich in ein hoffnungsloses Verfahren stürzen wird.

Fehler des Job-Centers
Was viele Betroffene schon oft erlebt haben, kann auch Karasch bestätigen: Beim Job-Center gehen schon mal Unterlagen verloren, und es kann leicht passieren, dass Hilfeempfänger dadurch nicht nur belästigt werden – der Verfasserin ist eine Frau bekannt, die mehrere Male eine Geburtsurkunde abgeben musste, bevor ihr Baby endlich auch arbeitsamtlich existierte und sein Geld bekam -, sondern auch handfesten Ärger in Form von Sanktionen oder noch Schlimmerem kriegen, weil sie angeblich ihre Mitwirkungspflichten verletzt haben. Deshalb der Rat: Alles, was man beim Job-Center abgibt, quittieren lassen!

Mit Quittung wär’ das nicht passiert
So standen Ende Oktober Frau T. und Herr G. vor Gericht. Das Job-Center hatte sie wegen Betruges verklagt. Sie hatten kleine Nebenjobs angenommen und dem Job-Center diese Tatsache auch gemeldet. Irgendwo zwischen Fallmanager und Leistungsabteilung ging diese Information verschütt. Was sie durch ihre Jobs dazuverdienten, war so wenig, dass der größte Teil davon anrechnungsfrei geblieben wäre. Dadurch fiel ihnen nicht auf, dass gar nichts angerechnet wurde. Und beim Folgeantrag kreuzten sie brav „keine Änderungen“ an. Bei einem Datenabgleich fiel der Leistungsabteilung allerdings auf, dass die beiden einige Euro zu Unrecht kassierten. Sanktion in Form von Leistungskürzung und die Anklage wegen Betruges waren die Folge. Leider schenkte das Gericht dem Job-Center mehr Glauben als den beiden Angeklagten, so dass diese jetzt eine Geldstrafe entrichten müssen. Man wird sehen, ob das Verfahren gegen die Leistungskürzung, das beim Sozialgericht Oldenburg noch aussteht, wenigstens günstig für die beiden ausgeht, denn Strafe zahlen von gekürzten Leistungen, das ist besonders heftig.  

Untersuchungsgrundsatz
In § 20 SGB X ist der „Untersuchungsgrundsatz“ verankert. Das kann sich positiv auswirken – man muss allerdings darauf bestehen, dass er angewandt wird. Karasch nannte ein Beispiel: Eine Aufstockerin verdiente in Wirklichkeit weniger als vom Arbeitgeber bescheinigt. Auf Grundlage der Summe in der Verdienstbescheinigung errechnete das Job-Center einen zu geringen Aufstockungsbetrag. Solche und ähnliche Fälle gibt es zuhauf, und das Job-Center muss hier untersuchen und darf sich nicht einfach mit einer Bescheinigung begnügen.

Hausbesuche
„Holterdipolter geht das gar nicht!“ Auch wenn der Prüfdienst des Job-Centers es viel netter findet, einfach unangekündigt irgendwo aufzuschlagen und Einlass zu begehren: Das ist nicht erlaubt, und niemand muss ihn reinlassen, wenn er sich nicht angemeldet hat!

Am 13. Oktober
gab es auf der ALI-Versammlung endlich Aufschluss über die Frage nach dem 22. September. Nein, es war nicht die Revisionsverhandlung. Nein, es war nicht DER Fall, sondern einer der Fälle. Das LSG hatte am 11.12.08 drei Fälle abgeschlossen und in allen drei Urteilen Miethöhen als für Wilhelmshaven zutreffend bezeichnet, die noch deutlich über den von der Stadt zum 01.07.09 festgelegten „neuen Mietobergrenzen“ liegen. Wir haben diese Beträge in unserer Ausgabe 246 genannt. Das Bundessozialgericht hat nun einen der drei Fälle behandelt und an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Die Untersuchungen der Stadt, so das BSG, seien okay – das Ergebnis der städtischen Berechnungen allerdings sei nicht nachvollziehbar. (Da geht es den Bundessozialrichtern wie uns: Auch wir konnten seinerzeit nur schwer verstehen, wie die Stadt mit korrekten Angaben zu einem so unkorrekten Rechenergebnis kommen konnte.) Nun wird also das Landessozialgericht sich noch einmal mit der Sache befassen müssen und dabei den Taschenrechner benutzen müssen. Was dann dabei rauskommt, ist nicht mehr revisionsfähig. Der GEGENWIND wird zu gegebener Zeit berichten.

Schwarz-Gelb kann’s besser
Reichlich entsetzt war man auf der ALI-Versammlung über den Ausgang der Bundestagswahl. Zwei Punkte, die Gegenstand der Koalitionsverhandlungen waren, wurden näher beleuchtet. Das Bürgergeld der FDP wäre eine Reform von SGB II und SGB XII und würde die Betroffenen noch schlechter stellen als es Hartz IV schon tut, doch es ist – vorerst – am NEIN der CDU gescheitert. Die Forderung der Arbeitslosenselbsthilfeinitiativen, so informierte Werner Ahrens, lautet auf ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 1500 Euro. „Die Koalition hilft den Armen“, wie es durch die Medien ging, ist eine Verarschung: Die Erhöhung des Schonvermögens nützt jetzt, fünf Jahre nach Einführung von Hartz IV, den schon Bedürftigen nicht – die haben ihr Erspartes längst aufgezehrt. Dass künftig 750 Euro pro Lebensjahr (statt bisher 250) fürs Alter auf der hohen Kante liegen dürfen, ist lediglich eine Beruhigung für die, die noch nicht bei Hartz IV angelangt sind. Es fördert aber jedenfalls die Versicherungswirtschaft!

AöR
war das Hauptthema dieser Versammlung. Dieter Kanth, Vorsitzender des Gesamtpersonalrats der Stadt, ver.di-Fachbereichsvorsitzender Gemeinden und ver.di-Vertreter im Beirat des Job-Centers, hat in den letzten Monaten zahlreiche Versammlungen besucht und Podiumsdiskussionen veranstaltet, um abzuwenden, was nach Behauptungen der Stadtverwaltung eine tolle Sache, nach Befürchtungen der städtischen Bediensteten aber eine weitere Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen wäre: Die Anstalt öffentlichen Rechts. Der GEGENWIND hat schon mehrfach darüber berichtet, welche Folgen die Ausgliederung einzelner Ämter aus der Stadtverwaltung und ihre Umwidmung in Eigenbetriebe oder GmbHs hat. Die Tarifbindung gilt für eine GmbH nicht, und die MitarbeiterInnen müssen die gleiche Arbeit für weniger Lohn und bei weniger Urlaub verrichten. Außerdem hat der Rat der Stadt kein Recht auf Information und keinen Einfluss auf das Geschäftsgebaren. Dieter Kanth zeigte der Versammlung auf, was mittlerweile aus dem geworden ist, was einmal „die Stadt“ mit zahlreichen Ämtern war, und warnte davor, dass die Gründung einer AöR den Weg ebnen könnte für weitere Schritte auf dem Weg der Entrechtung der Beschäftigten. Wir verzichten hier auf die genaue Wiedergabe der Hinweise auf diese Gefahren, da das Thema sich mittlerweile zum Glück erledigt hat. Am 28. Oktober hat der Rat der Stadt in einer Sondersitzung gegen die Stimmen der CDU, der FDP und des Oberbürgermeisters das Thema ad acta gelegt (sh. die „Ratssplitter“ in dieser Ausgabe).

Kritik
an der „Prozessfreudigkeit“ des Job-Centers äußerte Kanth, der die Interessen der städtischen Beschäftigten des Job-Centers im Blick hat. Die Bearbeitung von Widersprüchen, die Vorbereitung von Gerichtsverfahren, die Teilnahme an Prozessen, all dies sind zeitaufwändige Arbeiten, für die das Job-Center Wilhelmshaven jedoch kein zusätzliches Personal bekommt. Dass die Beschäftigten des Job-Centers gehalten sind, auch berechtigte Anträge abzulehnen, um Geld zu sparen, sorgt dafür, dass sie mehr arbeiten müssen. Dass viel Arbeit liegen bleibt und dass Flüchtigkeitsfehler an der Tagesordnung sind, ist die Folge von Personalmangel.

Einige Beispiele F
rau C. ist „Aufstockerin“. Sie hat eine schulpflichtige Tochter. Kurz vor Beginn des laufenden Schuljahres fragte sie nach den 100 Euro, die jede Schülerin und jeder Schüler in diesem Jahr extra bekam. Sie musste eine Schulbescheinigung vorlegen und konnte so nachweisen, dass ihre Tochter die 7. Klasse besuchte. Im August vermisste sie auf dem Konto die 100 Euro für die Tochter. Beim Job-Center erfuhr sie, dass eine neue Schulbescheinigung erforderlich sei. Aha. Nun gut, Frau C. wies also nach, dass ihr Kind mittlerweile die 8. Klasse besucht. Im September gab es jedoch nicht nur keine 100 Euro für das Kind, sondern gar kein Geld. Ihr Folgeantrag war noch nicht bearbeitet. Auch Frau L., arbeitslose Mutter eines Kleinkindes, wartete im September vergeblich auf ihr Geld. Auch ihr Antrag lag noch unbearbeitet auf einem Schreibtisch.

Millionär durch Hartz IV?
Manche Fehler des Job-Centers sind nicht so folgenschwer, aber lustig. Herr N. hat dem Job-Center im Sommer einen Grund für eine Sanktion gegeben. Das teilte man ihm schriftlich mit. Da es die erste Sanktion war, betrug die Leistungskürzung „nur“ 30 %, und so kündigte man ihm die „Absenkung des Arbeitslosengeldes II in Höhe von 300.909,00 Euro monatlich“ für drei Monate an. 1.003.030 Euro würde er also ohne Sanktion bekommen???

Was ist das eigentlich
auf einem Folgeantrag für Arbeitslosengeld II an der Stelle, an der man „keine Änderungen“ ankreuzen kann oder aber Änderungen mitteilen soll? Änderungen wie z.B. der Auszug eines Familienmitgliedes, das Antreten eines Nebenjobs oder ein Umzug finden ja selten genau zu dem Datum statt, zu dem man einen Weiterbewilligungsantrag stellt. Solche Änderungen teilt man im laufenden Bewilligungszeitraum mit. Bezieht sich das „keine Änderungen“ dann auf den letzten Antrag oder auf die Meldung, die man zwischendurch gemacht hat? Eine Kundin des Job-Centers, die sich darüber unsicher war, ging lieber hin, um danach zu fragen, bevor sie einen Fehler machte. (Die Meldung unter der Überschrift „Mit Quittung wär’ das nicht passiert“ zeigt, dass ein Fehler da leicht passiert und große Folgen zeitigen kann.) Eine Audienz bei ihrer Sachbearbeiterin bekam die Kundin aber nicht, und auch der Herr am Empfang konnte ihr diese Frage nicht beantworten. Das könnte nun eine Weile gedauert haben, bis die ihren Folgeantrag abgeben konnte!

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