Das könnte teuer werden
Bei rechtswidrigen Ein-Euro-Jobs ist eine finanzielle Erstattung in Höhe des Tariflohns fällig
(noa) In unserer Ausgabe 238 berichteten wir unter der Überschrift „Sanktionen? – nicht ganz so beliebig!“ von einem Wilhelmshavener Arbeitslosen, der eine Sanktion durch das Job-Center erfolgreich abgewehrt hatte. Er hatte einen Ein-Euro-Job als „gelber Engel“ nach einem Vierteljahr abgebrochen, und das Job-Center hatte nach Auffassung des Sozialgerichts Oldenburg danach getrödelt.
Diese Geschichte ging in der Zeit seither noch weiter: Der betreffende Arbeitslose, Frank Oltmann, hatte seinen Müllaufsammeljob nicht deshalb geschmissen, weil er keinen Bock darauf gehabt hätte, sondern weil er ihn rechtswidrig fand. Er musste nicht nur auf öffentlichen Straßen und Plätzen, sondern auch auf Grundstücken des Bauvereins Rüstringen saubermachen. Und damit fehlte dem Ein-Euro-Job ein bedingendes Merkmal: Die Tätigkeiten, die per Arbeitsgelegenheit erledigt werden, müssen „im öffentlichen Interesse“ und „zusätzlich“ sein, und durch sie dürfen keine regulären Arbeitsplätze vernichtet werden. Auf Grundstücken einer Wohnungsbaugesellschaft Müll aufzusammeln ist eine Tätigkeit, die gleich gegen alle drei Bestimmungen verstößt. Sollen die Baugesellschaften doch selber dafür sorgen, dass ihre Grundstücke sauber sind! (Beim Bauverein Rüstringen ist eine Gebühr für die Reinigung der Grünflächen vor den Häusern in der Miete enthalten.) Oder: Die Mieter können doch im Rahmen der Kehrwoche ihre Umgebung von Kippen und Bonbonpapieren befreien! Oder: Gemacht werden muss das auf jeden Fall – es ist keine Leistung, die ansonsten unterbliebe. Aber auch das Sauberhalten der öffentlichen Straßen und Plätze sollte doch auf jeden Fall stattfinden und ist nichts „Zusätzliches“.
Wenn aber Arbeit getan wird, die den Kriterien für AGHs nicht Genüge tut, dann muss sie tariflich bezahlt werden. Mit dieser Stoßrichtung führte Oltmann das Verfahren weiter. Er schrieb das Bundesministerium für Arbeit und Soziales an, das aber kein Problem damit hatte, dass das arbeitsmarktpolitische Mittel AGH hier missbraucht wurde. Und auch das Sozialgericht Oldenburg fand den Inhalt dieser AGH okay.
War Oltmann bis hierher noch ohne Anwalt ausgekommen, brauchte er nun aber doch einen. Sowohl das Sozialgericht Oldenburg als auch das Job-Center Wilhelmshaven waren mit einer „Sprungrevision“ einverstanden.
Die Sprungrevision ist ein Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Entscheidungen der unteren Gerichte (z. B. in Deutschland: Amtsgericht, Arbeitsgericht, Sozialgericht, Verwaltungsgericht). Mit ihr wird die zweite Instanz (die Berufung) übersprungen. Stattdessen gelangt der Rechtsstreit direkt vor das letztinstanzliche Gericht (z. B. in Deutschland: Oberlandesgericht, Bundesgerichtshof, Bundesarbeitsgericht, Bundessozialgericht, Bundesverwaltungsgericht). Im Gegensatz zum „übersprungenen“ Berufungsverfahren findet in diesem Revisionsverfahren keine Tatsachenfeststellung mehr statt, es werden nur noch Rechtsfragen geprüft. (Quelle: wikipedia)
Die höchste Instanz in dieser Frage ist das Bundessozialgericht, und dort herrscht Anwaltspflicht.
Dr. Wolfgang Conradis aus Duisburg, Mitautor eines Lehr- und Praxiskommentars zum SGB II, nahm sich des Falles an und reichte die Revision beim BSG ein. Dort erging am 13. April ein Urteil, das den Rechtsstreit allerdings noch nicht beendet. Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg (Az: S 45 AS 1464/08), demzufolge mit der AGH alles in Ordnung gewesen sei, „wurde aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das LSG zurückverwiesen“, wie es im Terminbericht des BSG heißt. Und weiter heißt es dort: Es „fehlt hier an Feststellungen zur Zusätzlichkeit der vom Kläger ausgeführten Arbeiten.“
Das LSG muss nun prüfen, worum das Sozialgericht Oldenburg sich nicht so richtig gekümmert hatte, nämlich um die Frage, ob das Aufsammeln von Unrat eine zusätzliche Arbeit sein kann. „Ist der ‚Heranziehungsbescheid’ rechtswidrig und kann der Kläger deshalb seine Aufhebung verlangen, kommt ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in Betracht.“ Der Kollege hätte dann Anspruch auf finanzielle Leistungen in Höhe des Tariflohns.
Wir haben schon in anderen Zusammenhängen davon berichtet, dass die Stadt Wilhelmshaven notwendige öffentliche Aufgaben nicht mehr durch eigenes Personal verrichten lässt, um sie dann als „zusätzlich“ zu deklarieren und sich die Arbeitskräfte dafür vom Job-Center bezahlen zu lassen. Was z.B. einmal die Stadtgärtnerei war, ist nur noch ein winziger Teil des Eigenbetriebes „Straße und Grün“, und die Männer und Frauen, die im Park Wurzeln ausbuddeln oder auf städtischen Bürgersteigen Unkraut auskratzen, sind Ein-Euro-Jobber. Das spart enorm. Nur: Wenn das Landessozialgericht der rechtlichen Argumentation des standhaften Klägers folgt, dann ist es aus mit dem Sparen.
Vier Jahre lang
hat ein Wilhelmshavener Arbeitsloser als „Gelber Engel“ Straßen und Plätze von Müll und Unrat befreit. Bei einem Tariflohn von – sagen wir mal – 2000 Euro und einer Arbeitszeit von 20 Stunden wöchentlich hätte er jetzt ca. 50.000 Euro minus die in dieser Zeit erhaltenen Sozialleistungen minus Versicherungsbeiträge zu bekommen. – Ein-Euro-Jobber, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer AGH haben, können über die Arbeitsloseninitiative (Tel. 180130) Kontakt zu Frank Oltmann aufnehmen, um das zu überprüfen.
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